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Wolfgang einer von einigen Knaben befreundeter Familien mit besuchten Privatschule übergeben wurde, zu welcher Zeit es dann der Vater als seine Aufgabe ansah, das ihm in den Gebieten der alten und neuen Sprachen, der Literatur- und Weltgeschichte, der Geographie und Mathematik zugewiesene Pensum regelmäßig zu repetiren. Außerdem wirkte eine sehr fleißige Lektüre bedeut sam auf ihn ein; er las u. a. die Bibel, Ovids Metamorphosen , Homers Flias , den Virgil , theils in Uebersezungen, theils in der Ursprache, den Robinson Crusoe , den Telemach Fenelons, Lord Ansons Reise um die Welt, ferner die aus einer frank furter Winkeldruckerei hervorgegangenen Volksbücher, welche auf dem schrecklichsten Löschpapier die wunderlichsten Märchen enthielten, und endlich die in des Vaters Bibliothek befindlichen Werke der berühmtesten Dichter jener Zeit, wie Canig', Hagedorns, Drollingers, Gellerts, Creuz', Hallers 2c. In direktester Weise regte ihn der Vater, in dessen Privatzimmern alle Wände mit Architekturbildern und Ansichten aus Rom behangen waren, durch seine begeisterten und begeisternden Schilderungen der Herrlich feiten Italiens , die er, wie bemerkt, selbst kennen gelernt hatte, an, wodurch er seinem Schönheitssinn immer neue und, wie sich in Zukunft zeigte, sehr nachhaltige Nahrung lieh.
Neue Eindrücke erhielt der Knabe dann, als während des siebenjährigen Krieges, am Neujahrstage von 1759, Frankfurt durch die Franzosen besetzt und der kunstliebende Königslieutenant Graf Thorane grade in dem damals neu umgebauten Vaterhause Goethes einquartirt wurde. Dieser Mann versammelte unter anderen Künstlern und bedeutenden Männern auch eine große Anzahl frankfurter Maler, welche er sämmtlich für sich beschäftigte, um sich und fand, zum Aerger des alten Rath, in dem jungen Wolfgang bald einen leidenschaftlichen Verehrer. Den Besuch des damals eröffneten französischen Theaters, zu welchem er ein Freibillet erhielt, ermöglichte er sich nur durch die Vermittlung der Mutter und wurde durch den Umgang mit einigen Schauspielerkindern noch intimer mit französischer Sprache und Art bekannt und vertraut. Das hatte zur Folge, daß er jetzt den Werken des Tragödiendichters Racine, die er in der Bibliothek seines Vaters entdeckte, eifriges Studium zuwandte. Durch alles dies angeregt, machte er schon jetzt den Versuch, ein französisches Stück zu schreiben, wie er denn bereits als dreizehnjähriger Knabe auf den Gedanken kam, seine damaligen Kenntnisse und Ansichten in der Form eines Romans zum Ausdruck zu bringen. In zwischen hatte er auch die ersten zehn Gesänge von Klopstocks " Messias" kennen gelernt und drang durch den Unterricht, den er bei dem Gymnasialrektor Dr. Albrecht erhielt, tiefer in das Verständniß des alten Testaments ein. Durch die hebräischen Studien wurde er zu einem biblischen Epos in Prosa angeregt, in welchem er die Geschichte Josephs behandelte. Dieses Gedicht diktirte er einem alten, halb blödsinnigen Menschen, der in dem Hause seines Vaters als Mündel wohnte, und aus dieser Zeit schon stammt die Gewohnheit des Dichters, seine Werke zu diktiren. Was er, sagt er selbst, Gutes finde in Ueberlegung, Gedanken, ja, sogar im Ausdruck, das komme ihm meist im Gehen, sigend sei er zu nichts aufgelegt. Außerdem schrieb er eine Reihe geistlicher Oden, die er dann, mit dem erwähnten Epos vereinigt, seinem Vater zu dessen großer Freude in einem stattlichen Quartbande überreichte. Schließlich verdienen noch die Uebungen im Zeichnen und Malen, denen sich der junge Goethe mit besonderer Vorliebe widmete, der mit geringerem Erfolge getriebene Musikunterricht und die Ausbildung in den gymnastischen Künsten, vor allem in denen des Fechtens und des Tanzens, sowie in der Reitkunst, erwähnt zu werden.
So geistig und körperlich bereits in bedeutendem Grade ausgebildet, wurde unser Wolfgang allmählich von einem Drang nach Thaten und Abenteuern erfaßt, zu deren Ausführung ihm die im Laufe der Jahre vom Vater gestattete größere Freiheit hinreichende Gelegenheit gab. Dieser Drang, mehr aus sich herauszutreten und Zerstreuung zu finden, führte ihn auch mit mehreren jungen und etwas leichtsinnigen Menschen geringeren Standes zusammen, in deren Gesellschaft der Ertrag von Hoch zeits- und Leichengedichten, die der künftige Dichterkönig schrieb, bei fröhlichen Gelagen verschwelgt und verjubelt wurde. In dieser Gesellschaft lernte er, wie jedermann, der nur einigermaßen mit der Lebensgeschichte des Dichters bekannt ist, weiß, jenes Mädchen fennen, welches ihm die erste, über alles selige und für seine weitere Entwicklung so bedeutsame Liebesneigung in's Herz pflanzte. Es ist nicht mit Bestimmtheit zu ermitteln gewesen, wer Gretchen
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denn das war dieses Mädchen, dem er nachher in seinem Faust" ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt eigentlich war, ob sie damals als Kellnerin oder als Puzmacherin gelebt, ob sie aus Worms , Offenbach oder aus Frankfurt selbst stammte, und es ist auch hier nicht der Ort, bei dieser Liebesepisode länger zu verweilen; aber die Worte, mit denen Goethe in ,, Wahrheit und Dichtung " dieser Neigung des Vierzehnjährigen gedenkt, sind so unbeschreiblich rührend, daß sie immer wieder zur Mittheilung reizen und daß wenigstens der Bericht über die erste Begegnung zwischen den beiden hier einen Platz finden soll. Als Wolfgang eines Abends mit den Freunden beisammensaß und der Flasche tüchtig zugesprochen wurde, war der Wein auf die Neige ge= gangen, und es rief deshalb einer der ausgelassenen Zecher nach der Magd. Allein statt derselben" erzählt Goethe ,, trat ein Mädchen ein von ungemeiner und, wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit." Sie wurde gebeten, noch ein paar Flaschen auf das Zimmer zu bringen. „ Thu' das, Gretchen," sagte einer, es ist ja nur ein Kazensprung."" Warum nicht?" versetzte sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rückseite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Gestalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen, treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde. Ich machte den Gesellen Vorwürfe, daß sie das Kind allein in der Nacht ausschicken wollten; sie lachten mich aus, und ich war bald getröstet, als sie wiederkam. Sie trant ein Glas auf unsere Gesundheit, entfernte sich aber bald, indem sie uns rieth, nicht gar lange beisammen zu bleiben. Die Gestalt dieses Mädchens verfolgte mich von dem Augenblicke an auf allen Wegen und Stegen; es war der erste bleibende Eindruck, den ein weibliches Wesen auf mich gemacht hatte; und da ich einen Vorwand, sie im Hause zu sehen, weder finden konnte, noch suchen mochte, ging ich ihr zuliebe in die Kirche und hatte bald ausgespürt, wo sie saß; und so konnte ich mich während des Gottesdienstes wohl satt an ihr sehen. Beim Heraustreten getraute ich mich nicht, sie anzureden, noch weniger, sie zu begleiten, und war schon selig, wenn sie mich bemerkt und gegen meinen Gruß genickt zu haben schien....." Bekanntlich fand das Verhältniß seine Lösung da durch, daß einige von den damaligen Genossen Goethe's sich schlimme Handlungen, wie Fälschungen von Handschriften 2c., zu schulden hatten kommen lassen, infolge deren, wenn auch schuldlos, nicht sowohl Gretchen und ihr Bruder in die Anklage verwickelt, sondern auch Goethe selbst in eine strenge Untersuchung gezogen wurde. Wenn sich nun auch die Schuldlosigkeit der näheren Bekannten Goethe's erwies, so wurde dieser doch durch die von Gretchen in ihrer Aussage gethane Aeußerung, daß sie ihn zwar oft und gern gesehen, aber immer als ein Kind betrachtet habe, und daß ihre Neigung zu ihm eine rein schwesterliche gewesen sei, so sehr in seinem Stolze gekränkt und erzürnt, daß er, freilich erst nach hartem Kampf und längerem Krankenlager, sich von ihr losriß und in erneutem ernstlichen Studium diese erste und nächst der sesenheimer Idylle poesievollste seiner vielen Liebesneigungen zu ersticken wußte.
Ein Hauslehrer, den man ihm gab und der sein Stubennachbar wurde, suchte ihn in die Philosophie einzuführen, und Goethe machte wenigstens mit der Geschichte der griechischen Philosophie einigermaßen genauere Bekanntschaft. Auch trieb er, da er sich nach dem Wunsche des Vaters bald zur Universität behufs des Studiums der Jurisprudenz begeben sollte, bereits rechtswissenschaftliche Studien, neben denen wieder solche in den alten Sprachen und Literaturen herliefen; denn gegenüber dem Vorhaben des Vaters lag es in seinem Willen, sich dem Studium der Sprachen und der Geschichte zu widmen. Zu Michaelis von 1765 fuhr er mit dem zur Messe reisenden Buchhändler Fleischer und dessen Gattin nach Leipzig , um die dortige Universität zu beziehen. Zur Wahl grade dieser Stadt wurde Goethe's Vater nicht allein durch die Berühmtheit der Professoren der Universität, sondern vor allem auch durch die Erwägung bestimmt, daß der in der letzten Zeit etwas wild und ausgelassen gewordene Wolfgang in Leipzig , welches allerdings schon damals in dem Rufe stand ,,, ein klein Paris zu sein und seine Leute zu bilden," hübsch gehobelt und blank polirt werden sollte.
( Fortsetzung folgt.)