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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

No 7.

1880.

Erscheint wöchentlich.

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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig.

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In Heften à 30 Pfennig.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Bostämter.

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Rudolph von B...... ( Fortsetzung.)

Auf dem tiefgefurchten Antlitz des alten Herrn zeigte sich wieder jener bittere, schmerzliche Zug, den Friß schon oft bemerkt hatte. Seit der Zeit, lieber junger Freund, habe ich ein Leben geführt, das mich fast nie zur Besinnung auf mich selbst, zum Verkehr mit meinen Mitmenschen, zur Beschäftigung mit den Weltereig| nissen kommen ließ. Korrigiren und abschreiben es wird Ihnen gleichfalls nicht unbekannt geblieben sein, daß mir mehrere der Professoren unserer Universität ihre über die Maßen unleser lichen Manuskripte zum Abschreiben, zuweilen auch zum Druckreif­machen, zu übergeben pflegen! abschreiben und korrigiren von abschreiben und korrigiren von früh um 5 Uhr mit ganz kurzen Unterbrechungen bis abends gegen 11 Uhr, und manchmal noch länger das füllte meine Zeit, das stumpfte meinen Geist ab beinahe bis zur Denkunfähig feit. Jetzt ist es grade ein halbes Jahr her, daß ich anfing, in eine Lage zu kommen, in der ich mich ein wenig besser fühlen konnte, als das Arbeitsthier in der Tretmühle. Der junge Gandersberg erhöhte von freien Stücken meinen Gehalt, sodaß ich bei meinen durch die vieljährige bittere Noth tief herab­gedrückten Bedürfnissen im stande war, auf die geisttödtendste unter meinen geisttödtenden Arbeiten, auf das Abschreiben, zu verzichten. Seitdem besuche ich auch regelmäßig zweimal in der Woche dieses Lokal hier, wo in ganz B. die meisten Zeitungen zu finden sind, und suche wieder einige Fühlung zu gewinnen mit der Welt und den Ereignissen des öffentlichen Lebens. Heute nun bin ich auf's neue einen mächtigen Schritt vorwärts gekommen auf der Bahn zu einem wenigstens einigermaßen sorgenlosen Lebensabend. Die Hoffnung, schließlich doch irgendwo an einer Privatlehranstalt eine Anstellung zu erhalten, hatte mich die ganze frostlose Zeit über nicht verlassen. Freilich hätte ich in den letzten Jahren eine solche, so lang ersehnte Anstellung nicht einmal an­nehmen dürfen, denn ich war ja lange aus jeder für mich nuß bringenden Berührung mit der Wissenschaft herausgekommen, hatte, weit davon entfernt, mit der Wissenschaft fortzuschreiten, schmerz erfüllt, aber machtlos gegen mein Mißgeschick, wahrnehmen müssen, wie die mit den Jahren zunehmende Vergeßlichkeit die Lücken meines Wissens beständig erweiterte. Seit ich aber nun die meisten Tage in der Woche wenigstens von 7 oder 8 Uhr abends, frei habe, ist es mir vergönnt, mich auch wieder hinter meine lieben alten Bücher zu setzen, und auch ihrem jungen prächtigen Nachwuchs die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken; sodaß es mir getang, zunächst auf dem mir liebsten Wissensgebiete, dem unsrer herrlichen deutschen Literatur, die gefährlichsten Breschen

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zu füllen. Deswegen konnte ich es denn mit meinem Gewissen vereinbaren, den ehrenvollen Antrag dankbar anzunehmen, welcher mir heute durch die Vermittlung unsres braven jungen Gandersberg gemacht worden ist. Eine Anzahl wohlhabender Familien will nämlich ihren Töchtern Vorträge über literarhistorische Gegen­stände halten lassen, und sie haben mich ersucht, diese Vorträge zu übernehmen. Ich soll wöchentlich dreimal Sonntags zwei Stunden, Dinstags und Freitags je eine Stunde vortragen, und dafür ein Honorar von monatlich 40 Thalern empfangen. Die Zahl der Zuhörerinnen ist dabei auf zehn beschränkt und die Dauer des Engagements auf ein Jahr garantirt. Ich habe so für dieses nächste Jahr ein sicheres Einkommen von monatlich 75 bis 85 Thalern, kann ganz ausgezeichnet leben und studiren, und gedenke mir sogar sehr bequem ein paar hundert Thälerchen als Nothpfennig zurücklegen zu können. Und nun begreifen Sie, lieber Lauter, warum ich heute fröhlich war und so redselig, als wenn Sie Ihre Zeit gestohlen hätten, Sie guter, geduldiger junger Mann. Sie werden froh sein, wenn Sie heute den alten Schwäger los sein werden, gestehen Sie's nur ganz ruhig ein!"

Frizz versicherte der Wahrheit gemäß, daß ihn die Erzählung des alten Herrn auf das lebhafteste interessirt haben würde, wenn sie auch noch einmal so lang gewesen wäre.

" Ich hätte es garnicht für möglich gehalten," sagte er, daß so etwas einem Menschen passiren könnte. Es packt einen ja ein Grausen, wenn man bedenkt, daß vor solch einem Schicksal am Ende kein Mensch sicher ist."

Herr Klose zuckte die Achseln und seufzte. Wenn die Zeiten. auch besser und die Menschen menschlicher geworden sein mögen im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts, so scheinen mir doch die Parteileidenschaften auch heute noch, wie zuvor, viel zu erreg bar, das Humanitätsgefühl noch viel zu sehr eingedämmt und abgeschwächt vom Nationalitäten- und Klassenhaß, von Meinungs­feindseligkeit und Unduldsamkeit, als daß ich ein derartiges Nieder­getretenwerden eines harmlosen Einzelnen von dem Gange der politischen Geschehnisse für gänzlich nnmöglich halten könnte. Aber so leicht ist es doch nicht mehr möglich; in weit größeren Kreisen des Volkes als früher macht sich jetzt politisches Bewußtsein geltend, ein reges und nicht mehr ganz an der Oberfläche des Wissens haften bleibendes Bildungsbedürfniß hat sich der Leute, der Höher­gestellten sowohl als der Niederen bemächtigt, das dentet mit Sicherheit auf ein rasches Fortschreiten des Zeitgeistes und damit

V. 15, November 1879.