Die Zene Well
№ 1.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mart 20 Pfennig.- In H.ften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Dem Schicksal abgerungen.
Novelle von Rudolph von B......
Fritz Lauter hieß er, war ein junger Schweizerdegen und stand bei Gandersberg u. Komp. in der mittelgroßen Provinzial- und Universitätsstadt P.
Doch die geneigten Leser, und mehr noch die lieben Leserinnen werden nicht wissen, was das heißt, ein Schweizerdegen sein und stehn bei Gandersberg und Komp.
Nun, es heißt gar nicht wenig, denn es will sagen, daß Frizz Lauter ein Buchdrucker ist, wie er im Buche steht, der eben so gut als Schriftseter hinter dem Setzkasten stehn und zum Sterben unleserlich geschriebene Manuskripte in unsterbliche gedruckte Werke umsetzen oder an der Schnellpresse als Maschinenmeister hantiren und das Gesetzte nöthigenfalls in 100,000 Exemplaren vervielfältigen kann.
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Frizz Lauter befindet sich in seiner Eigenschaft als Buchdrucker, wie er sein soll, und troß seiner Jugender ist erst 20 Jahre alt auch in ganz vortrefflicher Lebenslage, er steht in gewissem Gelde, d. h. er hat einen festen Wochenlohn und zwar von 9 Thalern, und kann damit als Buchdruckergehilfe ein anstän diges und behagliches Leben führen. Und ein unbesorgtes Leben dazu. Denn wer einmal bei der alten und soliden Firma Gan dersberg u. Komp. ein Unterkommen als Beamter oder als Arbeiter gefunden hat, der braucht nur seine Pflicht zu thun, um seine Existenz auf die Dauer zu sichern. Arbeit gibt es hier Jahr aus Jahr ein die Hülle und Fülle und vom Wechseln ihres Personals halten die Herren Gandersberg, Vater und Sohn, der Tradition ihrer Vorfahren folgend, nicht viel.
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Da steht sich's freilich gut für jeden Buchdrucker bei Gandersberg u. Komp. wird mancher Leser rufen wollen. Und das ist auch ganz richtig- nur sieht man es ihm heute nicht an, dem Frizz Lauter, trotz des schönen Sommerwetters, das durch die großen Fensterscheiben des Segersaales auf die emsigen Arbeiter herniederlacht; und auch die letzten 14 Tage hatte schwerlich jemand etwas von großem Behagen in den hübschen und für seine Jahre recht männlichen Zügen des kräftigen jungen Mannes zu entdecken vermögen.
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Sehr ernst schaute er drein; hatte er sich sonst schon wenig an den Gesprächen und Scherzen der Kollegen betheiligt, so war er jezt ganz stumm geworden. Er arbeitete nur noch fleißiger als zuvor, aber merkwürdig!- er arbeitete gar nicht mehr so gut als sonst. Der Korrektor hatte bei ihm immer leichte Arbeit gehabt; oft hätte man dem Korrekturbogen nicht angesehn, ob das spähende Auge des alten Herrn Korrektors Klose schon von Zeile zu Zeile, von Buchstabe zu Buchstabe darüber hinweggegangen
V. 4. October 1879.
1880.
[ 1879]
sei, wenn nicht das mit Blaustift an dem Ende des Bogens gezeichnete V. bestätigt hätte, daß auf der langen Korrekturfahne auch nicht ein Komma am unrechten Flecke gestanden. Jetzt war das, wie gesagt, anders. Die für den Unbetheiligten ergöglichsten Saßfehler waren dem Fritz Lauter in den letzten Tagen durch den Winkelhaken geschlüpft. Er hatte z. B. eine Schauspielerin des P'schen Sommertheaters, welche der dem schönen Geschlechte gegenüber äußerst begeisterungsfähige Theaterrezensent Feldau die Blume des gesammten Künstlerthums genannt, zur Blame des gesammten Künstlerthums gemacht, und der alte Selose, gewöhnt, die von Frizz Lauter gesetzten Artikel nur rasch zu überfliegen, hatte ihn unbehelligt in die Welt gehen lassen, diesen schmachvollen Druckfehler, wie ihn der ganz in Verzweiflung gerathene Herr Feldau genannt, nachdem ihm seine lieben Freunde im Kaffee hohnlächelnd Komplimente über die Unbestechlichkeit und Furchtlosigkeit seiner Kritik gemacht hatten. Nebenbei waren Hochzeiten und sogar Leichen nichts gar seltenes gewesen in seinem Sazze, d. H. er hatte ganze Worte und größere Sattheile doppelt gesetzt oder ganz weggelassen kurz er war, wie mit einem Schlage, aus einem sehr tüchtigen, sorgsamen und zuverlässigen Seßer ein ziemlich mittelmäßiger geworden der Spott seiner Kollegen, deren alle Zeit fertige Wigfabrikate ungefähr dasselbe Lob verdient hätten, wie die Ausstellungsobjekte der deutschen Industrie auf der Weltausstellung zu Philadelphia dieser derbe Spott ließ nicht auf sich warten; die einen sprachen die Vermuthung aus, Frizz Lauter arbeite in Gedanken an einem Trauerspiel, worin er selbst die traurige Figur spielen wolle, die andern meinten, er wolle Leichenbitter werden oder mache Gedichte auf irgend eine unbekannte und unerreichbare Geliebte u. s. w.
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Aber die Versuche, zu erforschen, woher die langanhaltende Verstimmung des sonst zwar nicht sehr gesprächigen, aber niemals auffällig niedergeschlagen gewesenen jungen Mannes rühre, blieben lange vergebens. Er wurde nur immer finsterer und zuweilen legte sich noch ein Zug geringschäßiger Bitterkeit um seine Lippen, wenn es ihm der Uebermuth der Arbeitsgenossen gar zu arg trieb. Endlich hatte einer der Setzer, ein pfiffiger, beweglicher, wenn auch gar nicht mehr junger Bursche, vielmehr ein vierzigjähriger verwitterter Hagestolz, Namens Därmig, der sich was darauf einbildete, alle Neuigkeiten zuerst zu wissen, und alle möglichen, dem allgemeinen Stadtklatsch sich entziehenden Geschichten zu erschnüffeln, es glücklich herausgebracht wie er wenigstens meinte, was die sonderbare Veränderung in dem Benehmen Fritz Lauters verschuldet haben mußte.
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