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achtet; sie glaubte irrthümlicherweise Herr zu sein, nicht blos über die Richtung des Weges, sondern auch über die Wahl der Werkzeuge, die nöthig sind zu bahnbrechender Arbeit. Herr von Weber hat sie eines Besseren belehrt.

Es gibt nichts Merkwürdigeres als die Nerven, ja die Nerven un­jeres Zeitgeistes. In demselben Maße, in welchem die Fürsorge für das Genus pecus ( Vieh) in den Vordergrund tritt, scheint diejenige für das Genus homo( Mensch) zurückzutreten. Als hätte die Welt nur über ein einfürallemal fires Maß von Humanität" zu verfügen und was dem einen gespendet wird, das müßte dem andern verloren gehen. Leute, die erzählen hören, daß da oder dort arme Thiere ,, von Wissen­schaftswegen" mißhandelt werden, gerathen in einen förmlich beängsti­genden Gemüthszustand und wenn man einem ihrer zweibeinigen Mit­brüder von Gerechtigkeits wegen" den Kopf vor die Füße legt, so finden sie das ganz in der Ordnung. Gegen die angeblichen Peiniger der Thierwelt wird ein Kreuzzug gepredigt und wenn man heute wieder die Prügelstrafe einführte, so würde ein großer Theil dieser Prediger sich vor Vergnügen die Hände reiben. Wenn thierisches Blut in den Werkstätten der Wissenschaft vergossen wird, so bebt das Herz dieser edlen Männer vor Entrüstung, und die Frage, warum es geschieht und wie es geschieht, geräth schier in Vergessenheit; wenn aber menschliches Blut in ,, männermordenden" Schlachten in Strömen vergeudet wird, so gilt es für weichliche Sentimentalität, ob dieſes Anblicks ſein Haupt zu verhüllen, und der Zweck, um dessentwillen es geschah, löscht alle Gewissensstrupel aus.

Aber ich will selbst annehmen, die für jeden Kenner der Ver­hältnisse einfach sinnlose Behauptung, die Vivisektionen seien ohne wissenschaftlichen Nuzen, sei thatsächlich richtig. Ist damit die Frage von der Berechtigung derselben auch nur im geringsten entschieden? Mit nichten. Daß Herr von Weber einen Hund oder eine Kaze vor­trefflich von einem Menschen zu unterscheiden weiß, steht freilich fest. Aber an einem muß doch selbst dieser modernste Denker irre werden und dieses eine wirft seine ganze ungeheure Gedankenarbeit über den Haufen. Könnte nicht morgen, könnte nicht heute schon irgend eine wissenschaftliche Frage von großer Bedeutung auftauchen, die nun ein­mal nicht anders, als durch einen Eingriff ins lebendige Thier ent­schieden werden kann? Und wenn die Wissenschaft sich zur Beantwor­tung derselben anschicken will, sollte die Gesetzgebung ein Recht haben, ihr den Weg zu versperren und ein gebieterisches Halt zuzurufen? Was soll dann überhaupt dieser lächerliche Unterschied zwischen Thier und Mensch, aus dem diese Eiferer die Nuzlosigkeit der Vivisektionen ab­leiten wollen? Ist nicht das thierische Leben selbst schon ein der Wissen­schaft würdiges Objekt? Kennt denn die Wissenschaft überhaupt einen Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem in diesem mehr als naiven Sinne? Ist denn die geringfügigste Lebenserscheinung, selbst am niedrigsten Organismus, etwas anderes, denn ein gleichwerthiges Glied in der unendlichen Kette der organischen Zusammenhänge?

Wenn eine Bewegung, wie diejenige, welche gegen die Vivisektionen gerichtet ist, in kurzer Zeit so große Dimensionen annimmt, so muß der Grund in allgemein krankhaften Zuständen der Gesellschaft gesucht werden. Hätten sich die Thierschutzvereine, statt allgemeiner Verdäch tigungen und einer Agitation ins Blaue hinein, damit begnügt, kon­frete Vorkommnisse ins Auge zu fassen und durch direkten Appell an die betreffenden Gelehrten etwaige Mißstände in der operativen Behand­lung der Thiere zu beseitigen, so könnte einem solchen Vorgehen nie­mand seinen Beifall versagen. Jeder Gelehrte wäre ihnen gewiß gerne Red' und Antwort gestanden, ja hätte ihnen versprochen, unter voller Wahrung seiner Aktionsfreiheit, nach Kräften zur Abhilfe dieser Miß­stände beizutragen. Gerade der vielverlästerte Schiff z. B. ist in dieser Richtung in edelster Weise vorangegangen. Sie hätten bei einem Be­suche in den Werkstätten der Wissenschaft vielleicht einen kurzen Einblick in die Art der Thätigkeit, die drinnen waltet, bekommen und damit ihrem Gefühlsleben wahrscheinlich große Aufregungen erspart. Jeden­falls wäre die sogenannte ,, Folterkammer" gleich beim ersten Anblick zu einer bloßen Hallucination zusammengeschrumpft. Wenn man aber ohne Wissen, ohne Kenntniß, nur mit Vorurtheilen ausgerüstet, eine Agitation in die Massen schleudert mit dem deutlichen Hintergedanken, sobald die Aufregung den richtigen Grad erreicht hat, an die Staats­gewalt zu appelliren, so kann eine solche Art des Vorgehens nicht scharf genug getadelt werden; jeder verständige Mann muß sich mit Entrüstung davon abwenden. Und hier ist der Punkt, wo diese Agita­tion gegen die Vivisektionen sich als echtes, unverfälschtes Kind seiner Zeit dokumentirt; hier ist der Punkt, der es überhaupt erst verständlich macht, wie diese in sich so nichtige und inhaltslose Bewegung in furzer Zeit so große Kreise um sich ziehen konnte. Wir leben in einer Zeit, wo die Orgien der Staatsomnipotenz beginnen und bereits ihre Schatten vor sich herwerfen. Ihr erstes Debut ist den ökonomischen Fragen gewidmet und die nächsten Lustren werden uns die segensreichen Folgen dieses Beginnens fund thun. Nun, wenn der Staat ausschließlicher Herr ist über die ökonomischen Zusammenhänge seiner Glieder und diesen Gliedern selbst schrittweise alle spontane Initiative entzogen wird, warum soll er nicht auch Herr sein über die Wissenschaft? Heute verlangt man von ihm, er solle der Wissenschaft ihre Wege weisen, morgen wird er bereit sein, ihr auch das Ziel vorzustecken, das sie erreichen soll. An Händen, um die Barrièren festzunageln, wird es nicht fehlen.

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Wir sehen also, daß die ganze Frage der Vivisektionen keineswegs blos ein abstrakt ethisches, sondern ebenso sehr und noch vielmehr ein kulturhistorisches und sozialpolitisches Problem ist. In der geistigen Bewegung eines Volks ist nichts zufällig, und so wird man nach dem obigen leicht verstehen, daß dieser moderne, gegen die Wissenschaft ge= richtete Entrüstungsschrei derselben Quelle entstammt, welche über unser ganzes öffentliches Leben ihre befruchtenden Gewässer ausgießt und welche mit dem einen Wort ,, Rückschritt" am deutlichsten benannt ist. Niemand wird leugnen, daß auch in den Werkstätten der Naturwissen­schaft Mißstände zu beseitigen und Ungehörigkeiten abzustellen sind. Aber es steht ebenso un­Nichts ist vollkommen auf dieser Erde. bestreitbar fest, daß die Wissenschaft in sich selbst sittliche Kraft genug hat, um allmählich solche Mißstände zu überwinden, voraus­gefeßt, daß man ihr das nicht raubt, was sie zum Leben braucht Luft, Licht und Freiheit, also just das Gegentheil von dem, was eine unverständige Agitation erreichen will.

Das Porträt der ,, Gnädigen".( Bild Seite 41.) ,, Wenn die Kaze nicht zuhause ist, haben die Mäuse frei tanzen." Die Richtigkeit Aufgabe, die sich der Maler J. Boks gestellt, und die er, wie die Leser dieses altbewährten Sprüchwortes auf's neue zu erproben, das ist die auf unserm Bilde sehen, trefflich gelöst hat. Die ,, Gnädige", eine Jungfrau in den Jahren, von welchen es in der Bibel heißt ,,, sie ge­fallen uns nicht", ist mit Puppi, ihrem Lieblingsmops, ausgefahren, um Susanne, dem Stubenmädchen, und Christian, dem Bedienten, bei der gründlichen Reinigung des Hauses aus dem Wege zu gehen. Christian und Susanne, die schon seit Jahren darüber einig sind, über kurz oder lang ein Paar zu werden, waren stundenlang damit beschäf­tigt, das Unterste zu oberst zu kehren. Von dem Bann der gestrengen Gebieterin befreit, arbeiteten sie emsig unter Lachen und Singen, und hantirten mit Bürste und Besen, als ob sie des Hauses Meister wären. Bücher und Bilder, Vasen und Spiegel, Lampen und Möbel, kurz alles, vom Teppich bis zur Tapete, erglänzte im erneuten Schimmer, als ob die alte Jungfer Hochzeit machen wollte. Natürlich versäumten die vorwißigen Dienstleute die seltene Gelegenheit nicht, von den ver­botenen Zimmerfrüchten zu naschen. Bald unterbrach Susannchen das Scheuern, um in des Nähkorbs Tiefen zu wühlen, bald stellte Christian das Klopfen ein, um seine Nase in unverschlossene Papiere zu stecken. Endlich war das Tagewerk vollbracht und das Pärchen rastete im Heiligthum des Hauses, im Bibliothekzimmer, wo die Vorfahren derer von Kuhschnappel im modernen Ahnensaal, im Album, abfonterfeit waren. Schippe und Borstwisch entfiel den müden Händen, aber desto schrankenloser sprudelte das kecke Wort von beredtem Munde. Die dralle Susanne im koketten Morgenhäubchen, den etwas fleischigen Fuß im knappen Saffianschuh vorgestreckt, hat die verschobene Zwillichschürze zurechtgerückt und blättert mit Kennermiene in dem Album, während der verschmitte Christian an des Hauses Freund' und Vettern seine giftige Lästerzunge weßt. Beim Anblick der Photographie der ,, Gnädigen" erheben beide ein zwerchfellerschütterndes Gelächter und überhören das nahende Unheil. Während sie im besten Zuge sind, die ,, Gnädige" mit der Zunge zum zweitenmale zu porträtiren, erscheint das Original lauschend hinter der Thür. Ihr Schoßhündchen hat während der Rund­fahrt auf der Promenade zweimal gehuſtet, und die alte Jungfer, zu Tode erschrocken, befahl dem Kutscher, schuurstracks nachhause zurück­zukehren, um dem süßen Puppi Kamillenthee kochen zu lassen. Susannens und Christians übermüthiges Geschnatter bewog die mißtrauische Alte, einen Hinterhalt aufzusuchen. Wie eine verderbenschwangere Gewitter­wolke naht sie sich fast unhörbar auf den Zehenspißen. Hinter der halbgeöffneten Thüre lauschend, hört sie jedes Wort der beißenden Be­merkungen über ihre werthe Person. Jeden Augenblick ist sie auf dem Sprunge, um das frevelnde Gesinde zu züchtigen.

,, Sieh nur, Christian, wie sie aufgeputzt ist," verseßte Susanne und deutete hämisch lächelnd auf die Photographie der Herrin. Wie ein Schlittenpferd," erwiderte Christian und zeigte sein starkes Gebiß.

,, Die Stirnlöckchen sehen wie ein paar Pfropfenzieher aus." Ich finde, daß sie mehr aufgerollten Hobelspähnen gleichen." ,, Und der Kopfpug ein wahres Blumenbeet." ,, Sage lieber ein Treibhaus oder ein Gemüsegarten."

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Sie hat die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, daß einer anbeißen wird."

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Bei ihrer Magerkeit würde es schwer halten." Susanne warf einen selbstgefälligen Blick auf ihren üppigen Glieder­bau und brach in ein schallendes Gelächter aus, in welches Christian nicht minder laut einstimmte. Doch was war das? Plößlich ver­stummten beide, als ob ein Blizstrahl aus heiterem Himmel zwischen sie gefahren und einen Abgrund zu ihren Füßen geöffnet hätte. In ihrem Versteck räusperte sich die Gnädige" sehr ungnädig und trat mit unheilverkündender Miene in das Bibliothekzimmer ein. Tableau! Daß sich das drohende Gewitter entfud, ist wohl über allen Zweifel erhaben; ob sich aber infolge des Einschlags" Christian und Susanne in's Privatleben zurückzogen, um mit ihrem ,, Ersparten" ein eigenes Heimwesen, frei vom Dienst", zu gründen, darüber schweigt die

Geschichte.

Dr. M. T.