II.

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Heber Fremdwörter im Deutschen  .

Von W. Wittich.

Jedes menschliche Einzelwesen trägt die Spuren der Schicksale seiner Ahnen, die Begegnisse mit eingeschlossen, welche eben diese ihm zufällig zu Ahnen machte, vereinigt an sich. Nichts gleicht an Umfang, Dauer und tiefer Wirksamkeit den Umgestaltungen, welche lebendige Mechanismen durch Zusammentreffen mit un­zähligen und verschiedenen Wesen von oft unglaublich schwacher eigener Wirkungskraft auf der niedrigsten wie auf der höchsten Stufe ihrer Entwicklung erleiden. Wie sollte es bei der Sprache, bei unserer deutschen Muttersprache, die eben auch so ein leben diger Mechanismus ist und als Organismus den Gesezen der Vererbung und Akkomodation unterliegt, dazu ihre bunte Geschichte hat, anders sein? Habent sua fata libelli, die Bücher haben ihre Schicksale, singt der römische Dichter: die Sprache und die einzelnen Worte haben sie auch! Es gibt Fälle, in denen Wörter und Begriffe, die bei uns oder in nächster Nähe von uns er­wachsen waren, aus denen eine ganze Menschheitsgeschichte zu uns spricht, von Volk zu Volk verschlagen wurden und nach langen Frrfahrten wieder zu uns zurückkehrten. So haben wir den Franzosen das Wort Boulevard wieder entnommen, die es erst von uns empfingen, wir haben es nun neben dem alt einheimischen Bollwerk und erkennen es nur nicht gleich als unser Eigenthum wieder, da es sich jenseits des Rheins ein fremdartiges Gewand zugelegt hat.

Von den organischen Umwandlungen, welchen eine Sprache, von innen heraus sich entwickelnd, unterliegt, wollen wir natürlich hier garnicht sprechen, sondern nur einen kurzen Blick werfen auf die gewöhnlichen Geschicke ganzer Sprachkörper.

Bei dem fortwährenden feindlichen Zusammenstoßen oder freundlichen Verkehr der Völker war ein ewiges und unveränder­liches Beharren der Sprache auf und bei dem spezifisch Natio­nalen, ein hermetisches Abschließen schlechthin unmöglich. Wenn man der geistigen Kultur der Völker bildlich eine luft- und gas­ähnliche Natur zugeschrieben hat, sodaß man von der geistigen Atmosphäre eines Volkes in einem gewissen Zeitalter spricht, so dürfen die Sprachen und ihre Elemente als in einem ähnlichen atmosphärilischen Aggregatzustand befindlich bezeichnet werden. Sie achten, wie die zollfreien Gedanken, keinen Schlagbaum und feine Mauth  !

Ein wichtiges Moment im Leben der Sprachen sind die Wanderungen der Völker. Am klarsten und deutlichsten ist uns durch langes und treues Studium, daß und wie in uralten Zeiten ein Dritttheil der ganzen Menschheit, und darunter fast alle Völker Europas  , am Himalajagebirge als einziger Volks­stamm wohnte, welcher mit einer noch heute nicht ganz erloschenen Triebesrichtung sonnengleich von Osten nach Westen binnen vielen Jahrtausenden um die Erde zog, und diese Völkerwanderung der Indogermanen oder Arier ist uns klar geworden durch die Vergleichung verwandter Sprachen, welche, ursprünglich eine, die jener Arier, als Schößlinge, Senker und Ableger sich vom Mutterkörper loswanden und ein eignes, selbständiges Leben be­gannen. Nun stoßen aber auch verschiedene Sprachförper auf­einander. Ein auswandernder Stamm kommt in andere Länder striche und besetzt sie, ohne allemal ihre ursprünglichen Bewohner mit Stumpf und Stiel auszurotten, vielmehr macht er sich diese lieber nußbar, indem er sie für sich arbeiten und den Boden be­bauen läßt, um mühelos Lebensunterhalt zu gewinnen. Mag nun auch jeder der beiden Bestandtheile des neuen Volksganzen noch so eifersüchtig darauf halten, daß seine Muttersprache rein und unversehrt bleibe: das Bedürfniß wird vielleicht noch inner­halb derselben Generation, jedenfalls in einer folgenden einen Mischdialekt schaffen, brauchbar für die, die je mit einander leben und verkehren müssen. Die späteren Nachkommen haben nur noch ein dunkles Bewußtsein von den zwei verschiedenen Bestandtheilen der von ihnen als eine gefühlten und gesprochenen neuen Sprache. Gewöhnlich wird bei solchem Zusammenfließen von Sprachen die Zunge des Volkes die Oberhand behalten, welches die höhere Kultur mitbringt. Diese wird über die andere siegen, doch viel­leicht nicht ohne vereinzelte Spuren der dem Untergang geweihten Nebenbuhlerin anzunehmen und beizubehalten, sei es auch nur in umgemodelter, organgerecht gemachter Form. Die sprachlich siegende Nation braucht hier nicht durchaus diejenige zu sein, die

aus dem physischen Kampfe als die mächtigere hervorging, da ja auch hohe Kultur nicht vor Unterjochung unter größere physische Gewalt schützt.

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Aber auch bei friedlichem engen Zusammenleben von Völkern macht sich das Uebergewicht des höherkultivirten durch Abgabe von Wörtern an das jenseitige Volk geltend. Das Vordrängen einheimischer Wörter und Wortwurzeln erstreckt sich sogar auf Begriffe, die man eigentlich für unverwüstlich zu halten geneigt sein möchte, z. B. auf die Zahlwörter. Begriffe, wie sechs, sieben, acht, für entlehnt zu halten, dazu wird man sich wohl nicht so leicht verstehen wollen. Wenn wir aber in's Auge fassen, wie auch wir die einfachen Zahlbegriffe von tausend aufwärts nur durch Fremdwörter, wie million, billion 2c., wiederzugeben ver­mögen, wie wir Myriaden und Milliarden sagen, um bequemer oder schönklingender, das wissen wir nicht, zehntausend und tausend millionen auszudrücken, ja, wie wir selbst Dußend ent­lehnt haben; wie diese Entlehnung auf den Südseeinseln schon bei hundert und tausend beginnt, ja, wenn wir bemerken, wie aus der Tupisprache in Brasilien   nach dem 16. Jahrhundert alle einheimischen Zahlen über drei verschwunden und durch portugiesische ersetzt worden sind: so wird uns auch das nicht mehr unmöglich und unbegreiflich erscheinen dürfen. Und auf diese Weise ist auch das gänzliche Verschwinden einer Sprache denkbar, und gewiß öfter vorgekommen, ohne daß der Stamin, der sie sprach, ausstarb oder gänzlich mit der Schärfe des Schwertes von den Eroberern seiner Wohnsize vernichtet wurde. So sehen wir noch heute Sprachen allmählich zugrunde gehen und ab­sterben, z. B. das Altpreußische; so verschiedene Dialekte auch unsrer deutschen Sprache, welche dem Neuhochdeutschen der Schrift und Literatur, welches ja der Hauptsache nach selbst eine Art bevorzugter Dialekt genannt werden darf, unterliegen dem so­genannten mitteldeutschen, welches entdeckt zu haben das Verdienst Franz Pfeiffers ist, wenn derselbe auch nicht die scharfen Fol­gerungen aus seiner Entdeckung gezogen hat. Ohne unsrer natio­nalen Würde und Selbstachtung etwas zu vergeben, können wir ganz getrost nun kurz aufzählen, welche Menge von fremden Kultureinflüssen auf unser geistiges Leben eingewirkt haben, wen alles wir zu Danke verpflichtet sind. Jemands Schüler zu sein ist doch nie Schande, Schande wäre es nur, nichts gelernt zu haben, und das kann man füglich vom deutschen Volke nicht sagen, wenn ihm auch, namentlich im Praktisch Politischen, noch viel zu lernen übrig bleibt. Die Urväter haben ihren Kulturbesitz aus der großen indogermanischen Erbschaft, Sprache und religiöse Vor­stellung begleitete unsere Vorfahren vom Himalaja   bis in unsre heutigen Wohnsize, und neuerdings vollenden sie mit den Aus­wanderern, die nach der neuen Welt" ziehen, ihre Reise um die Welt. Was für Begegnungen in der ältesten Zeit auf dieser langen, weiten Wanderung stattgefunden haben: die Geschichte schweigt darüber. Wo zuerst unsere Ahnen historisch auftreten, sinden wir sie in freundlichem und feindlichen Verkehr mit Kelten, Römern, einstigen Brüdern, die vor ihnen die Urheimath ver­lassen hatten, mit Slaven  , ebenfalls von Urvätern her Ver­wandten, die ihnen später folgten. Auch mit allerhand nicht der indogermanischen Familie angehörigen Stämmen stießen sie zu­sammen, erhielten allerlei neue Eindrücke, vielleicht auch Wörter aus jenen, heute längst verklungenen und verschollenen Sprachen. Eine neuere große Völkerbewegung, die schlechthin sogenannte Völkerwanderung, erregt neue drängende und treibende, fluthende Ergüsse vieler, auch germanischer Stämme über das Erdreich. Das Christenthum wird gepredigt: hebräisch- orientalische, römische und byzantinisch- griechische, durch die irischen und englischen Missionare auch keltische und nordgermanische Elemente an Be­griffen und Worten werden neu eingeschleppt oder aus ihrem Schlummer in der germanischen Seele wiedererweckt. So finden wir schon in der gothischen Bibelübersetzung des Ulfilas   die Neigung, Fremdwörter aufzunehmen, wie Wackernagel in seiner Literaturgeschichte bemerkt.

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Weiter! Im Westen drängt übergewaltig der Islam sich heran, und mühsam gelingt es Kaiser Karl, die spanische Mark zu halten. Im Norden züngelt gierig der entfremdete nor­männische und der dänische Bruderstamm in unsere Gauen herein und lechzt nach deutschem Gut und Blut. Im Osten drängen