Die Aene Well.

2.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

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Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In H.ften, à 30 Pfennig. zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Rudolph von B..... ( Fortsetzung.)

Der ehemalige Kolonialwaarenhändler Alster   hatte indeß auch seinen Weg gemacht. Aus dem kleinen Kleinkrämer hatten die vielen tausend armen Leute in seinem Stadtquartier bald einen großen Kleinkrämer gemacht. Die armen Leute thaten das meist unbewußt und ganz unabsichtlich, der Herr Alster aber griff ihnen bei diesem für ihn so angenehmen Bemühen sehr bewußt und ab­sichtlich unter die Arme.

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Er war sehr billig mit seinen Waaren, der Herr Alster, das mußte man ihm lassen, und sobald er nur selber ein kleines Ver­mögen hatte, borgte er den armen Leuten ,, aufs Buch" in welches die entnommenen Waaren bis zur monatlichen, und bei vierteljährlich ihren Gehalt beziehenden Beamten auch bis zur vierteljährlichen, Tilgung eingetragen wurden, soviel sie wollten. Wer durfte es ihm da verdenken, so philosophirte er, daß er sich für den geringen Verdienst und die kleinen Verluste, welche bei dieser Geschäftspraxis nicht ausbleiben konnten, von vorn herein zu entschädigen suchte dadurch, daß er den Werth der Waaren durch allerlei Beimengungen und kleine, angeblich ganz harmlose Verfälschungen verringerte. Die armen Leute merkten ja zumeist keine Spur davon, fanden sie doch z. B. den Farin­zucker, den sie das Pfund bei ihm um zwei Pfennige billiger kauften, als bei den meisten seiner Konkurrenten, ganz ausge­zeichnet und behaupteten sie doch, mit der Butter, welche sie bei Alster   bekämen, reichten sie wenigstens noch einmal so lange, als wenn sie sie auf dem Markte gekauft hätten. Daß der Zucker nur zur einen Hälfte aus Zucker, zur andern aus Staub und geschmacklosen Abfällen aller Art bestand kein Mensch dachte daran, und daß die Butter deswegen länger reichte, weil sie den verhältnißmäßig unverdorbenen Geschmacksorganen der Kinder minder behagte, als die unverfälschte Marktbutter, wer wäre auf den im Grunde recht naheliegenden Gedanken gekommen!

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Genug Herr Alster, der im Anfange seiner Krämerlauf bahn seine Kassenschublade und die Geldschwingen darin vor jeder manns Auge verborgen gehalten hatte, weil mit der Dürftigkeit ihres Inhalts nicht Staat zu machen war, verwahrte sie vor den Blicken der Neugierigen späterhin zwar nicht weniger sorgfältig, aber dann nur aus dem Grunde, weil er zu bescheiden, oder, gestehen wir's offen, zu vorsichtig war, um mit der Hochfluth jener schmutzigen, aber doch allbegehrten Scheidemünze, wie sie sich in seiner Kasse Tag für Tag anhäufte, den Neid und die Mißgunst zu erregen. Während ihm zu Anfang eine winzige Kassette, die seine Frau als Hochzeitsgeschenk erhalten, zur Aufbewahrung der

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aus der Tageskasse zurückgelegten Gelder mehr als genügt hatte, sah er sich in ein paar Jahren genöthigt, einen eisernen Geld­kasten anzuschaffen, dessen Inhalt ihm so theuer war, daß er ihn nicht nur stets mit einem diebessichern Schlosse verbarrikadirte, sondern daß er den Kasten auch mit eisernen Klammern an den Fußboden befestigte.

So war der Herr Alster ungefähr fünfzehn Jahre Kolonial­waarenhändler und sechs Jahre Hausbesißer gewesen, als ihn seine Mitbürger als Vertreter ihrer Interessen seiner vielseitigen Verdienste wegen in das Stadtverordnetenkollegium wählten. Dort that Herr Alster sein Möglichstes. Er erfreute sich in hohem Grade der Gottesgabe, welche man ein gutes Mundwerk zu nennen pflegt, und glänzte infolge dessen bald als großer Redeheld, zumal in der Stadtverordnetenversammlung viele treff liche Bürger saßen, die es im Schweigen selbst mit einem noch größern Schweiger hätten aufnehmen können, als es der General­feldmarschall Moltke   ist; dafür aber in Reden wirklich recht schwach waren.

Und Erfolg hatte die aufreibende oratorische Thätigkeit, der sich Herr Stadtverordneter Alster hingab, gleichfalls ganz beden­tend; erstens für ihn, indem er in alle möglichen Kommissionen und Deputationen gewählt wurde und überall sein gewichtiges Wort schwer in die Wagschale der Entscheidung fiel, zweitens auch für seine Mitbürger in der Obervorstadt, in deren Interesse er für Pflasterung und Beleuchtung einer ganzen Reihe von Straßen sorgte, die im Sommer der Wüste Sahara   geglichen und im Früh­ling und Herbst, meist auch im Winter, eine auffällige Aehnlichkeit mit den pontinischen Sümpfen gezeigt hatten. Sehr häufig wußte er den Vortheil seiner Mitbürger und seinen eigenen in beinahe genialer Weise gleichzeitig wahrzunehmen; so z. B. als eine neue Verbindungsbahn zwischen dem Hauptbahnhof in der Altstadt und dem Güterbahnhof jenseits der Obervorstadt gebaut werden sollte. Da bewies denn Herr Alster in der Stadtverordnetenversammlung in einer Rede, die allgemein als ein Meisterstück populärer Be­redsamkeit bewundert wurde, von wie ungeheurer Wichtigkeit es für die ganze Stadt, ebenso wie für die Eisenbahngesellschaft, für das gesammte reisende und seine Frachtgüter auf der Eisenbahn versendende Publikum nicht minder als für den Staat, ja sogar für den Kulturfortschritt der Menschheit wär, daß die Verbindungs­bahn quer durch die Obervorstadt hindurch gelegt würde. Und richtig! Die klugen Kollegen in der Stadtverordnetenversammlung sahen es ein und beschlossen, ihre Genehmigung zu dem Bau der

V. 11, October 1879.