Hunnen oder Ungarn heran und lassen ihrerseits, wie alle ge­nannten, Spuren ihrer Anwesenheit auch in der Sprache zurück. Die lateinischen Einflüsse durch die christliche Kirche nehmen immer mehr zu an Umfang, die Klosterschulen wirken mit: es entsteht neben der früheren einheitlichen Volkskultur eine höhere Sonder bildung auf christlisch- lateinischer Basis. Das zerrissene Römer reich entwickelt eine doppelte Kirche, eine römisch- katholische und eine griechisch- katholische. Von Rom und von Byzanz spinnen sich Fäden religiöser und politischer Beziehungen an, die eminent Geist und Sprache der deutschen Nation modifiziren. Der Hof der Ottonen mag dafür als Beleg gelten. Die Kreuzzüge führen tausende von Deutschen in das heilige Land. Dorther holen sie unter vielem andern den orientalischen Frauenkultus, den sie auf die Mutter Gottes" und auf das deutsche Weib übertragen. Das bis zu einem gewissen Grade internationale Ritterthum wirkt mit. Von Frankreich erhalten wir die Minnepoesie, die geimpfet wird ein fremdes Reis auf deutschem Stamme".

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Im 12. und 13. Jahrhundert macht sich ein bedeutendes Einströmen von französischen Fremdwörtern geltend; französische Sprache, Sitte, Mode, Erziehung, Kriegführung, besonders be­fördert durch die französischen Herrscher auf den erkämpften Thronen zu Paris , London , Neapel , ja in Konstantinopel , Athen und Jerusalem , galten allüberall. In Jagd und Krieg, in Spiel und Tanz, in Musik und Dichtung schritten die Franzosen wirk­lich auch an der Spiße der Civilisation. Alle deutschen Dich tungen dieses Zeitabschnittes wimmeln von Fremdwörtern, welche Begriffe des höfischen Lebens bezeichnen, der Parcival so gut wie der Tristan, das Nibelungenlied wie Walthers Lieder. Schöpften die deutschen Dichter doch selbst die meisten ihrer Stoffe aus romanischen Quellen!

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Das römische Recht wird von den deutschen Kaisern an genommen und in seiner Sprache gelehrt und gehandhabt; Deutsche holen ihre Bildung in Bologna und Paris . Das Ritterthum hat sich ausgelebt und verfällt. Die Städte nnd der Handel erwachen und entfalten ein neues, bewegtes Leben. Die Reformation fommt in Begleitung der in Italien schon erwachten Renaissance, die altklassischen Kulturen werden uns wieder lebendig, zunächst an der Hand der lateinischen Sprache, dann folgt das Griechische. Der Gelehrtenstand bildet sich leider in Absonderung vom Volt und vernachlässigt in stummer Bewunderung der klassi­schen alten Herrlichkeit selbst die eigne Sprache. Trennung zwischen Gebildeten und Volk; Verachtung gegen das Einheimische bei den ersteren. Politische Wirrsale und Landsknechtswesen und blutige Kriege auf deutschem Boden, in denen fast alle europäischen Nationen reislaufende Theilnehmer stellen, arbeiten weiter an der Sprachmengung. Romanische, besonders italienische und fran­ zösische Weltgewandtheit und Eleganz in den Lebensformen be­stechen und bestricken durch ihre Gefälligkeit und ihren Glanz und reizen zur Nachahmung, zur Entlehnung. Und so geht es fort bis auf die neueste Zeit, bis auf den heutigen Tag! Die Habe der Völker, auch die geistige und sprachliche, bewegt sich immer leichter herüber und hinüber, fast scheint es, wie ja wirk­lich viele meinen, als dränge die Internationalität der Ideen und geistigen oder materiellen Interessen dahin, ihnen auch ein internationales Gewand und Werkzeug, eine Weltsprache zu schaffen. Doch noch ist hierfür die Stunde nicht gekommen. Ganz selbwachsen, ganz original und rein national aber ist freilich unsre Sprache nicht geblieben und konnte es nicht bleiben. ( Fortsetzung folgt.)

I.

Das neue Recht im neuen Reich.

Von V. D.

Der erste Oktober 1879 wird für alle Zeiten ein denkwürdiger Tag bleiben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gruppiren sich, in ihren lebendigsten Interessen angegriffen, um diesen Tag. Der einseitige Liebhaber deutscher Vergangenheit und deutscher Rechtsgeschichte wird gar oft bedauernd und klagend der Stunde gedenken, mit deren Ausschlag zahlreiche und mannichfaltige, ur­alte und ihre Wurzeln in späte Jahrhunderte zurücktreibende Rechtsinstitute zusammenstürzten und ihr Grab fanden. Wenn man in den Fehler verfallen will, die Bedeutung des ersten Oftober 1879 von dem beschränkten Standpunkt der herrschenden Tagesparteien aus zu ermessen, so ist es unzweifelhaft, daß der tonservative Partikularismus es ist, welcher die Zeche dieses Tages bezahlt hat. Gar manche Schmerzensschreie sind aus dieser Rich tung in den letzten Tagen gehört worden, und wie empfindlich und tief die Art des guten Gärtners in das Mark des zurzeit noch zähesten, lebenskräftigsten, ich meine, des preußischen Parti­fularismus getroffen hat, hat die zornerfüllte, schmerzbewegte Rede des Vizepräsidenten des preußischen Obertribunals, Dr. Grimm, gehalten bei der Verabschiedung dieses höchsten Gerichtshofes Preußens, bewiesen. Unnüz ist es, der Opposition derjenigen gegen die neuen Prozeßgeseze zu gedenken, welche zufolge ihres Berufes mit den alten Institutionen verwachsen, eine leidenschaft liche Voreingenommenheit für alles dasjenige hegen, was ihnen durch lange Uebung bekannt und geläufig war, und sich der menschlichen Natur gemäß jezt sträuben, sich dem Neuen und Ungewohnten anzupassen. Sind solcher dem Juristenstande an­Sind solcher dem Juristenstande an­gehöriger Gegner der neuen Gesetzgebung auch viele, so soll sich die Gegenwart doch nicht durch die Schwarzseherei derselben schrecken lassen und wissen, daß jede Neuerung von jeher die heftigsten Angriffe von Seiten derjenigen zu erdulden hatte, welche sie in ihren Berufs- und Lebensinteressen störend traf. Freilich, wer auf das Gewissen gefragt wird, wo denn die Garantie für die segensreiche Wirkung der neuen Gesetze liege, der kann ehrlicher­weise vorab nur sagen: Abwarten! und mit dem Spruche Goethe's

praktischen Anwendung des Lebens bestehen kann, so gilt dieser Grundsatz doppelt und dreifach für Geseze, welche, indem sie das Rechtsverfahren regeln, in die engste Beziehung und regste Wechselwirkung mit dem Volks- und Verkehrsleben treten.

Wenn nun auch die Zukunft das entscheidende Wort in dem Für und Wider die deutschen Prozeßgeseze als einzige kompetente Richterin sprechen muß und wird, so stellt sich diese Gesetzgebung keineswegs so ganz als ein Sprung in's Ungewisse" dar. Jeden falls war es ein unabweisbares Bedürfniß des deutschen Volks­und Verkehrslebens, daß eine Reform des in den deutschen Landen geltenden Prozeßrechts eintrat. Die mit dem ersten Oftober 1879 gewonnene Einheitlichkeit des Rechtsverfahrens ist keineswegs, wie die Nationalliberalen, um die Krone des Verdienstes sich aufzusetzen, glauben machen wollen, eine nothwendige Folge der politischen Einigung Deutschlands . Beide Ereignisse stehen mehr in einem äußeren, zeitlichen Zusammenhange. Die neue Prozeß­gesetzgebung ist vielmehr eine Nothwendigkeit und unmittelbare Folge des modernen Volks- und Verkehrslebens. Sie wurzelt nicht in zufälligen äußeren politischen Gestaltungen, sondern in den primären Bedürfnissen des modernen Wirthschaftslebens, welches auf allen Gebieten nach Konzentration der Kräfte und zum einheitlichen Zusammenfassen aller Lebensrichtungen hin­drängt. So wäre diese Reform in der Sache, wenn auch nicht in der Form gekommen ohne die politische Einigung Deutsch­ lands . Das beweisen unwiderleglich die Gesezgebungsarbeiten der einzelnen Staaten, welche in den letzten Jahrzehnten vor der Gründung des deutschen Reichs grade auf dem Gebiete des Prozeßrechts theilweise in Angriff genommen, theilweise vollendet worden sind. Die Geschichte der Gesetzgebung der einzelnen Staaten in den sechziger und noch früheren Jahren weist genau dieselbe Gesetzgebungsthätigkeit auf, welche in den deutschen Prozeßgesehen zur Erscheinung gekommen ist. Ja, die letzteren fußen zu einem nicht geringen Theil auf diesen aus den zwingen­den Bedürfnissen der Einzelstaaten hervorgegangenen Partikular­gesetzen und Gesezzentwürfen. Für manche Staaten, z. B. für Sachsen , ist die Schöpfung des deutschen Reichs gradezu das Hinderniß der Reform seiner Landesgesetzgebung gewesen. Schon 1866 war ein Entwurf der sächsischen Civilprozeßordnung fix und fertig ausgearbeitet und sollte vor den Landtag gebracht Wenn jedes Gesetz die Probe seiner Güte nur allein in der werden, als die Neugestaltung der politischen Verhältnisse die

antworten:

" 1

Wem zu glauben ist, redlicher Freund? Das kann ich dir sagen: Glaube dem Leben; es lehrt besser als Redner und Buch."