"

-50

gelegentlich einmal besonders brav" erweist, auch auf einen Augenblick in Freundlichkeit herabläßt, aber nur um ihn gleich darauf möglichst fühlbar mit der Nase auf die Barrière zu stoßen, welche Hoch und Niedrig, Reich und Arm scheidet.

Diese Demüthigung, grade an diesem Ort erfahren, wo ihm zuerst Wanda's herzgewinnende Freundlichkeit entgegengelacht, hatte unsern Frizz niedergeschlagen und ihm wochenlang die gute Laune geraubt. Aber sie hatte in ihm auch das Verlangen von neuem angestachelt, zu erforschen, ob es denn nicht möglich sei, sich über jene Barrière hinüberzuschwingen.

Dabei schien ihm das eine klar: es bedurfte vor allem einer bedeutenden Geistesbildung, um die Aussicht zu gewinnen, sich aus seinen beschränkten Lebensverhältnissen in minder beschränkte emporzuschwingen.

Wie und auf welchem Wege diese erringen? An einen Lehrer fonnte er nicht denken. Seine Mittel erlaubten ihm, zu leben und seine Mutter zu unterstützen, aber mehr auch nicht. Er war also auf Alleinarbeiten, Selbststudiren angewiesen. Wo da an­fangen? Sollte er dort anknüpfen, wo er bei seinem Abgange vom Gymnasium aufgehört? Gewiß, es schien ihm nichts andres übrig zu bleiben..

-

Die Einbildung, er werde nun in seiner Eigenschaft als Sezer, in Ausübung seines Berufes, spielend lernen, die Worte, die er setzte, zu seinem geistigen Eigenthum machen und damit ein hoch gebildeter Mann werden können,-war ja längst dahin. Was er zu setzen bekommen hatte, war allermeist nicht werth, gelernt zu werden. Was konnten seinem Wissensdurst leicht hingeschriebene Tagesnachrichten, wiß- und sensationhaschender belletristischer Krimskrams und erbauliches Gesalbader pfäffischer Schönredner und Schönschreiber frommen? Und was half es ihm auch, wenn er ausnahmsweise einmal ein wirklich werthvolles, wissenschaft­liches Werk zu sehen erhalten hatte? Konzentrirte er sein Denk vermögen auf den Sinn seines Sages, so setzte er bestimmt Fehler über Fehler, und wenn er sich auch aus den dadurch nöthig­werdenden Korrekturen nichts gemacht hätte, so konnte er sich doch nicht verheimlichen, daß ihn sehr häufig das Verständniß im Stiche ließ, daß er sogar fast nie dasjenige, was er auf diese Weise hätte lernen können, in die unbedingt nöthige Verknüpfung mit jenem, das er bereits wußte, zu bringen vermochte. Er mußte also in seinen Mußestunden ganz systematisch studiren, das sah er ein, und unverzüglich ging er an's Werk. Dabei war er aber immer niedergeschlagener und erbitterter geworden, bis zu jenem Tage, an welchem der schlaue Kollege Därmig hinter den greifbarsten Theil seines Geheimnisses gekommen war.

*

*

*

-

Das Restaurant Weinhold, das eleganteste in P., pflegte in den Herbst- und Wintermonaten allabendlich von der sogenannten besten Gesellschaft der Universitätsstadt   zahlreich besucht zu werden. Aber erst wenn das nahegelegene Theater, in dem nur von Oktober bis Mai, dann aber täglich, gespielt wurde, geschlossen war gewöhnlich zwischen 9 und 10 Uhr abends füllten sich die ziemlich geräumigen Lokalitäten; vorher sah man meist nur eine kleine Anzahl von Stammgästen mit staunenswerther Ausdauer ihre strategisch wichtigen Punkte besezt halten, d. h. jene Winkel und Nischen, von denen man das ganze Lokal zu überschauen vermag, und deren Wände denen, die sie okfupirt haben, nach zwei oder gar drei Himmelsrichtungen den Rücken decken.

Und heut, um 8 Uhr abends, am 10. Oktober, ist es im Restaurant Meinhold nicht anders als alle Tage. In dem einen Winkel, links vom Eingange, sitzt ein halbes Dubend Herren ver­schiedenen Alters, in zwanglosester Weise plaudernd und trinkend, was jedem behagt: bayrisch oder pilsner Bier, rothen oder weißen Wein; während in dem andern Winkel, diesem diagonal gegen über, nur zwei Herren ungefähr gleichen, mittleren Alters gemein­sam eine Flasche alten Ungarweins trinken und sich dabei gegen seitig nach Kräften zu langweilen scheinen.

" Dir merkt man heut übrigens nicht an, daß du eine gewisse Berühmtheit als Gesellschafter genießest, Schweder," gähnte der eine der Herren nach langer Gesprächspause, während deren er sich damit beschäftigt hatte, den Rauch seiner Cigarette in fon zentrischen Ringen in die Luft zu blasen.

" Ich treibe soeben Politik und Nationalökonomie," erwiderte der andere, von einer Zeitung aufschauend, die vor ihm auf dem Tische lag, und zwar so zusammengeschlagen, wie sie der Kellner vor einer halben Stunde gebracht hatte.

Der erste lächelte. Das Annoncenblatt der Landeszeitung ist ein recht geeignetes Hülfsmittel für diese Studien."

" Gewiß," bestätigte Herr Schweder ernsthaft. Man muß so eine Seite Annoncen nur zu lesen verstehen. Zum Exempel: welche nationalökonomische Perspektive eröffnet sich einem sach­verständigen Auge beim Durchlesen dieses Inserates hier, welches die Versicherung gibt, daß die Herren Alster, Justizrath Wichtel nebst ungenannten Genossen eine Eisenbahnwaggonfabrik errichten wollen, welche die ausländische Konkurrenz auf diesem Gebiete aus dem Felde zu schlagen bestimmt ist."

Herr Schweder mußte ein für seinen Freund überaus inter­essantes Thema berührt haben, denn aus dem Gesichte des andern Herrn war mit einemmale die Langeweile geschwunden. Mensch, Su bist nicht recht gescheit," sagte er, hörbar erregt, und griff nach dem Zeitungsblatt: Alster und Wichtel werden doch nicht daran denken Seine Blicke waren auf die fragliche An­kündigung gefallen.

"

Schweder sah ihn lächelnd und scharf an: Ich wußte aller­dings, lieber Senkbeil, daß du als Industrieller ein reges Interesse an nationalökonomischen Fragen hast, aber daß dich die für die ausländische Konkurrenzindustrie allerdings niederschmetternde Nachricht so ungemein lebhaft interessiren möchte, hätte ich wirk­lich nicht vermuthet."

Der mit dem Namen Senkbeil angeredete Herr hatte das Inserat zum zweiten und drittenmal überflogen. Es interessirte ihn nicht blos, es regte ihn offenbar in hohem Maße auf, was er da las." Das hatte grade noch gefehlt!" brach er endlich los, nur mit Mühe seine Erregung mäßigend und seine Stimme dämpfend. Die ausländische Konkurrenz pfeift auf die Alster  und Genossen. Aber ich, ich-!"

-

Herr Schweder affektirte wohl nur sein Erstaunen: Du du? Ich begreife nicht, dein solidfundirtes Geschäft hat doch auch keine Konkurrenz zu fürchten."

-

-

" Das verstehst du nicht, Schweder,- ich versichere dich, das verstehst du nicht. Du mit deinen zweitausend Thalern Rente hast dich den Teufel um die Chancen des Industriemarktes, um die auch für das solidest angelegte Geschäft oft ganz unüber­windlichen Schwierigkeiten der Konkurrenz gekümmert, ich aber habe schon seit Jahren darunter zu leiden gehabt. Die Kon­furrenz hat mich gezwungen, mein Geschäft auf einen größeren Fuß zu stellen, als mir meine eigenen Mittel erlaubten, du bist mein Freund, Schweder, und du weißt ja im Grunde schon so ziemlich, wie ich stehe, wenn es dir jetzt auch beliebt, so ver­wundert zu thun, ich bin abhängig von Leuten, die, wenn fie mich langsam abschlachten, ein besseres Geschäft machen, als wenn sie mir redlich unter die Arme greifen." " Du vergissest das gute Herz besagter guten Freunde," schaltete Herr Schweder ein.

"

-

Herr Senkbeil runzelte unwillig die Stirn. Mach keine Wiße, Schweder, nur jeßt nicht, ich bitte dich. Mir ist ver­zweifelt ernst zu Muthe, und ich sage dir, auf die Ehrenpflicht hin, zu schweigen, wie es solche Vertrauensmittheilungen ver langen können, daß ich zugrunde gerichtet bin, wenn Alster und Wichtel eine, Fabrik für Eisenbahnbedarf errichten."

" Sie werden es thun, lieber Sentbeil, da ist kein Zweifel; zum Spaße erläßt man nicht solche hochtrabende Ankündigungen, wie diese, an der ich die vielgewandte Feder des eleganten Schock­schwerenöthers Wichtel junior erkenne."

" Du hast recht, es ist kein Zweifel, und es ist auch kein Zweifel, daß ich die Bude schließen kann, wenn ich nicht haben will, daß sie mir andere schließen!"

Aber warum denn eigentlich?"

" Weil ich mir jetzt seit einem halben Jahre die erdenklichste und aufreibendste Mühe gegeben habe, so große Bestellungen zu erhalten, wie sie die Anlagen meines Geschäfts erheischen; weil ich mich endlich zu der Hoffnung berechtigt sah, es würden mir von der Eisenbahngesellschaft, bei der Alster, Wichtel und Kon­forten im Verwaltungsrath fizen, die Herstellung des größten Theils ihres Bedarfs an Eisenbahnfahrzeugen übertragen werden, und weil diese Hoffnung vernichtet und dann jede Aussicht auf entsprechend große Bestellungen geschwunden ist, wenn die nimmer satten Patrone Alster   und Wichtel selbst eine solche Fabrik er richten."

" Hm," machte Herr Schweder, das ist freilich schlimm genug. Indessen, warst du denn garnicht auf diesen Schlag vorbereitet?"

" Nicht im mindesten. Neulich hörte ich von einer Andeutung, welche Alsterder von den Betheiligten wohl noch am wenigsten