Verbindungsbahn nur dann zu urtheilen, und der Eisenbahn­gesellschaft zur Erwerbung des für die Strecke nöthigen Grund und Bodens nur dann behilflich zu sein, wenn der Bahn die von Alster vorgeschlagene Richtung gegeben würde.

Da nun die Väter der Stadt in der technischen Direktion der Eisenbahn gute Freunde und getreue Nachbarn ſizen hatten, die nach dem Grundsatz eine Hand wäscht die andre" zu den auf opferndsten Freundschaftsdiensten immerdar bereit waren, so geschah, wie Alster vorgeschlagen und die Stadtverordneten beschlossen: die Verbindungsbahn ging durch die Obervorstadt deren ganzer Länge nach, und die Eisenbahngesellschaft hatte das Vergnügen von dem Magistrate den Grund und Boden von Straßen und Plätzen und von den Bürgern 50-60 Haus- und Gartengrund stücke käuflich zu erwerben, für die sie im ganzen nicht viel mehr zu bezahlen brauchte, als das doppelte des Preises, den dieselben bis dahin werthgeschäßt worden waren.

Bei dieser wunderbaren, aber wie Herr Alster behauptete ,,, in der segensreichen Natur des modernen Wirthschaftslebens tief­begründeten Steigerung des Nationalreichthums" ging Herr Alster selber, wie sich gebührte, nicht leer aus. Auch sein Grundstück konnte die Eisenbahn nicht umgehen, und grade bei ihm, dem trefflichsten Redner und Nationalökonomen des Stadtverordneten­follegiums manifestirte das moderne Wirthschaftsleben seine segen bringende Macht in eklatantester Weise; denn sein Haus, welches er bislang selber nicht viel höher als auf 7000 Thaler tarirt hatte, konnte er plößlich, als es die Eisenbahnverwaltung an­faufen wollte, beim besten Willen nicht unter 20,000 Thaler lassen. Er hatte über Nacht die Entdeckung gemacht, daß sich an der Stelle des kleinen Gärtchens hinter dem Hause ein sehr rentables Hinterhaus bauen und daß dieses sich verbinden lasse mit dem Borderhause durch ein nicht minder rentables Seitengebäude, also, daß er der Eisenbahn wahrhaftig noch ein Geschenk machte, als er ihr zu Liebe auf diese seine schönen Zukunftspläne für das mäßige Sümmchen von 10-12,000 Thaler Verzicht leistete. Fortan hatte sich Herr Alster ganz dem Gemeinwohl gewidmet. Die Beaufsichtigung des Kolonialwaarenhandels, bei dem er die aktive Thätigkeit am Syrupsfasse und dem Buttereimer längst aufgegeben, raubte ihm zu viel Zeit und entschädigte ihn für den Aufwand seiner geistigen Fähigkeiten lange nicht mehr nach Ge­bühr. Größere und viel Erfolg versprechende Gebiete hatten sich vor seinem geschäftsverständigen Auge geöffnet. Was gab es in der Zeit glänzenden, wirthschaftlichen Aufschwunges z. B. nicht alles zu thun an jenem herrlichen Institute, welches die Börse genannt wird! Wie konnte man da durch Betheiligung an allen möglichen Aktienunternehmungen Verkehr und Handel, Industrie und Ackerbau auf die Beine helfen!

Und auch diese gemeinnüßige Beschäftigung trug Herrn Alster reichen Lohn ein. Zwei Jahre nach dem Verkauf seines alten Grundstücks in der armen Obervorstadt hatte er sich ein Haus in der noblen Thalvorstadt gekauft, und ein Jahr darauf mußte er, wieder um mit seiner kostbaren Zeit zu sparen, die ihm bei seiner immer vielseitiger sich gestaltenden Thätigkeit immer mehr zu fehlen begann, Equipage anschaffen, u. s. w. Es war eben aus dem kleinen Krämer, wie alle Welt wußte, ein großer Geldmann geworden, der Geld wie Heu, Ansehen und Einfluß wie ein kleiner Fürst und Selbstbewußtsein zum allerwenigsten wie ein Halbgott besaß.

Aber er besaß noch etwas, der reiche, angesehene und stolze Herr Alster , und dieses Besißthum wäre einem andern vielleicht mehr werth gewesen, als all' das übrige zusammengenommen. Er nannte ein bildhübsches, grundgescheites und wirklich unver dorben herzensreines Töchterlein sein, ein blondes Mädchen von jezt fünfzehn Jahren, die denn auch, wie es gar nicht anders sein konnte, des Vaters ganzes Herz erobert hatte, so weit nur bei dem welterfahrenen, geschäftsverknöcherten Manne von so einem Dinge, als ein Herz es ist, überhaupt noch etwas übrig war.

Dieses Töchterlein, Wanda Alster mit Namen, war die Spiel gefährtin Frizz Lauters, des Buchdruckergehilfen, gewesen im alten Hause in der Obervorstadt. Er hatte es sehr lieb gehabt, der zehnjährige kräftige Bursch' mit dem guten und getreuen Herzen, das fünfjährige blondlockige Ding, welches so schwach und gar manchmal den Mißhandlungen der Straßenjungen ausgesetzt war die ihren albernen Spott trieben über ihre schönen ,, frummen" Haare und ihre zarte, weiße Haut, die so garnicht auf die sonnen bebrütete Straße und eigentlich auch nicht in die Familie Alster hineinpaßte. Und wie sie an ihm gehangen, die kleine Wanda an dem großen Friß, der mit seinen langen Armen und derben

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| Fäusten jedesmal püffefroh und prügelmächtig zu ihren Gunsten intervenirte, wenn sie die barfüßigen Jungen der Obervorstadt an den Locken zerrten und die losen Straßenmädel Weißkage" schimpften. Das war nun allerdings schon anders geworden, als Herr Alster zum Hausbesizer avancirt war. Da durfte Wanda nicht länger, so wie früher, den halben Tag lang auf der Straße spielen und umherlaufen; die Gassenkinder waren natürlich auch nicht mehr anständige Spielgenossen für Herrn Alsters Tochter. Nur hinter dem Hause, in Hof und Garten durfte sie sich tummeln und mit den Kindern im Hause, besonders denen des Obersteuereinnehmers, konnte sie noch spielen. Aber ihr war das auch genug, besonders, wenn der Gymnaslast Friz zu Hause und von seinen fürchterlich gelehrten Schularbeiten nicht immerfort in Anspruch genommen war. Dann lehrte er die kleine Wanda allerlei nüßliche und ergößliche Sachen; er zeigte ihr, wie man aus Papier schöne Lichtmanschetten ausschneiden könne, wie man durch künstliche Zusammenfaltung eines Papierbl+ tes Schiffe, Sterne, Müßen und alles erdenkliche andere machet wie man aus Pappe und buntem Glanzpapier reizende Kästchen zusammenkleistern und aus Cigarrenkisten große Segelschiffe bauen könne, und noch viel des Schönen und Brauchbaren mehr. So war es geblieben bis Frizz Lauter, gezwungen die hochfliegenden Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft als Bruder Studio und später gar als Doktor und Professor aufzugeben, in die Lehre fam.

Dann war er den ganzen Tag, von früh um halb sieben Uhr bis abends gegen acht Ühe von Hause abwesend gewesen; es war ihm also für seine kleine Spielgefährtin fast gar keine Zeit übrig geblieben, und kaum war er ein Jahr in der Lehre, so verkaufte Herr Alster sein Haus zum Abbruch an die Eisenbahngesellschaft und zog ins Thal, wie die vornehme Vorstadt kurz: veg genannt zu werden pflegte, während Frau Lauter mit ihren Kindern weiter hinauszog in die Obervorstadt, wo es noch kleinere Häuser und billigere Wohnungen gab. Seit dieser Zeit hatte Frizz die kleine Wanda nur noch zwei oder dreimal gesehen. Einmal hatte er bei Herrn Alster im Auftrage seiner Mutter Besuch gemacht. Die kleine Wanda kam ihm, wie immer, in kindlicher Herzlichkeit ent­gegen und freute sich, daß ihr die Thränen in die dunkeln Augen traten, über das Wiedersehen. Auch Herr Alster war nicht un­freundlich, aber er war so vornehm geworden, er erkundigte sich mit so fühlem Wohlwollen nach dem Befinden von Frißens Mutter, er meinte, Frizz hätte gar nichts besseres thun können, als Buchdrucker zu werden kurz, er benahm sich und sprach so, daß es Friz garnicht wohl wurde in der Nähe des Mannes, der ihm und den seinen, wie er fühlte, jetzt fern, ganz unendlich fern stand. Dazu kam die für Frizz unerhört prächtige Aus­stattung der Wohnung; die dicken Teppiche auf dem Fußboden, die den Tritt bis zur Unhörbarkeit dämpften, und die kostbaren, hellleuchtenden Möbelstoffe das alles war ihm so ungewohnt, fontrastirte so grell mit der ärmlichen Ausstattung der Behausung seiner Mutter, daß es den muntern Burschen fast beängstigte. So gern Friß auch seine kleine Freundin recht oft wieder­gesehen hätte, konnte er sich doch nicht überwinden, noch einmal das schöne Haus im Thal zu betreten, zumal Herr Alster ganz vergessen hatte, ihn dazu einzuladen. Ein paarmal begegnete er Wanda dann noch im Laufe der nächsten Zeit auf der Straße und wechselte mit ihr einige freundliche Worte, aber sie waren einander doch allmälich auch fremder geworden und die alte Kinder­freundschaft schien nur im Gedächtniß und nicht mehr im Herzen aufbewahrt bleiben zu sollen.

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Als dann Frizz in die Fremde gegangen war, hatte er das kleine blonde Mädchen fast auch aus der Erinnerung verloren, und es wäre wol überhaupt nur dann, wenn er mit seinen Ge­danken in seine Kinderzeit zurückkehrte, vor seinem Geistesauge flüchtig emporgetaucht, und auch dann nur als ein freundlich lächelnder Schatten ohne feste Gestalt und bestimmte Umrisse, wenn nicht urplößlich jenes Ereigniß eingetreten wäre, welches neulich in der Druckerei von Gandersberg u. Komp. so großes Aufsehen erregt hatte.

Wanda Alster war, wie fast täglich, in ihrer eigenen kleinen Gondel, die ihr der zärtliche Vater zum Geburtstage geschenkt hatte, allein auf dem Schloßteiche spazieren gefahren und im Be­griff gewesen, die Gondel an einer buschumgebenen, einsamen User­stelle zu verlassen, wo das Schifflein an einen Pflock angeschlossen zu werden pflegte, als sie ganz unerwartet und plößlich die Gestalt eines jungen Mannes auftauchen jah. Ein wenig erschrocken wich sie einen Schritt zurück, trat dabei auf den Rand der Gondel

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