alten Gefolgschafts- und Lehnswesen, wo auch die Parole galt: Kein Geld, kein Schweizer . Weß Brot ich eß, des Lied ich sing. Ganz wie bei unserer heutigen Presse. Damals war die Sache nur nicht ganz so unsittlich: sehen wir doch selbst Walther von der Vogelweide , der als sittlicher Charakter sicher eben so hoch zu stellen ist wie als Künstler, diesem Grundsatz zum Theil huldigen.
Walther, der 1160-1230 lebte, kann uns als Beispiel solcher fahrender Sänger dienen. Seine politischen Lieder geben den reichsten und herrlichsten Stoff für eingehendere Untersuchung und Schilderung. Wohl preist auch er die Milde, d. i. Freigebigkeit einzelner Fürsten, tadelt aber doch das tolle Treiben der mittelalterlichen Geniewirthschaft am thüringer Hofe bei dem Landgrafen Hermann( regierte 1195-1215). Dabei behielt er aber immer das Ganze im Auge und klagte über die heillose Verwir rung und Schwäche des deutschen Reiches; bei tiefer Religiosität fämpft er männlich gegen des Papstes Anmaßung und die Peterpfennigbrandschaßung, gegen den damals schon verrotteten Klerus, seine Gleißnerei und Weltlichkeit, ja selbst den Engeln, den Heer schaaren des Himmels, kündigt er Fehde und versagt ihnen seinen Lobpreis, so sie, die die Macht dazu haben, sich der Christenheit nicht annehmen wollen.
Auch redet er den Großen der Welt mit männlich biederen und derben Worten ins Gewissen und allem Volf legt er Hochachtung vor Ehre, Zucht und Sitte ans Herz. Walther feierte dankbar Herzog Friedrich von Destreich, den älteren Sohn Leopolds IV., der ihm viel gewesen zu sein scheint. Da Fried rich starb( 1198 auf der Kreuzfahrt) drückte er, wie er selbst singt, seine Kraniche( Schnabelschuhe) tief in die Erde, da schlich er wie ein Pfau und das Haupt hängt er nieder bis auf die nie. Darnach teitt er fräftig ein für Philipp von Schwaben , dessen Krönung( 1198) er hocherfreut verherrlicht und ihm guten Rath ertheilt. Er rügt freilich an ihm zu geringe Milde": ,, Königes Hand soll löcherig sein"; und dabei wird an Sultan Saladin, diesen merkwürdigen orientalischen Fürst erinnert, der mit seinen klösterlichen Mitteln so wohlthätig schaltete, daß bei seinem Tode nicht Geldes genug in der Schatulle war, um ihn zu bestatten. Des Landgrafen Hermann von Thüringen war schon gedacht. Im Streite zwischen Otto IV. und Friedrich 11., erst Otto dann Friedrich zufallend( weil er ungeachtet und unbelohnt blieb in des ersteren Diensten), schilt er jenen den bösesten Mann und schlägt sich auf die Seite des zweiten. Der wandermüde Dichter sehnt sich nun endlich nach festem Sig, nach einem Reichslehn, das er auch nach langem Hoffen von Friedrich II. im Jahre 1220 erhält. Den Papst Gerbert , als Nachfolger Petri Sylvester II. genannt, tadelt er heftig wegen weltlicher Macht, Anmaßung und Aussaugung der deutschen Lande und wegen Mißbrauches und Bestechlichkeit in der geistlichen Gerichts barkeit, in geistlichen Lehns und anderen Streitigkeiten, Rügen, die tausendfachen Widerhall erweckten und nicht wirkungslos blieben. Den Kaiser Friedrich mahnt er zum Kreuzzug, vielleicht hat der Dichter den Zug vom Jahre 1228 selbst mitgemacht; ein ander mal zur Herstellung des Friedens und der Ordung im Innern des Reichs.
Welch eine Fülle schöner Dichtungen von diesem einen Mann, neben dem unzählige andere wirkten, deren Lieder, nur von nächstem Interesse für ihre Zeit, uns nicht ebenso zahlreich erhalten sind; sie zeigten gewiß auch weniger hohe Kunst. Uns genügt Walther als Typus des politischen Dichters jener Zeit. Damit man aber den Glauben an die Wirkung solcher Sänger gewinne, erinnern wir nur an den Troubadour*) Bertran de Born ( 1145-1210), der durch seine Sirventes, Rüge und Striegslieder einen ungeheuren Einfluß auf die politischen Verhältnisse seiner Beit ausübte. Ganze Provinzen, ja selbst des französischen Kö nigs Söhne wiegelte dieser mit einem Liede auf, welches seine Sängerboten in den Landen verbreiteten. So groß war die Macht der Dichterjänger jener älteren Zeit, und man begreift, daß sie ein Faktor waren, mit dem gerechnet werden mußte, ihr Lob konnte ungemein viel nüßen, ihr„ Schelten" ungemein verhäng nißvoll für den Gescholtenen werden.
*) Die Troubadours, welche zum Theil mächtig auf unsere deutsche Dichtung einwirkten, waren die auch meist ritterlichen Sänger in Frank reich. Hingewiesen sei hier auf die verdienstvollen Werke von Diez: ,, Die Poesie der Troubadours", 3widau 1826 und ,, Leben und Werke der Troubadours", ebenda 1829, welche obige Thatsache aufs klarste beweisen.
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Dichtersänger nannten wir diese Leute, denn sie verfertigten nicht nur den Text ,,, die Worte", sondern auch die Melodie, die Weise" und waren somit die Hauptvertreter der hehren Kunst.
Nicht eigentlich Lieder, weil nicht gesungen, gehören aber doch auch hierher die ,, Sprüche", längere oder fürzere, meist in sogen. Knüppelversen abgefaßte Gedichte, welche ihren Namen daher hatten, daß sie von Spruchsprechern, Wappendichtern, später Schnepperern oder, wie diese lebendigen Zeitungen jener Zeiten sonst hießen, gesprochen, zum Theil auch, wenn der Bote neuer Märe lesen konnte, gelesen wurden. Auch diese Boten waren Fahrende wie die wandeluden Neuigkeitsrepertorien der Ritterzeit; viele dieser Sprüche schließen mit dem formelhaften Abschied„ alde, ich var dahin" oder ,, jez far ich von euch, dahin". Sie ,, liefen", wie der Kunstausdruck lautet, in allen Ländern herum; mit ihren Sprüchen, die meist ihre eignen Machwerke waren; ein hörlustiges, neugieriges Publikum fanden sie ja überall, da das Leben damals bei weitem mehr ein öffentliches war, als das heutige. Die Lust und Freude an dem Hören solcher Vorträge und deren Eindruck war so gewaltig, daß Eschenloer in seiner Geschichte der Stadt Breslau , welche die Jahre 1440-79 umfaßt, bei Erwähnung eines 1457 erlassenen Rathsverbotes gegen die Schmähgedichte der katholischen Geistlichkeit gegen Podiebrad bemerkt: ,, ie mehr und mehr erhuben sich neue Gesenge und Gedichte in den Kretscham heusern( Herbergen) und die Prediger waren dabei helfende, daß fein Ratman noch kein weiser Man darwider mehr reden durfte." Die Freude des Singens und Sagen, sowie die Lust zum Zuhören ließ sich eben nicht ausrotten. Ueber die weite Verbreitung solcher Berichte führen wir die Klage Schärtleins an:„ Es haben die Grafen mich und die Meinigen schmählich mit Liedern und anderen Gedichten, mit Sprüchen und Schriften unter das Volf gebracht, auch vor die kaiserliche Majestät, vor Kur- und andere Fürsten , Grafen und Herren."
In einem Spruche aus dem Jahre 1400 haben wir auch ein glänzendes Zeugniß, wie sehr diese Dichter und Spruchspre cher sich als Träger der öffentlichen Meinung fühlten. Ihre Aufgabe als öffentliche Censoren und Sittenrichter, als Aufrechterhalter ehrlichen guten Brauches, als Kenner dessen, was ritterliche Sitte erheischt, ist ihnen vollkommen klar. Sie kannten die ritterlichen Gebräuche, das ganze ungeschriebene Gesetzbuch ritterlicher Zucht und Sitte und auch in ihrem Namen„ Herold "*) klingt etwas davon nach. Doch zu unserem Spruche.
Im Mai 1400 war ein Fürstentag zu Frankfurt versammelt, auf dem es sich um die Absetzung König Wenzels als eines Entgliederers des Reiches handelte und wo bei einem dazwischen fallenden himmelschreienden Frevel der Erzbischof von Mainz die Hand im Spiele hatte, der überhaupt in jenen Wirren eine große Rolle spielte. Beim Wegreiten von der Fürstenversammlung war nämlich Herzog Friedrich von Braunschweig- Lüneburg im waldeckschen Gebiete von Verkappten überfallen und erschlagen wor den. Darüber verfaßte ein Dichter, der sich Königsberg nennt, einen Spruch, in dem er schildert, wie er fern von dem Treiben der unruhigen Welt ,, auf einem Anger wohlgethan"( auf einem schönen Anger) spazieren ging und ihm ein außermaßen schönes Weib begegnete. Sie grüßt ihn zu seiner Verwunderung mit Nennung seines Namens und sagt ihm, sie sei auf Botschaft zu ihm gesandt, um seinen ritterlichen Dienst zu erbitten für sechs hehre Frauen. Sie sei Frau Gerechtigkeit genannt und werde mit ihren edlen Freundinnen Frau Ehre, Frau Treue, Frau Wahrheit, Frau Maße**), Frau Tugend und Frau Reine Zucht so hart bedrängt, daß sie wohl die Flucht antreten müßten aus deutschen Landen. Ihre Feindin die Frau Schande habe jetzt da zu große Gewalt und nun solle er, der Dichter und Herold , der Träger der öffentlichen Meinung und Wahrer von echter Zucht und Sitte, der zum Wappen geschworen habe", seine Stimme erheben ob schnöden Rechts- und Friedensbruches, der an Herzog Friedrich begangen worden sei. Der Dichter antwortet: er möchte der Rede erlassen sein", er möchte sonst arg an seinem Leibe zerschlagen oder lebendig begraben werden, wenn er zu viel Wahrheit sage". Ein Stückchen mittelalterliche Preßfreiheit“
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*) Herold hängt zusammen mit Heraldik, was freilich jetzt blos noch Wappenkunde bedeutet, das Wort Herold aber greift tiefer und umfaßt die Kenntniß alles dessen, was einem Ritter, jenem deutschen Mannesideale ziemt; später verengt sich der Begriff Herold.
**) Die in allen Dingen das rechte Maß hält, Besonnenheit, entsprechend der Sophrosyne, einer der vier Haupttugenden der alten Griechen.