gange zu sein schien. Doch wußte ich, daß dieses donnernde Herunter stürzen des Mastwerkes weniger gefährlich sei, als ein minder geräusch voller Stoß im Kiel  . Meine Frau glaubte, das Ende sei jezt da. Ich war etwas erstaunt, als sie ruhig an den Reisekoffer trat, ein kleines Etui herausnahm, dieses öffnete und leidenschaftlich küßte. Dann ver­barg sie es im Busen, umschlang mich mit ihren Armen und fing auf's neue an zu beten. Das Etui enthielt das Bildniß unseres einzigen verstorbenen Kindes.

Ich war gerührt von diesem Zuge mütterlicher Liebe, die sich selbst im Tode von dem theuren Andenken nicht trennen mochte. Während dessen stieß das Schiff noch einmal mit dem Eisberge zusammen, und bald darauf verkündeten laute Rufe vom Deck, daß wir von unsrem gefährlichen Gegner losgekommen seien.

Draußen ließ sich der Schritt unseres Kajütennachbars hören, der auf dem Wege zu seiner Kajüte an unserer Thüre vorüber kommen mußte. Wie schlug mein Herz, als er näher fam! Wird er bei uns vorbeigehen: ein Zeichen, daß keine Hoffnung vorhanden, daß der Kiel­raum voll Wasser und wir im Sinken begriffen sind, oder wird er bei uns eintreten: ein Zeichen, daß immer noch Aussicht auf Rettung vor­handen sei? Er trat in unsere Kajüte!

Ich will keine trügerischen Hoffnungen erwecken," sprach er. ,, Die Sache scheint mir selbst unglaublich, aber wir haben mehrmals sondirt und immer nur fünfzehn Zoll Wasser im Kielraum gefunden. Doch werden wir es gleich bestimmt wissen, denn eben werden die Pumpen in Gang gefeßt."

Wir hörten das klappernde Geräusch, nach wenigen Minuten schon arbeiteten die Pumpen nicht mehr, weil das Wasser ausgepumpt war. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, als diese Thatsache bekannt wurde. Bei wiederholtem erfolglosen Einsetzen der Pumpen gewann man die sichere Ueberzeugung, daß das Schiff durch die Zusammenstöße mit dem Eisriesen keinen ernstlichen Schaden genommen hatte. Wir waren gerettet!

Später erklärte uns einer der Schiffsoffiziere, wie es kam, daß wir nicht gleich beim ersten Anprall gesunken waren. Er war grade auf das Verdeck gekommen, wo das Schiff an die Eiswand anstieß. Wäre es grade darauf zugesegelt," sagte er ,,, oder wäre sein Bug in diesem kritischen Augenblicke von den Wellen emporgehoben worden, so wären wir ohne weiteres wie ein Bleigewicht untergesunken. Aber er tauchte unmittelbar vor dem Eisberge in die Wellen nieder, wobei das Bugspriet und ein Theil des Bugs verloren ging, und durch dieses Niedertauchen wurde die Kraft des Stoßes, welcher schief von unten nach oben ging, gebrochen."

Noch ein anderer Umstand war zu unserem Glücke gewesen, wie sich am Tage zeigte. Nach allen Richtungen hin trieben Eisberge umher, von denen einzelne ungeheuer groß waren; sie hatten einen breiten untern Rand, einen Fuß oder Besatz, welcher mehrere Fuß über den Wasserspiegel emporragte. Nur derjenige, mit welchem wir zusammen­gestoßen waren, hatte keinen solchen Fuß, sondern bildete eine glatte, steile Wand; bei einem Zusammenstoße mit einem der andern Eisberge hätte nichts uns zu retten vermocht, der Fuß an ihnen würde den Boden unseres Schiffes in Splitter zertrümmert haben. Ein dritter glücklicher Umstand war die in diefen Breiten so seltene verhältniß mäßige Windstille, die auch den nächsten Tag anhielt und uns gestattete, unsere schwere Havarie auszubessern.

Alles in allem war die Rettung der Indischen Königin" mit ihren 280 Personen an Bord ein höchst wunderbares Ereigniß, wie es wohl nur selten in der Geschichte der Schifffahrt vorkommt. Dr. B.-R.

Aus dem Reiche der Träume.

Der Wunsch, das künftige Glück vorauszusehen, ist der Vater des Aberglaubens und sein Tummelplatz ist der Traum. Schwindler und Gelehrte haben ihren Wig angestrengt, um die Träume zu deuten. Zu welcher Sorte der biblische Joseph gehört, der sich durch Traum­deuterei zum ägyptischen Reichskanzler emporgeschwungen, wagen wir nicht zu entscheiden. Melanchthon, Reuchlin  , Kepler   und andere Ge­lehrte der Reformationszeit, dieser goldenen Aera des wissenschaftlichen Aberglaubens, haben das Gebiet des Traumes in die sogenannte vierte Dimension des Raumes verlegt. Wir modernen Kulturmenschen sind, mit Ausnahme der Spiritisten und Lotterieschwestern, dahintergekommen, daß der Traum eine Welt für sich sei, eine Welt von Illusionen. Der Traum zaubert sich seinen Frühling, seinen Sommer, mag in Wirklichkeit das Unwetter toben, mögen Eis und Schnee sich in die Herrschaft theilen. Es ist erstaunlich, wie gescheit die Menschen im Traume zu sein pflegen und welch ein Kapital von Scharfsinn, Klugheit und Ver­stand der Menschheit nur dadurch entzogen wird, daß man sich immer

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noch nicht entschlossen hat, im Schlase statt im Wachen mit einander zu verkehren. Die Träume lieben es, uns mit Fähigkeiten aller Art zu begaben; zu bedauern ist es, daß wir diese Weisheit nicht ins Wachen hinüber nehmen können.

Träume entstehen durch die im Schlafe fortgesetzte Thätigkeit un­seres Seelenlebens, doch werden sie oft durch äußere Eindrücke beein­flußt und umgestaltet, und es ist höchst interessant, wie rasch und ge­schickt die Traumphantasie eine für den Sinneseindruck passende Situation erfindet. Wir haben z. B. beim Einschlafen den Arm um den Kopf geschlungen und derselbe sinkt plößlich herab. Sofort träumen wir, daß wir kopfüber von einem Thurme hinunterstürzen und mit einer Gewalt unten ankommen, die uns hoch in unserm Bette emporfahren läßt.

Auch Erinnerungen und Erlebnisse tragen zur Bildung der Träume bei. Wer hätte sich nicht schon in seine längstvergangene Schulzeit zu­rückgeträumt und sich neben fast vergessenen Kameraden auf der Schul­bank sigend gefunden?

Jedes Alter und jedes Geschlecht, jeder Stand und jedes Tempe­rament hat seine eigenen Träume. Schopenhauer   weist den Träumen einen wichtigen Play in seinem philosophischen System an, und Börne ist von ihrer sittlichen Kraft überzeugt, wenn er sagt: ,, Das Herz kommt jeden Morgen warm und mürbe aus dem Backofen des Bettes, und abends ist es falt, hart und trocken wie eine harte Semmel. Wenn Traum und Schlaf nicht wäre, es wäre besser ein Krebs sein, als Mensch unter Menschen lebend." Jean Paul   schwärmt wie für alles auch für die Träume und nennt sie die unwillkürliche Dichtkunst des Menschen". Der Philosoph Kant   ist weniger gut auf sie zu sprechen; er meint, daß ,, bei weitem die meisten Träume Beschwerden, gefahrvolle Umstände und eine gute Portion Bosheit enthalten". Daß die Träume wunderliche Gesellen sind, die in tollen Sprüngen sich über Zeit und Raum hinwegseßen, meldet uns Uhland: ,, Durch den verbotenen Garten darf ich gehen, durch Thüren wandl' ich, die mir sonst verriegelt, bis zu der Schönheit Heiligthume." Ja- bis zum Heiligthume, hinein aber führt der Traum gewöhnlich nicht, sondern zeigt uns statt der lustverheißenden Kythere eine dräuende Eumenide, daß sich das Haar auf unserm Haupte sträubt, um dann erwachend zu finden, daß alles - Gott sei Lob und Dank nur ein Traum war. Dr. M. T.

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fortwährend durch die Reibung abgenutzt und die Elemente des Goldes ,, Verzehrende" Küsse. Wie die lebhaft kursirenden Münzen und des Silbers in unsichtbaren Theilchen in die ganze Welt verbreitet werden, so werden auch eherne Heiligenbilder durch Küsse abgenutzt, ja, ganze Theile von ihnen fast aufgezehrt". Wer nach Rom   oder Loretto fommt, kann solcher Heiligenbilder genug sehen, welche häufig von den Pilgern geküßt und durch diese leise Lippenberührung in verhältnißmäßig Man hat bei dergleichen Statuen einen Fuß z. B., welcher üblicher­kurzer Zeit bis zur vollkommnen Unkenntlichkeit abgenuẞt worden sind. weise gefüßt wird, mehrmals eineuern müssen. Die heilige Marmor­

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stiege in St. Salvatore, welche man auf den Knieen rutschend ersteigt, eristirte vielleicht garnicht mehr, wenn man ihr nicht zum Schuße eine hölzerne Bekleidung gegeben hätte. Dr. M. V.

Die Goldmacherkunft zu erfinden und sich dieselbe zu Nutzen zu machen, ist bekanntlich von jeher der heiße Wunsch vieler, vor allem aber der stets geldbedürftigen Fürsten   gewesen. Im 13. Jahrhundert wird schon Alphons X., König von Kastilien, als Alchymist genannt; Heinrich VI.   von England( 1423) forderte in mehreren Dekreten zum Studium der Goldmacherei auf, damit man Mittel gewinne, die Staats­schulden zu bezahlen. Eduard IV.   von England ertheilte 1476 einer Kompagnie auf vier Jahre das Privilegium, Gold aus Quecksilber zu bereiten. Kaiser Rudolf, welcher 1576 auf den Thron gelangte, war ein besonders eifriger Patron dieser Kunst, ferner der Kurfürst August von Sachsen   um 1560, der ein eigenes Laboratorium in Dresden   hatte, welches vom Volke ,, das Goldhaus" genannt wurde, ebenso seine Ge­mahlin, Anna von Dänemark  , die Herzöge Ernst von Bayern  ( im 17. Jahrhundert), Heinrich Julius von Braunschweig, Kaiser Leopold I.  ( 1658-1705) und mehrere andere. Dr. M. V.

Zwei gelehrte Schneider. Heinrich Wild, der um das Jahr 1720 zu Orford die orientalischen Sprachen lehrte, war ein Schneider und unter dem Namen des arabischen Schneiders bekannt. Robert Will, ein Schneider in Buckingham, über welchen Spence im Jahre 1759 eine Abhandlung schrieb, in der er ihn mit dem berühmten italienischen   Philologen Magliabochi verglich, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihn zu lenken, hatte Lateinisch, Griechisch und Hebräisch ohne Lehrer gelernt.

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Dr. M. V.

Inhalt. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Fortsetzung). Vogler( Fortsetzung). Johann Wolfgang Goethe  , von Dr. May Ueber Fremdwörter im Deutschen  , von M. Wittich( Fortsetzung). Russen und Engländer in Asien  , von Dr. Mar Traufil. Zusammenstoß mit einem Eisberge. Nach dem Englischen, von Dr. B.-R.( Mit Illustration.) Aus dem Reiche der Träume, von Dr. M. Trausil. Verzehrende" Küsse. Die Goldmacherkunft.- Zwei gelehrte Schneider.

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .

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