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Hamburg.

Von W. Blos.

Wie die äußere Erscheinung Hamburgs   einen ganz besonderen Charakter und ganz merkwürdige Formen aufweist, so tragen auch die politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen ein für den Nicht- Hamburger fremdartiges Gepräge. Die Ueberreste aus den Zeiten der Hansa sind unverkennbar; sie haben sich theilweise sogar in den Benennungen einzelner Institutionen erhalten, wie ja auch die Stadt Hamburg   selbst in der Staatsverfassung als " freie und Hansestadt" bezeichnet wird. Dazu kommt die mittel­Dazu kommt die mittel­alterliche Verquickung des Staats- und Kommunalwesens,- Hamburg   ist Staat und Kommune zugleich; die Vertretung seiner Bürger ist zugleich Landesvertretung und Stadtverordneten­versammlung. Dies muß man im Auge behalten, wenn man richtig begreifen will, wie sich die Institutionen Hamburgs   im Laufe der Zeit entwickelt und ihre gegenwärtige Gestalt an­genommen haben. Als die Hauptsache dabei erscheint, daß Hamburg   von jeher ein unabhängiges Gemeinwesen war und bis zu einem gewissen Grade noch heute ist.

Hamburg  ( eigentlich Hammaburg, von Hand oder Hamma, was im Altfriesischen ein Stück Land, durch Flüsse oder Gräben begrenzt, einen eingedeichten und mit Wällen umgebenen Ort be­deutet) wurde zur Zeit der Kriege Karls des Großen mit den Sachsen   gegründet. Fränkische Heerhausen legten auf den An­höhen am Elbufer ein befestigtes Blockhaus an, um den Ueber gang über den breiten und reißenden Strom zu erleichtern. Um dies Blockhaus bildete sich nach und nach eine Stadt, die ver­möge ihrer vortheilhaften Lage bald im Norden eine große Be­deutung bekam. Als sie im neunten Jahrhundert zum Erz­bisthum gemacht wurde, gehörten in ihren Sprengel auch Island  und der damals von den Normannen entdeckte und bevölkerte Theil von Grönland  . Nach wechselvollen Schicksalen, während deren Hamburg   zwar an Blüthe zunahm, aber bald diesem, bald jenem brutalen Gewalthaber zufiel, erhielt die Stadt endlich von Friedrich Barbarossa   einen Freiheitsbrief, der ihr eigene Gerichts­barkeit, freies Weichbild, Fischfangrecht und 3ollfreiheit zu sprach. Diese Bollfreiheit von Hamburg   bis zum Meer" hat bis heute gedauert; sie wurde nur durch Napoleons   Kontinental­sperre unterbrochen. Heute ist sie allerdings mehr gefährdet als je im langen Lauf der Jahrhunderte. Diese Urkunde Barbarossa's verbriefte die Unabhängigkeit Hamburgs  . Bei all' seinen merk­würdigen Schicksalen wußte sich Hamburg   als ein unabhängiges Gemeinwesen oder als Freistaat zu erhalten. Allerdings be­schäftigte man sich in diesem Freistaat mehr mit Förderung der Handelsinteressen, als mit Schaffung demokratischer Einrichtungen. Es blieb bei der bloßen demokratischen Form; Hamburg   war und blieb eine Aristokraten- und Patrizierrepublik. Daher schwand die eigentlich reinpolitische Bedeutung Hamburgs   mit dem Hansabund; nachher war es blos Handelsmacht. Es ist allerdings heute noch Freistaat", aber innerhalb der deutschen  Reichsverfassung.

Die Geschichte Hamburgs   bietet ein äußerst farbenreiches Bild von äußeren und inneren Kämpfen. Alle Drangsale und Kata­strophen aber konnten den Aufschwung von Handel und Gewerbe nicht lähmen. Es bildete sich ein stolzes und troßiges Bürger­thum, das seine Stadt mit festen Wällen und Thürmen, seinen Leib mit Harnisch  , Schild und Sturmhaube zu schirmen wußte und das die räuberischen Ritter des Nordens in manchem blutigen Strauß auf's Haupt schlug. Zwar gelang es den dänischen und schleswigschen Fürsten einigemale, die Stadt in ihre Gewalt zu bekommen, aber sie wußte sich stets wieder frei zu machen, theils durch Gewalt, theils durch Loskauf. Um sich gegen die Ueber­fälle räuberischer Herzöge und Ritter zu schüßen, schlossen die nordischen Städte im zehnten Jahrhundert jeneu berühmten und gewaltigen Bund, die Hansa   genannt, dessen Flotten auf allen Samals befahrenen Meeren schwammen und die die Könige de müthigte, wenn sie die Städte oder deren Handel zn belästigen wagten. Hamburg   und Lübeck   waren die Seele dieser mächtigen Vereinigung, die weitaus die bedeutendste politische Erscheinung des Nordens zu jener Zeit genannt zu werden verdient. Die Hansa   war ein demokratisches Gemeinwesen; und es tritt offenbar in der ganzen deutschen   Geschichte keine so geeignete und vor­treffliche Grundlage für eine deutsche Föderativrepublik zutage,

wie sie die Hansa   gewesen. Wären unter den Führern der Hansa  mehr Leute mit politischem Blick und mit kühnen Ideen gewesen, so hätte wahrscheinlich die Hansa   eine Umgestaltung des größten Theils von Deutschland   in eine föderative Republik   nach sich ge­zogen. Aber die Führer der Hansa   waren auch weniger Politiker als Kaufleute. Sie erblickten in ihrer Gemeinschaft einen mäch­tigen Schutz für ihre Handelsinteressen und weiter nichts. Sie schlugen Könige und verjagten Herzöge, aber sie vermochten nicht, ein staatliches Ganze herzustellen. Das föderative Band, welches die Hansa   umschlang, war gar zu locker, und so löste sich der Bund im Laufe der Zeit wieder auf, der so Großartiges geleistet hatte. Aber die Hansestädte blühten. Hamburg   hatte sich 1189, nachdem Heinrich der Löwe   seine Nebenbuhlerin Bardaviek zer­stört, für 300 Mark die Quadern dieser Stadt angekauft und baute damit seine Wälle und Dämme. Von da ab war die Stadt stetig im Wachsen begriffen; 1311 zählte sie indessen erst 7000 Einwohner. Die Fehden, die sie führte, fielen durchweg glücklich aus. Die Seeräuber, welche den Handel sehr belästigten, wurden 1402 bei Helgoland   von der hamburgischen Flotte ge­schlagen und ihr Führer, der schon erwähnte, in Liedern und Sagen gefeierte Klaas Störtebeder mit 72 Genossen auf dem kleinen Grasbrook hingerichtet. Die hamburger Frauen und Jungfrauen beweinten die ,, ritterlichen Seeräuber" sehr, erzählt eine alte Chronik.

Aber es fehlte auch nicht an inneren Kämpfen. Lange Zeit verging, bevor die Rechtsverhältnisse einigermaßen geordnet werden konnten, denn die rohen Begriffe vom ,, Faustrecht" waren theil­weise auch in das städtische Leben übergegangen, und manchen Patrizier, dessen Schiffe alljährlich große Reichthümer brachten, gelüftete es, seine Mitbürger zu drücken, gleichwie den Bauern von den übermüthigen Rittern" und Krautjunkern geschah. Es herrschte in Hamburg   eine anmaßende und tyrannische Aristo­fratie. Andrerseits waren die Gilden und Zünfte gar stark ge­worden. Da die Aristokratie, d. h. die alten, erbgesessenen Ge­schlechter, nicht nachgeben und in ihrem anmaßenden Stolz dem Bürgerthum keine Rechte einräumen wollten, so kam es zu sehr heftigen Kämpfen. Hamburg   hat in seiner Geschichte eine Menge von Aufständen zu verzeichnen, wovon wir nur zwei, den unter der Leitung des Böttchers Loh( 1483) und den von 1693, der Aufstand der Mayerianer genannt, erwähnen wollen. In beiden handelte es sich um die Feststellung der Rechte des Bürgerthums gegenüber der Aristokratie. An diesen Bewegungen nahm das gesammte Volk theil und die Pfaffen spielten dabei die Dema­gogen, indem sie das Proletariat ganz vortrefflich aufzuheben wußten. 1483, in dem Aufstand unter Heinrich Loh, klagte ein Pfaffe, den Großen sehe man alles nach, die Kleinen müßten Haut und Haar lassen, jene weicher zu betten, ihre Kredenztische mit Malvasier und Rheinwein füllen und Neunaugenleberpasteten verschlucken zu können."

Wir können in dem engen Rahmen dieser Skizze nicht auf alle diese Bewegungen eingehen*). Wir begnügen uns, darauf hinzuweisen. Wie im Innern die Zünfte und Gilden erstarkten, namentlich während der Zeit der Hansa, und wie innen, so wuchs auch nach außen die Macht Hamburgs  . Die Hansa   selbst wurde so stark, daß sie das mehrfach ihr angebotene Protektorat seitens der deutschen   Kaiser ablehnen konnte. Die Hansa   zerfiel erst völlig, als die großen modernen Staaten sich zu bilden begannen. Das Verfassungsleben Hamburgs   gipfelte in den sogenannten Rezessen. Ein Rezeß bedeutet einen über öffentliche oder private Rechte und Gegenstände abgeschlossenen Vertrag zwischen Rath und Bürgerschaft. Diese Rezesse stellten das Verhältniß zwischen den Klassen der Bevölkerung, sowie die Regierungsform und die Befugnisse der jeweiligen Regierung fest. Die Rechte wie Pflichten des Bürgers wurden festgestellt. Die Aristokratie war natürlich um ihre erworbenen Rechte" dabei stets besorgt und sie brachte es auch dahin, daß ihr diese Rechte" blieben. Die Rezesse waren sehr häufig; 1712 wurde der sogenannte Hauptrezeß abgeschlossen,

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Geschichte Hamburgs   interessirt, so empfehlen wir ihm Bernhard *) Wenn sich unter den Lesern der ,, Neuen Welt" jemand für die Wächters Historischer Nachlaß", herausgegeben von C. F. Wurm ( Hamb  . 1839).