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Als Goethe diese Verse schrieb, hatte die Liebe zu Frau von Stein, an die sie auch gerichtet sind, schon sein ganzes Wesen ein­genommen, und wir müssen jetzt das Verhältniß des Dichters zu dieser ebenso durch ihren Geist wie durch den Zauber ihrer Per­sönlichkeit verführerischen Frau kurz berühren. Kein weibliches Wesen vielleicht ist von Goethe mit solcher Gluth, so tief, mit einer derartigen, seiner innersten Seele entstammenden Leidenschaft geliebt worden wie Charlotte von Stein  ; das aber ist gewiß, daß keine andere einen so großen und überaus heilsamen Ein­fluß auf sein dichterisches Schaffen geübt hat, wie sie. Sie war Hofdame und die Gemahlin des Oberstallmeisters von Stein, dem sie, als Goethe ihre persönliche Bekanntschaft machte, 33 Jahre alt, damals bereits sieben Kinder geboren hatte. Die beste unter allen" sagt Schiller   einige Jahre später über sie ,, war Frau von Stein, eine wahrhaftig eigene interessante Person und von der ich begreife, daß Goethe sich so ganz an sie attachirt hat. Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Ver­stand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen." Und Lewes

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spricht sich so über sie aus: Wir können die Gewalt ihrer Per­sönlichkeit ahnen, wenn wir ihr Bild betrachten und uns diese feinen koketten Züge mit dem Reiz der Sinnlichkeit, der Heiterkeit und der Weltbildung beseelt denken. Sie konnte gut singen, spielen, zeichnen, sie sprach gut, wußte Poesie zu würdigen und behan­delte Gefühlssachen mit dem zarten Takt einer Frau von Welt." Diese Frau wurde bald die nächste Vertraute seines Seelenlebens, und nicht nur, daß die glühende Leidenschaft, die der Dichter bald nach der ersten Begegnung schon zu ihr empfand, ihm eine Reihe seiner schönsten lyrischen Poesien eingab, sie wirkte auch direkt auf sein ganzes künstlerisches Schaffen ein und spornte ihn zur Fort­jezung und Vollendung der bereits begonnenen größeren Werke an. Zehn Jahre lang hat die Neigung zu ihr, bald glühend emporlodernd, bald durch den Zwang der Umstände vorübergehend gedämpft und dann wieder in mächtigen, gefährlichen Flammen aufschlagend, den Dichter in Fesseln gehalten, und sein Briefwechsel mit ihr( 1848-50 durch A. Schöll herausgegeben, 2. Aufl. 1857) gehört zu den wichtigsten Quellen für die Geschichte der Entwicklung seines Charakters und seines Geistes.( Fortsetzung solgt.)

Russen und Engländer in Asien  . ( Fortsegung.)

Wie wir im vorigen Artikel eine handvoll Freibeuter von einem Lande von 240,000 Quadraimeilen Ausdehnung Besitz nehmen sahen, so wollen wir heute den Lesern das politische Wunder schildern, wie eine handvoll Krämer, die sogenannte Republik der Leadenhall- Straße, deren Firma die Ostindische Kompagnie heißt, ein Land von 100 min. Einwohnern erworben hat. Die schlauen Spekulanten der Londoner City nahmen sich nicht einmal die Mühe, den Seeweg nach Ostindien zu suchen. Dieses beschwerliche Wagstück vollführte der Portugiese, Vasco de Gama  , der im Jahre 1498 nach der Umschiffung von Afrika  in dem ostindischen Hafen von Kalikat   an der Malabarküste landete. Hätten sich die Portugiesen mit Anknüpfung von Handelsverbindungen begnügt, so wäre die Annektirung des Landes nur eine Frage der Zeit gewesen; sie wollten aber die Indier über Nacht in den Pferch der ,, allein seligmachenden Kirche" bringen und schickten zu diesem Zwed die Gerichtsvollzieher der Inquisition  , acht Jesuiten   hin, welche bald das Schwert eifriger als die Bibel handhabten, es aber auch dahin brachten, daß die Portugiesen zum Lande hinausgeworfen wurden. Das Mißgeschick der Portugiesen hatte die Bildung von vier europäisch­ostindischen Handelsgesellschaften zur Folge: der niederländischen 1594, der englischen 1600, der dänischen 1616 und der französischen 1664. Ihr Wirken kann im großen und ganzen als Wohlthat für Indien  nicht betrachtet werden, weil die Triebfeder ihrer Verwaltung die Fül­lung des Geldbeutels war. Die niederländischen und dänischen An­siedelungen gelangten niemals zur Bedeutung, der Franzose hat über­haupt kein Talent zum Krämer, folglich auch nicht zum Kolonisten in Indien  , der sich weniger mit Ackerbau, als mit Handel befassen muß. Nur die Engländer verstanden es, in dem von Gewalthabern wimmelnden Lande durch Unterstüßung des einen Gewalthabers gegen den andern zu günstigen Verträgen zu gelangen. Gern gesehen waren auch diese Fremden nicht, aber sie brachten keine Soldaten und keine Priester mit und so konnte man ihrem Erpressnngssystem wenigstens Duldsamkeit in religiösen Dingen nicht absprechen. Auch den National­charakter, die Sitten und Vorurtheile ließen sie unbehelligt. Kein Land der Welt vereinigt in sich so sonderbare Gegensäße, wie das britische Indien  , und doch hat kein anderes, anfänglich erschlichenes und später erobertes Land seinen Nationalcharakter so rein, seine Sitten und Vor­urtheile, aller Aufklärung und Civilisation zum Troße, so ungestört behalten. Ganz unverkennbar ist dies eine Folge des toleranten Ver­fahrens der Ostindischen Kompagnie, wie die Engländer überhaupt in allen Verhältnissen zu den Eingeborenen ihrer Niederlassungen es ge­wöhnlich halten. Zufrieden damit, ihren Besiß sich zu wahren und die größtmöglichen Handelsvortheile aus demselben zu ziehen, zwingen fie die Eingeborenen nie zu einer Aenderung ihrer Sitten oder Gewohn heiten, so daß diese nur als Zeugen, nicht als Unterthanen der fremden Berbesserungen, den Wechsel ihrer Herrschaft wahrnehmen. Und infolge dieser scheinbaren Nachlässigkeit, die aber in der That vielmehr die allergeschichteste Tattit iſt, regierte in furzer Zeit eine handvoll Krämer, ohne irgend Widerstand zu finden, eine Bevölkerung, deren Gesammt zahl bald auf hundert Millionen anwuchs, und bildete im Verkehr zwi­schen Asien   und Europa   das vermittelnde Glied. Mit dem 31. Dezem ber 1600, an welchem Tage die Englisch  - Indische Handelskompagnie ihren ersten Freibrief erhielt, begann für Ostindien die Aera der Wandlung. Mit dem Jahre 1624, in welchem der Kompagnie in ihren Faktoreien die Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit verliehen wurde, wodurch sie sich als politische Regierung installirte, wurde auch der Keim zur Großmachtstellung Englands gelegt. Bis zur Gründung der Französisch- Ostindischen Handelskompagnie  ( 1664) verschlang der eng­ lische   Moloch ungestört eine indische Provinz nach der andern, bis sei­nem unerschütterlichen Appetit der französische   Minister Colbert durch

seine obenangeführte Schöpfung, wenn auch nur auf kurze Zeit, Grenzen sezte. Europäische Taktik und wilder Ungestüm der Eingeborenen, Schlauheit und Grausamkeit seßten ein verzweifeltes Ringen in Szene, welches hundert und sechs Jahre dauerte, bis im Jahre 1770, in wel­chem sich die Französisch- Ostindische Kompagnie auflöſte, England keinen europäischen   Nebenbuhler auf indischem Boden mehr zu fürchten hatte. Von solcher Machtgewinnung einer Handelskompagnie hat weder die alte noch die neue Zeit ein zweites Beispiel aufzuweisen. Im Jahre 1670 beschränkte sich die Besitzung der Kompagnie auf die drei Fak­toreien in Surat  , Masulipatam und Arbogum. Die etlichen hundert Europäer waren kaum im Stande, sich gegen Piraten und Straßen­räuber zu vertheidigen, geschweige denn sich in einen Krieg mit den Fürsten des Landes einzulassen und heute beherrschen 140,000 Weiße ( wovon 59,000 nicht zum Militär gehören) hunderte von Millionen Indiern. Die 13 Provinzen und 8 Aufsichtsbezirke( Vasallenstaaten) des ungeheueren Dreiecks zwischen Kashmir, Assam   und dem Kap Co­morin, der südlichsten Spize Hindostans, zahlen jährlich einen Tribut von 3 Millionen Pfund Sterling, 20 Millionen Thaler indirekter Steuer, Kalkutta  , vor hundert Jahren noch ein Dorf, ist die Hauptstadt des Ostens geworden; Bombays Handel ist größer, als der des alten Tyrus in seiner berühmtesten Zeit und Madras   darf das Indische Karthago genannt werden. Selbstverwaltung der Gemeinden war das Regierungsprinzip der Kompagnie, die aber trotzdem den innern Aus­bau der Regierungsmaschine nicht vergaß. Man könnte einen Folian­ten mit der Erzählung der blutigen Heldenthaten füllen, welche die Engländer unter der Führung von Clive, Warwen, Hastings  , Minto  , Hardinge vollführten. Leider klebt diesen modernen Spartanern nur zu deutlich der Schandfleck persönlicher Geldgier an, zu deren Befrie­digung die besiegten Fürsten und Völker unsäglichen Bedrückungen und Mißhandlungen unterworfen wurden. Zur Ehre der Direktoren der Ostindischen Kompagnie sei es gesagt, daß ihnen diese bluterkauften Eroberungen nicht angenehm waren. Dies wohl der Grund, daß, als am 30. April 1854 der Freibrief der Kompagnie erlosch, dieselbe um dessen Erneuerung bei der britischen Regierung nicht nachsuchte. Der Krone von England wurden durch das neue ostindische Kolonialgeset bom 4. Mai 1854 erweiterte Aufsichtsrechte zuerkannt. Bis zum 10. Mai 1857 erfreute sich Indien   seit Menschengedenken zum ersten mal eines ungetrübten Friedens. An diesem Tage begann aber leider das grauenhafte Schauspiel der Ermordung aller Christen und Europäer in Mirat, Delhi   und Cawnpore. Die Veranlassung dazu gab die von der englischen   Regierung geplante Einführung der Enfieldbüchsen und deren mit Kindertalg und Schweineschmalz( ersterer den Hindu, letzteres den Mohamedanern ein Greuel) bestrichenen Patronen. Diese un­überlegte Mißachtung althergebrachter Sitte und Abneigung führte einen blutigen Aufstand der eingeborenen Regimenter herbei, der erst nach Jahresfrist gedämpft wurde. Mit der Proklamation vom 1. Nov. 1858 übernahm Englands Königin, Viktoria, die Regierung von Ostindien. Neuer Ländererwerb hörte jezt auf; Hauptbestreben ward, das weite Gebiet zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen, die Staatsverfassung auszubauen und die Verwaltung so zu ordnen, daß ein einheitlicher Wille sich Geltung zu verschaffen im Stande ist. ( Schluß folgt.)

Ein Gedenkblatt zum Schillertage. Das deutsche   Volk beging am 10. November 1879 den 120. Geburtstag eines seiner ruhmreichsten Söyne, des edelsten deutschen Dichters Friedrich Schiller  . Sowie in feinem deutschen Hause Schillers Werke fehlen dürfen, sollte auch keine deutsche   Stadt, welche eine solche äußere Betonung ihres innigen Zu­sammenhanges mit dem nationalen Geistesleben erschwingen fann, ein Schillerdenkmal entbehren. Wie es fam, daß gerade Schiller bei seiner Nation diese ungeheure Volksthümlichkeit erwarb? Die furze Antwort