Die Aene Bell

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volt.

No 6.

Erscheint wöchentlich.

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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig.

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In Heften à 30 Pfennig.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Rudolph von B...... ( Fortsetzung.)

Um die übrigen Gäste hatte sich der alte Herr wenig ge­fümmert. Nur hin und wieder, wenn irgendwo ein besonders lautes Wort fiel, warf er wohl unter seinen buschigen Augen­brauen hervor einen prüfenden Blick auf den Sprecher. Dann aber vertiefte er sich sofort wieder in die Lektüre seiner Zeitungen, bis ihn auf einmal eine wohlbekannte Stimme mit ,, Guten Abend, Herr Klose!" anredete.

Sie hier, lieber Lauter? Ah, Sie bringen mir heute die Korrekturen?"

Es war in der That Friz Lauter, welcher dem Lehrling, der an gewissen Tagen in der Woche dem alten Korrektor Klose einen Theil seiner Korrekturen in das Restaurant zu bringen hatte, diesmal den Gang abgenommen. Der Lehrling, ein wilder Junge von 15 Jahren, hatte sich beim Treppenhinunterspringen den Fuß verstaucht und mußte nachhause geschafft werden. Von den übrigen Lehrlingen und Markthelfern des Geschäfts war, da die Arbeitszeit längst verstrichen war, als jener Unfall passirte, feiner mehr in der Druckerei gewesen, während Fritz Lauter mit einem oder zwei anderen Segern, einer besonders dringlichen Arbeit halber, eine Stunde länger als gewöhnlich gearbeitet hatte.

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Frizens Absicht, das Restaurant Weinhold nach Ablieferung der Korrekturen sofort wieder zu verlassen,- es war ihm viel zu elegant und, wie er vermuthete, viel zu theuer für ihn, scheiterte an der freundlichen Einladung des alten Herrn Klose, einen Augenblick an seiner Seite Platz zu nehmen und mit ihm ein Glas Bier zu trinken.

Mich hat heute einmal wieder ein Lichtblick des Glückes, möchte ich sagen, gestreift," sagte Herr Klose. Es ist mir das seit sehr langem nicht geschehen, und da sehne ich mich denn mehr als gewöhnlich nach Gesellschaft, nach einer theilnehmenden Menschenseele. Opfern Sie einem alten, vereinsamten Menschen darum eine halbe Stunde, lieber Lauter, und schauen Sie nicht gar so finster drein, wie es seit einiger Zeit Ihre Gewohnheit zu sein scheint. Die Jugend zum mindesten sollte noch froh und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken."

Frizz setzte sich und wollte antworten, ohne sich jedoch rasch genug klar zu werden, wie er seine Verstimmtheit motiviren sollte. Herr Klose mochte seine Verlegenheit bemerken, denn er nahm selbst wieder das Gespräch auf.

" Ich glaube gern und weiß es aus vielfacher Erfahrung, daß auch einem jungen Mann der Himmel nicht immer voller Geigen hängt. Aber wenn solch einem Pechvogel, wie ich bin,

1880.

[ 1879]

auf seine alten Tage noch etwas passirt, was ihn so recht von Herzen freut, so kann das jeder, dem es nicht nach Wunsch geht, als eine Mahnung betrachten, den Glauben an eine Wendung der Dinge zu seinen Gunsten nicht aufzugeben."

"

Von Herzen nehme ich theil an Ihrem Glücke, Herr Klose, gewiß," sagte Frizz Lauter, der wirklich für den grauhaarigen, gutmüthigen und unermüdlich arbeitsamen Mann von Anfang an lebhafte Sympathie empfunden hatte.

Das glaube ich," nickte Herr Klose, glaube ich gern. Sie haben ein Gesicht, das nichts zeigt von den herben Linien jener Selbstsucht, die sich nur um das Wohl und Wehe der eignen Person kümmert. Darum will ich Ihnen auch erzählen von dem freilich an sich gar unbedeutenden Glückszufall, der mich heute in so gute Laune versezt hat. Und ich will ein wenig weit aus­holen,- Sie werden wohl nicht viel des Näheren wissen von meinem schlimmen Geschick, das anfangs mit mir hoch hinaus zu wollen schien, aber es nur gethan hat, um mich desto tiefer stürzen zu können. Sehen Sie, mir lachte vom ersten Tage meines Lebens an das Glück, Sie sehen mich ungläubigan, aber es ist doch so. Ich ward als Kind wohlhabender und sehr verständiger Eltern geboren, erhielt eine sehr sorgfältige Erziehung, konnte das Gymnasium und die Universität in möglichst kurzer Zeit und mit den besten Zeugnissen absolviren, und ward sofort, nachdem ich meine Examina gemacht hatte, mit einem für die damalige Zeit ausgezeichneten Gehalt als ordentlicher Gymnasial­lehrer es war Mangel an qualifizirten Leuten bei einem Staatsgymnasium angestellt. Ich war ein gemachter Mann, ich hatte Aussicht auf eine glänzende Karriere, träumte schon von einer Stellung als Gymnasialdirektor oder Universitätsprofessor, als Schulrath oder als vortragender Rath im Ministerium, ich schaute mich um unter den Töchtern des Landes nach einer Lebens­gefährtin und verlobte mich auch mit der schönen Tochter eines Regierungsbeamten, bei dem der Umstand, daß er sechs Töchter unter die Haube zu bringen hatte, wohl zu Gunsten des ihm an Rang noch lange nicht ebenbürtigen Gymnasiallehrers gesprochen haben mochte, kurz, ich war so glücklich als möglich, bis es anders wurde."

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Der alte Herr hielt inne; sein Auge hatte geleuchtet, als er von dem so prächtig hoffnungsvollen Beginn seiner Lebenslauf­bahn gesprochen hatte, jezt umschleierte es sich wieder und seine Stimme wurde leiser, als er fortfuhr:

Wir schrieben die verhängnißvollen Jahre 48 und 49; der

V. 8. November 1879.