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Ueber Fremdwörter im Deutschen .

Von M. Wiffich.

Wie von Zeit zu Zeit in den Spalten der Presse das Un­geheuer der Seeschlange aufzutauchen pflegt und, theils Unruhe erweckend, theils zum Lachen reizend, die Leserwelt in Aufregung versezt, so scheint das deutsche Publikum auch dazu verurtheilt zu sein, nach einer Art Schicksalsschluß regelmäßig in gewissen Zwischenräumen einmal durch einen Kriegsruf gegen die Fremd­wörter in unsrer ,, teutschen Haupt- und Heldensprache" beunruhigt werden zu sollen." Beim Inkrafttreten der neuen deutschen Gerichts­ordnung, welche am 1. Oktober dieses Jahres erfolgt, sollen möglichst viel Fremdwörter zum Tempel hinausgeworfen werden, nachdem ,, Seine Hervorragendheit" der Generalpostdirektor Stephan auf dem seiner Pflege unterstehenden Gebiet die Kriegsart aus­gegraben und einen Feldzug gegen das Ungeziefer der Fremdwörter eröffnet hat. Warum man statt Reinschrift bislang ,, Mundum" zu sagen gehalten war, warum eine Rechnung durchaus Liqui­dation heißen mußte, dafür haben wir selbst freilich auch keine recht zwingenden Gründe zu erkennen vermocht, nichtsdestoweniger aber fühlen wir uns durch das zuweilen lächerliche Gebahren der Puristen oder Sprachreiniger um jeden Preis oft genug ab­gestoßen. Im folgenden wollen wir nun in ruhiger Auseinander­segung unsre Stellung zu dieser gewiß nicht ganz gleichgiltigen Frage klarlegen, und zwar indem wir einerseits weder der Ueber­schwemmung der überlieferten deutschen Muttersprache durch aller­lei Fremdwörterfluthen das Wort reden, noch aber auch andrer seits den Vernichtungskrieg gegen alles Fremde in Sprache und Schrift gutheißen. Wir werden die ähnlichen Sprachreinigungs­versuche früherer Zeit, welche auf literargeschichtliche Bedeutung Anspruch erheben dürfen, einer kurzen Betrachtung unterziehen und aus dem, was die sprachvergleichende Forschung neuester Zeit festgestellt hat, das Geeignete und vielleicht für das Lese­publikum nicht Uninteressante, was hier einschlägt, mittheilen. Am Schlusse werden wir ein paar praktische Regeln anfügen, die nicht ohne Nutzen sein dürften: sie sind das Ergebniß eigener Erfahrung im Unterricht in der deutschen Sprache; sie dürften vielleicht durch ihre Einfachheit überraschen, ja am Ende selbst verständlich erscheinen: aber alle Wahrheit ist einfach, und selbst das allgemein als richtig Anerkannte, selbstverständlich Scheinende ist weit davon entfernt, praktische Wahrheit geworden zu sein und allgemein gethan zu werden! Man mache den praktischen Ver­such, jenen Regeln zu folgen, und man wird vielleicht bei solchen kleinen Uebungen im Sprachdenken nicht nur Nußen, sondern auch Vergnügen finden.

I.

Wie schwer, oder vielleicht besser, wie unmöglich es für den Einzelnen ist, ganz original, oder brauchen wir das gute, alte deutsche Wort: ganz selbwachsen zu sein, wie jeder auf Vor­fahren und Mitlebende angewiesen und in seinem Dasein durch sie bedingt ist, wird recht klar durch zwei goethe'sche Sprüche, die wir uns nicht versagen können, ganz herzusehen, weil sie die Sache gar so treffend und liebenswürdig, wie es eben nur Goethe möglich war, aussprechen. Der eine lautet:

Vom Vater hab' ich die Statur, Des Lebens ernstes Führen, Vom Mütterchen die Frohnatur Und Lust zum Fabuliren. Urahnherr war der Schönsten hold, Das spuckt so hin und wieder; Urahnfrau liebte Schmuck und Gold, Das zuckt wohl durch die Glieder. Sind nun die Elemente nicht Aus dem Komplex zu trennen: Was ist denn an dem ganzen Wicht Original zu nennen?

So der Altmeister Goethe, der in vollendetster Weise Wissen und Können seiner Zeit in sich vereinigte, der außerdem andrer­seits so genaturt" war, nichts von außenher anzunehmen oder sich anzulernen, sondern alles als Samenkorn in sich aufnahm und es hegte und pflegte und dann als reife Frucht, als Eigenes der Welt wiedergab. Und ,, wir anderen"? Sollten wir da bei in sich selbst vernarrter Originalitätssucht beharren? Da dient uns der Alte mit folgendem, etwas derben Sprüchlein:

"

,, Ich hielt mich stets von Meistern entfernt, Nachtreten wäre eine Schmach!

Hab' alles von mir selber gelernt!"

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Es ist auch darnach!

Der isolirte, der ganz auf sich selbst stehende, nur aus sich selbst sich bildende Mensch im vollen Sinne des Worts ist nicht nur unmöglich, er ist sogar undenkbar und ein Unding. Wer mit offenen Augen und Öhren jahrzehntelang auf den Wogen des Lebens herumgetrieben worden ist und Kopf und Herz nicht an einer ganz verkehrten Stelle hat, der muß immer mehr zu der Ansicht kommen, daß selbst der Geringste einmal grade ihm unentbehrlich werden kann, daß also keiner zu viel ist und jeder zu gut ist, um vernichtet, um auch nur weggewünscht zu werden. Abgesehen davon ist auch unser höchstes Jdeal, unsre höchste Aufgabe: die Darstellung vollkommnen, wahren Menschen­thums durch das Individuum und in demselben garnicht erreich­bar und lösbar. Vielmehr muß auch hier, wie im Materiellen, Technischen, Kollektivarbeit eintreten und die Gesellschaft sich des Problems bemächtigen; und zwar nicht eine nationalbegrenzte Ge­sellschaft genügt, die Aufgabe ist ja international, wie es von den Künsten und Wissenschaften, den Werkzeugen, derjenigen Thätig­feit, vermöge welcher die Humanitätsidee verwirklicht werden soll und muß, längst zugestanden und erkannt worden ist Wir gehen weiter und behaupten: keine einzige Nation ist hier zu ent­rathen! Denn jeder noch so entbehrlich scheinende Volksstamm, jedes roheste Naturvolk wirkt mit bei der Konstellation der allge­meinen Menschheitsverhältnisse, es formulirt mit unsre Aufgabe und es bedingt mit die Auswahl der anzuwendenden Mittel. Welche Kraft der Poesie, welche erhabenen, starken Leidenschaften, welche glänzenden Beispiele von Tapferkeit und Edelmuth werden uns nicht von sogenannten Wilden oder Barbaren berichtet! Der Leser wird unser weites Ausgreifen entschuldigen, aber diese Dinge müssen ausgesprochen werden, um jene Höhe des Standpunktes zu gewinnen, aus welcher allein solche Fragen, wie die uns beschäftigende, recht erfaßt werden können. Man kann sich nicht vermessen, einen Ueberblick über den ganzen Kreis der zugehörigen Dinge und Begriffe zu haben, wenn man an einem Punkte der Peripherie kleben bleibt, ja, man hat über den Werth und die Bedeutung nicht einmal dieses Punktes ein Urtheil, wenn man ihn nicht als Theil der ganzen Kreisfläche, sein Verhältniß als Theil zum Ganzen und des Ganzen zu ihm als Theil begriffen hat. Auf diesem richtigen Erkennen ruht alle Philosophie oder alle Weltweisheit, wenn wir das Wort ver­deutschen sollen; und eine Unzahl von Irrthümern und eine Menge von Unrecht beruht darauf, daß man über dem Ganzen das Einzelne übersieht, oder aber den Theil für ein Ganzes nimmt!

Werfen wir nur einen ganz oberflächlichen Blick auf die geschichtlich bekannte Entwicklung des Menschengeschlechts, um zu sehen, wieviel die Nationen einander und wieviel wir Deutschen anderen Nationen verdanken. Wir bemerken, daß äußere und innere Eigenschaften und Verhältnisse die Vorbedingungen und Ursachen wurden, daß ein bestimmtes Volk in einer bestimmten Zeit eine besondere Einzelaufgabe erfaßt, sie zum Gegenstand höchst­gesteigerter Thätigkeit, ja zur nationalen Sache macht und in einer für weite Strecken in Raum und Zeit hin mustergiltigen Weise löst. Eine teleologische Geschichtsbetrachtung spricht dann wohl von der politischen oder von der kulturgeschichtlichen ,, Mission" dieses Volkes, während thatsächlich die Völker auf Grund, als rein physischer erkennbarer, Voraussetzungen, die ihre Erfüllung finden, mit Hülfe gewisser besondrer Fähigkeiten und Neigungen bestimmte Seiten des äußeren oder inneren Lebens des Menschen besonders geschickt anfassen und sie bei günstigen Verhältnissen glücklich ausbilden. So sei nur auf die Plastik der Griechen, auf die Rechtswissenschaft der Römer, auf die Malerei des Cinque­cento in Italien hingewiesen. Sollten nun die anderen Nationen, sollten wir die Ergebnisse jener Mühewaltungen, nur weil sie nicht auf unserm Boden erwuchsen, ohne weiteres von der Hand weisen und nicht sie uns zu muze machen? Das wäre gradezu unsinnig; es fällt niemanden ein, der ein vollkommenes Werkzeug oder Hausgeräth braucht, sich selbst erst alle jene Maschinen, von der einfachsten an bis zur komplizirtesten, mit denen das Gewünschte