werden, die an und für sich gar keinen Anspruch machten. Solche fanden sich denn in den biblischen Historien, in den scholastischen Glaubenslehrsäßen und allerlei Dingen, welche die Sänger und die Hörer nicht warm werden lassen. Drunterhinein bildete eine Feuersbrunst, eine Judenhatz wegen angeblicher Kinderschlächterei und Brunnenvergiftung, eine schauerliche Mißgeburt und Aehn liches eine fast wohlthuende Abwechslung!
Eine Dichtungsgattung, der Schwant fönnte nun vielleicht in den Verdacht gerathen, politische Zwecke und Ziele wirksam verfolgt zu haben: auch hier finden wir nur eine so ganz und gar lederne, hausbackene, kleinigkeitskrämerische Moral, welche höchstens über Zeit- und Modenarrheiten in Sitte und Kleidung zu Gerichte sigt, daß derjenige, der Interesse am öffentlichen Leben in diesen Dichtungen, politischen Hintergrund und kühnen Wurf und höheren Schwung sucht, sich arg enttäuscht fühlen wird. Wenn der Satirifer auch einmal nach den hohen Regionen langt und die Fürsten , Könige oder Kaiser packt, so richtet er seine Angriffe gegen ihre Sitten, nicht gegen ihre Thaten, und wenn von diesen letzteren ja einmal die Rede ist, so sagt er zu ihren Erfolgen höchstens sein treugehorsamstes, allerunterthänigstes Ja und Amen. Die großen Gesichtspunkte, die noch bei Walther von der Vogelweide vorhanden sind, fehlen hier gänzlich, Erfolgsanbeterei und beschränkte Impotenz sind die Hauptmerkmale dieser bürgerlichen Poesie, abgesehen von wenigen einzelnen Dichtern, wie etwa am Ende dieses Zeitabschnittes Hans Sachs , die mit größerer Genialität ausgestattet und von einer edleren Sittlichkeit getrieben, aus dem Schwarm dieser trivialen Verseschmierer bedeutsam hervorragen.
Auch die hier in der Entwickelung wieder eingreifende Volkspoesie fonnte feinen Wandel schaffen, jedenfalls aber nur sehr wenig helfen. Wandte sie sich auch mehr zu dem konkreten Leben, so ist doch auch ihr Gesichtskreis ein sehr enger: ein hochfahrender Bürgermeister, ein eingefangener Schnapphahn und seine Hinrichtung, oder höchstens Krieg und Fehde mit einer Nachbarstadt, einem nahen Fürsten oder Raubritter, die den verhaßten Bauern das Fell über die Ohren ziehen und sich von ihrem Fette mästen wollen: das ist die Weltgeschichte der nicht zünftigen und nicht in die Meistersängergilde eingeschriebenen Volkspoeten unserer mittelalterlichen Städte.
Eine ganz eigne Gattung politischer Lieder ist die der Neckund Schimpflieder, welche besonders benachbarte Volksstämme aufeinander dichteten und sangen. Bei kriegerischen Begegnungen oder vor und nach solchen spielten diese Trußgesänge eine ganz bedeutende Rolle. Hierfür sind eine Menge Belege vorhanden, 3. B. für die in Scheltpoesie sich vernehmlich machende Feindschaft zwischen den Bayern und Desterreichern ein- und den Schweizern andererseits. Die streitbaren Schweizer , die eifrig das Reislaufen*) übten, die aller Herren Schlachten schlugen und ihre Siege erkämpften und noch von Kaiser Maximilian als die Krone seines Kriegsvolkes bezeichnet wurden, hießen bei ihren obgedachten Nachbarn„ Bauern und Kuhbuben", denen man alles Schlimme nachsagte: feiner sei ein echter Schwizer, der nicht eine Nacht bei einer Kuh gelegen hätte und anderen bittern Schimpf mehr. Sie wollen Schweizer werden", sagte man( nachdem die Schweiz vom zerbröckelten Reiche in der That sich schon lange losgelöst hatte), von jedem, der im Verdacht stand, sich seiner rechtmäßigen Herrschaft entziehen und„ Ordnung und Recht brechen" zu wollen. Schwaben , Elsaß und alle Nachbarlande schallten wieder von Spottliedern, Trußsprüchen und gemeinen Schimpf reden, besonders nach dem Wormser Reichstag von 1495, von wo das fliegende Wort entsandt worden war, man wolle ,, den Schweizern einen Herren geben". Ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber berichtet darüber:„ Hant sich erhaben( erhoben) ohn Zweifel vom Haffer alles Friedens dem Tüfel selbs erdachte schändliche, unmenschliche Schmähwort Lieder und Mucken."
In der Schweiz war es auch, wo ein Aufschwung zum wirklichen hohen politischen Liede stattfand. Die ewigen Kriege gegen Desterreich und Burgund entwickelten zuerst in diesem deutschen Stamm den Begriff eines einigen, freien, selbstbewußten Volkes, wovon eine große Menge von Nachrichten beredtes Zeugniß ablegen. Diese äußere Entwickelung im Leben zog die Poesie mächtig nach sich, der politischen That folgte das politische Gedicht, dem
*) Reise- Kriegsfahrt, Reislaufen hieß die Sitte der Schweizer , in allen Landen unter allen Fahnen um Sold zu dienen, welche so stark um sich griff, daß seiten der eidgenössischen Regierung verschiedene Male durch Geseze dagegen eingeschritten werden mußte.
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Krieg das Kriegslied, wie nicht anders zu erwarten bei einem von altersher als sangeslustig bekannten Lande, wie die schon in der Minnepoesie start mitbetheiligte Schweiz eines war. Besonders leuchtet aus der großen Zahl dieser Gesänge das Lied hervor, so nach der Sempacher Schlacht gesungen ward", wie der erste Veröffentlicher desselben sagt. Es ist diese Angabe sehr glaubwürdig: das meiste wird als bekannt vorausgesetzt, Namen besiegter Feinde werden nicht genannt, nicht einmal Herzog Leopold von Desterreich, der vornehmste der gegnerischen Fürsten, der in der Schlacht fiel.
Zu Sempach vor dem Walde treffen der Stier( die Schweizer , nach dem Stier Uris symbolisch so genannt) und der Löwe( das österreichische Wappenthier) zusammen. Da sprach der Löwe zum Stiere Du kommst mir eben recht. Du hast mir vor Laufen*) Gar viel zu Leide gethan.... An dem Morgarten**)
Da erschlugt ihr mir manchen Mann, Ich will es dir hin vergelten, Wenn ichs so fügen kann.
Sie begonnten zusammen treten Sie griffen fröhlich an Bis das derselbe Löwe
Gar schier die Fluchte nahm; Er floh hin bis an den Berg: Wohin willst du, starker Löwe? ,, Du bist nicht ehrenwerth."
Willst du mir hie entweichen Auf dieser Heidebreit?
Es steht dir lästerlichen
So man es von dir seit....( sagt, erzählt, singt).
Und nun folgt in furzen kräftigen Zügen, wie der Schwitzer Stier ,, mit seinem Schwanze hat ihrer viel erschlagen". Er triumphirt:
Ich schlug ihn in den Graben, Ich schlug ihn daß er da lag Ich schlug ihn immermehre Daß ihm der Kopf zerbrach." Und zu dem Löwen spricht er:
. ,, Nun bin ich hie gewesen ,, Du hast mir sehr gedroht ,, Ich bin von dir genesen! ,, Nun kehr du wiederumb heim
Zu deiner schönen Frauen
,, Dein' Ehr'n sind wahrlich klein!"
Eine mächtige und gewaltige Poesie, wie sie eben nur unter dem Eindruck des Gelingens eines so mächtigen und gewaltigen Stückes Arbeit entstehen kann! Wir können ihr aus neuerer Zeit nur die Lieder aus den Freiheitskriegen würdig an die Seite sezen, geradezu erbärmlich aber fallen dagegen alle die zusammengestoppelten Reimereien des Krieges von 1870/71, die in dem ſtupiden, nicht einmal originellen Kutschkelied ihren Höhepunkt fanden. Sonderbar! Blut ist genug geflossen 1870 und doch kein Dichter, der die Heldenthaten würdig besang!
Neben der Schweiz läßt sich ein selbstbewußtes, freiheitliebendes politisches Lied noch aufweisen in dem hohen Norden bei den Ditmarsen, welche auf das hartnäckigste gegen holsteinische und dänische Knechtung ihre Unabhängigkeit wahren. Aus diesen nie ganz ruhenden Kämpfen leuchtet besonders die Schlacht bei Hemmigstadt hervor, auf welche denn auch mehr als ein Dußend Volkslieder erhalten sind, welche die Heldenthaten der freigesessenen Bauern gegen dänische Könige und die Grafen von Holſtein***) besingen. Aus einem Bruchstück geben wir eine Probe. Das betreffende Lied bezog sich auf das Jahr 1404. Die Holsteiner hatten 1403 zur Niederhaltung der freien Ditmarsen eine Zwingburg, die Marienburg erbaut, besonders auf den Rath des Claus
von Ahlefeld. Von dieser heißt es: Het let wol buwen ein gut schlot unsem ehrlichen Lande to gramme do schrack sich Rothffs Bojeken sone de beste in unsem lande.
*) Schlacht bei Laufen 1339.
Er ließ wohl bauen ein gutes Schloß Unserm ehrlichen Lande zum Grame Das sprach Nolf Boikensohn Der beste in unserem Lande.
Schlacht bei Morgarten 1315.
***) Eigentlich Holsten, Holstein ist eine ganz unsinnige Umbildung, als wenn der Name mit einem ,, hohlen Stein" etwas zu thun hätte. Der Volksname Holsten bedeutet ,, die im Holze, im Walde sißen, wohnen."