Love Well

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

3.

Erscheint wöchentlich.

-

-

1880.

In Hften à 30 Pfennig.

Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Rudolph von 33...... ( Fortsetzung.)

Seltsam erregt und bewegt! In der That! Aber wenn die verehrten Leserinnen, gleich den Kollegen Friz Lauters im Sezer saale, daraus schließen wollten, daß Friß sich über Hals und Kopf verliebt hatte in seine dereinstige Spielgenossin, so würden sie irren gleich jenen. Trotz seiner zwanzig Jahre war er viel zu überlegt und ruhig, um so rasch hingerissen zu werden. Der erste Eindruck des unerwarteten Wiedersehens war allerdings ein mächtiger, beinahe verwirrender gewesen, und während der wenigen Minuten in Wandas Gesellschaft hatte ihn die Haft der Ereig­nisse nicht mehr zur Besinnung kommen lassen. Auf dem Wege nach Hause begann er jedoch nachzudenken über das, was ge­schehen und was er gesehen und der Frost, welcher ihn trotz der ziemlich warmen Abendtemperatur und trotz seiner dicken Ein­hüllung allmälich zu schütteln begann, trug wesentlich dazu bei, seine Gedanken fühl und nüchtern zu gestalten.

-

Wanda war ganz das natürliche, liebe Kind wie früher, und dafür hatte Fritz Lauter auch ein Auge gehabt ein sehr hübsches, man könnte wohl sagen, ein reizendes Mädchen! Wie gern hätte Fritz den alten kindlich freundschaftlichen Verkehr mit ihr wieder aufgenommen-- aber Wanda war zu alledem leider ein reiches, sogar ein vornehmes Mädchen. Merkwürdig, wie rasch die Leute heutzutage vornehm werden können! Frizz hatte ein sehr gutes Gedächtniß und entsann sich genau des Ver­hältnisses, in dem Herr Alster   vor zehn bis fünfzehn Jahren zu seinem Vater gestanden, der als höherer Steuerbeamter eine all­gemein geachtete gesellschaftliche Stellung eingenommen hatte. Wie hatte Herr Alster vor Glückseligkeit gestrahlt, als ihm der joviale Lauter einst bei seiner Geburtstagsfeier, die Herr Alster   durch eine Maibowle verschönern zu dürfen sich ausgebeten hatte, das vertrauliche Du angeboten. Mit welchem Stolze hatte Herr Alster sich bei jeder Gelegenheit in die Brust geworfen und be­theuert: Mein Freund, der Obersteuereinnehmer selbst, hat mir gesagt, Alster, ich versichere dich, die Sache verhält sich so oder so! Damals war dem Herrn Alster   von Vornehmheit noch nicht die Spur anzusehen gewesen; und die paar Jahre darauf, als Alster ins Stadtverordnetenkollegium gekommen war, ging es mit ihm noch viel schneller empor auf der Leiter der öffentlichen Werthschäzung und des persönlichen Glückes, als es mit der ihres Ernährers beraubten Familie Lauters bergab ging. Ja, die Mutter unseres Fritz, die sich Tag und Nacht abquälte, um erst durch Sticken und später, als das gar zu elend bezahlt wurde, durch Handschuhnähen das nöthigste zu ihrer kümmerlichen Wittwen

[ 1879]

pension hinzuzuverdienen, da ihre bereits verheiratheten oder sonst selbstständig gewordenen Kinder mit ihrer eigenen Existenz hart genug zu kämpfen hatten und nicht im Stande waren, sie in erwähnenswerther Weise zu unterstüßen, die Mutter, das hatte Fritz oft genug mit seinem scharfen Knabenauge beobachten können, war von ihren nächsten Bekannten sogar bestenfalls mitleidig über die Achsel angesehen worden, gar manche liebe Freundin aus besseren Tagen that grade so, als ob die arme Frau selber schuld sei an der Dürftigkeit ihrer Lage; man war nicht selten herzensroh genug, ihr, wenn sie sich ein Wort der Klage ent­schlüpfen ließ, mit dem alten thörichten Sprichwort zu antworten: Wer da spart in der Zeit, der hat in der Noth."

-

Wie zogen dagegen die Leute vor Herrn Alster von Jahr zu Jahr tiefer den Hut! Als er Stadtverordneter geworden, nannte man ihn wohlwollend einen angesehenen Mann; nachdem er sein Haus so glänzend verkauft und ins Thal gezogen war, ward er ein vorzüglicher, hoch angesehner Mann; als es stadtkundig wurde, daß er durch die Betheiligung an Eisenbahn- und anderen Aktien­unternehmungen in wenigen Jahren hunderttausende von Thalern verdient hatte, erhielt er den ersten und bald darauf einen zweiten Orden und wurde bei seinem vor kurzem stattgehabten 25jährigen Bürgerjubiläum als allverehrter, hochverdienter Mitbürger von aller Welt angefestredet und angehocht.

Frizz Lauters Mutter hatte jene Zurücksetzung nicht verdient; ob Herr Alster sein Emporkommen wirklich verdient haben mochte? Wie man nur in wenigen Jahren so ungeheuer viel Geld ver­dienen kann! Und wenn der eine so viel sich zu erschwingen, so hoch empor zu kommen vermochte, sollte das nicht jeder gescheite, fleißige und energische Mensch auch können? Wenn es mit rechten Dingen zugegangen war bei Herrn Alster, wenn er im edlen Sinne des Wortes wirklich verdient, was er errungen warum nicht? Gewiß, es mußte möglich sein! Das waren die Gedanken, welche in Frizz Lauter aufzutauchen anfingen auf der Fahrt aus dem Thal in die Obervorstadt am Tage jenes unfrei­willigen Bades, und welche er in der nächsten Zeit nicht wieder abschütteln konnte.

-

Er war ganz dazu angelegt, nicht eher zu ruhen, bis er ein Räthsel gelöst, das ihn zu quälen begonnen. Flugs hatte er sich vorgenommen zu erforschen, wie es wohl Herr Alster gemacht habe, daß er so reißend schnell zu Ansehn und Reichthum gelangt. Daß er sich dabei keine ganz leichte Aufgabe sezte, wußte er, und das grade reizte ihn. Als Junge schon hatte er seine Mutter

V. 18, October 1879.