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liebten, gewandt, sondern es werden Handlungen und Ereignisse aus dem Leben Dritter berichtet. Da entstehen die Götter und Heldenlieder und aus dieser Dichtungsgattung, so weit die Sache verfolgbar, ist bei allen Völkern die Geschichtsschreibung ent feimt und erwachsen. Hier ist das enge Verhältniß zwischen Poesie und Leben, die enge gegenseitige Beziehung zwischen Dich ten und Geschehen ganz klar. Die ältesten erhaltenen Helden­sagen aller Völker, auch bei uns Deutschen  , enthalten geschicht liche Erinnerungen in Hülle und Fülle, aus denen sich auf Ver­hältnisse und Zustände altersgrauer Vorzeit werthvolle Schlüsse ziehen, oft auch einzelne geschichtliche Thatsachen feststellen, be deutende Persönlichkeiten in ihrem Charakter und in ihren Thaten erkennen lassen, der Mit- und Nachwelt zu rühmlicher Nachahmung oder als warnende Beispiele.

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zu berichtigen, der, lange Jahre geglaubt, vielleicht heute noch hier und da lebendig ist. Es ist nämlich festzustellen, daß man mit Unrecht im vorigen Jahrhundert, als man für deutsches Alterthum liebevollen Antheil und warmes Interesse an den Tag zu legen begann, seitens Klopstocks   und der politisch gesinnungs­verwandten Männer, von einer Sängerkaste der Barden geredet und gesungen hat, die man als Parallelen zu den nordischen Stalden anzunehmen sich berechtigt glaubte, ja sogar in deren muthmaßlicher Art und Weise dichtete. Die sogenannten Bar­dieten, Bardenlieder, sind jedoch ein Hirngespinnst, welchem jede historische Beglaubigung fehlt. Wort und Sache hat man in dem Wort Barritus in des Tacitus Germania erkennen wollen, in einem Buche, in welchem der Römer Wohnort, Eigenschaften, Sitten und Gebräuche des naturwüchsigen Volfes der Deutschen  fräftigen Menschenschlages nach Art Rousseaus den naiven Natur­menschen als Gegensatz und Vorbild für seine an Hyperkultur leidenden Landsleute aufstellte. Daraus aber, und aus wenigen weiteren kurzen Notizen eine altdeutsche Sängerkaste zu kon­struiren, war sicher eine irrige Uebertreibung.

Jedenfalls aber kann diesen Gesängen, von welchem Tacitus  berichtet und die bei Beginn der Schlachten von den Germanen gesungen zu werden pflegten, ihr hochpolitischer Charakter nicht abgesprochen werden; hier trat die Poesie aus der Sphäre der bloßen Empfindung heraus und begeisterte die Singenden selbst zu höchster politischer Kraftbethätigung, zur Erhebung des be­wehrten Armes im blutigen Kampfe der Feldschlacht.

Auch unser deutsches Alterthum, von dem also wir hier beschilderte und mit dieser ethnographischen Skizze eines gesunden sonders reden wollen, nahm seine poetischen Stoffe nicht nur aus dem Schage der frei erfundenen oder aus sinniger Naturbetrach tung erwachsenen Göttersage, sondern, wie beim einfachen lyrischen Lied, gab der volle gegenwärtige Zustand eines Volksstammes, seine Gesammtstimmung, den Anlaß zu lyrisch- epischen Gesängen, an Personen und Ereignisse der allerjüngsten Vergangenheit knüpfte die dichterische Schöpfung an, aus dem großen vollen Leben ihrer Gegenwart nahm diese ihre Stoffe. Poesie und poli= tische Geschichte des Volfes traten in innige Wechselbeziehungen, sei es nun, daß dem Hörer das Vergangene nur zum Genuß vorgeführt ward, sei es, daß in ihm eine gewünschte Stimmung absichtlich und künstlich hervorgerufen oder gesteigert werden sollte, welche gegebenen Falls sich wieder in eine That umseßen fonnte. So schrieb der griechische Tragödiendichter Aeschylos  seine Berser", anknüpfend an den Sieg der Hellenen über jenen asiatischen Barbarendespoten, so sang Tyrtäus   den gegen die Messenier zu Felde ziehenden Spartanern seine muthentslammen den Marsch- und Schlachtlieder, so benutzte der weise Solon   sein Dichtertalent, um unter dem Deckmantel erheuchelten Wahnsinns die in träger Ruhe sich verliegenden Athener   durch seine Ode über die Insel Salamis   vorwärts zu treiben auf dem Wege, der sie später an die Spiße von ganz Griechenland   führen sollte. Die Geschichte aller Literaturen gibt zahlreiche Beispiele, wie die Poesie den politischen Ereignissen vorausgeht, gleichwie nach der hebräischen Sage, der Herr in einer Feuersäule vor dem Volfe Israel   auf seinem friegerischen Zuge einher wandelte.

Lieder und Thaten der Völker gehen bald gleichzeitig neben­einander her, bald rufen die einen die anderen hervor, bald sind die einen den anderen gefolgt. Diese geschichtlichen oder poli Diese geschichtlichen oder poli­tischen Lieder, welche wir speziell betrachten wollen, entstehen innerhalb des Laufes der Ereignisse, gewissermaßen selbst ein Stück Geschichte, sie sind selbst eine Seite des lebendigen Trei bens, welches sich in ihnen abspiegelt.

Sagen wir es furz und gut, was diese politischen oder ge schichtlichen Lieder sind und bedeuten: sie entsprechen vollkommen unserer heutigen Presse im Wesen, in Aufgaben und Zielen. Für die große Oeffentlichkeit gedichtet und gesungen, sollen sie auf die Menge, oder wie es gelehrter heißt, auf das Publikum einwirken. Zunächst schaffen sie diesem Kenntniß von wichtigen Ereignissen und Thaten, dann bezwecken sie die Erregung von freundlicher Theilnahme für glückliche Ereignisse, für geachtete und schätzenswerthe Personen, oder von Mitleid mit schweren Unglücksschlägen, sowie von Entrüstung und Mißbilligung gegen verwerfliche Charaktere und gemeinfährliche Menschen. Ist ja das ganze Zeitungswesen unserer Tage, welches ganz genau die selben Funktionen hat, auch aus diesen poetischen Kundgebungen der öffentlichen Meinung entstanden, die uns in der Zeit des Druckes als fliegende Blätter", als Newe Zittungen"( Neue Zeitungen) entgegentreten!

Die Dichtung als der Mund der öffentlichen Meinung wird uns am Klarsten, wenn wir die politischen Volkslieder betrachten, bei denen gar oft ein Verfasser nicht feststellbar ist, die vielleicht oft das Resultat gemeinsamen Dichtens, von ,, Kollektivarbeit", sind und dann folgerichtig die allgemein herrschenden Anschau ungen am wahrsten zum Ausdruck bringen. Es kann nun nicht unsere Aufgabe sein, mit historischer Genauigkeit eine vollständige Geschichte des politischen Liedes der Deutschen zu geben: wir wollen nur die wichtigsten Erscheinungen dieses Gebietes aus­heben und an ihnen die Bedeutsamkeit dieser Kunstschöpfungen für das wirkliche Leben des Volkes aufzeigen.

Was die ältesten, der Forschung zugänglichen Zeiten der deutschen Geschichte anlangt, so gilt es zunächst einen Irrthum

Ueber Form und Inhalt dieser Lieder ist freilich nichts weiter bekannt, als daß in ihnen die heidnischen Gottheiten und Stammes­über: sie feierten den Tuisco und Mannus in Liedern, welche helden unserer Altvorderen gefeiert wurden. Tacitus   sagt hier­über: sie feierten den Tuisco und Mannus in Liedern, welche bei ihnen die einzige Art geschichtlicher Ueberlieferungen sind.

Anders ward es, als das Christenthum, die Religion der Liebe, den streitlustigen, schwertgewandten Germanen durch List und Intrigue, oder auch mit Fuer und Schwert gepredigt und aufgedrungen wurde. Das Vertünden des Reiches, welches nicht von dieser Welt ist, dämpfte einigermaßen die urgermanische Streit und Thatenlust, zugleich aber auch Thatkraft, und trug nicht wenig dazu bei, die Einzelnen zu nöthigen, sich in ihr In­neres zurückzuziehen und ihnen das Bewußtsein ihrer Rechte und Pflichten in der freien Gemeinde vergessen zu machen, wenig stens so weit selbständiges politisches Handeln in Betracht kam. Diese ganze Tendenz war natürlich eine dem alten politischen Liede feindliche, welche sich von Anfang an in Verfolgung und Unterdrückung desselben seitens der Geistlichkeit bethätigte und unter Ludwig dem Frommen" sich auch den weltlichen Arm zu dieser Art ,, Kulturkampf" dienstbar machte, wie zahlreiche Capitularien und allerlei Verordnungen beweisen. Ganz ent behren konnte man das Lied seines zum Theil' ja auch gottes­dienstlichen Charakters wegen freilich nicht; ja, auch seine poli­tische Verwendbarkeit leuchtete den Herren vom Räucherfaß und der Tonsur ein und im gegebenen Falle bedienten sie sich dieses gewaltigen Hilfsmittels zur Begeisterung der Massen, um ihre Sonderzwecke zu erreichen, recht gern.

In der folgenden Epoche tritt uns auch der Klerus als Hauptträger der Dichtung entgegen, die in der ganzen Haupt­sache freilich, soweit sie erhalten ist, dürr und öde genug aus­sieht und im wesentlichen nur Taufformeln und Abschwörungen des heidnischen Aberglaubens, Gebete, Predigten, Glaubens­bekenntnisse und dergleichen aufweist. Allerdings war der Volks­gesang nicht ganz auszurotten, ja die Kleriker selbst dichteten und sangen weltliche, sogar Liebeslieder, aber die schriftliche Ueberlieferung war schon leichter zu unterdrücken seitens der geistlichen Gensdarmerie. Auch in der weltlich- politischen Poesie trieb der kirchliche Zug der Zeit sein Spiel. So heißt es im Ludwigslied, welches den Sieg des australischen Königs Lud­ wig II.   über die heidnischen Normannen in der Schlacht bei Soucourt( 881) feiert, der König habe die Schlachtfahne erhoben, Schild und Speer genommen und weiter heißt es:

Ther kuninc reit kuono sanc lioth frono

ioh alla saman sungon kyrie eleison!

( Der König ritt kühn voran, sang ein heiliges Lied und alle zu­sammen sangen: Kyrie eleison, d. i. Herr erbarme dich!).

In diesem Kyrie eleison haben wir ein griechisches Anhängsel