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Muster zu schaffen sich vornahm, von der aber eben nur dies eine wirklich fertig wurde. Dieses Lustspiel sollte einen Einblick in die Schäden der damaligen bürgerlichen Gesellschaft gewähren, in deren tiefere Schichten er inzwischen durch seinen Umgang mit dem wunderlichen, aber auf den jungen Dichter höchst einfluß­reichen Hofmeister Lahrisch gerathen war.

Von den weiteren Kreisen, mit denen Goethe in Leipzig   Um gang pflog, seien hier vor allem noch die Familien Breitkopf und Defer genannt. Im Hause der ersteren fand namentlich seine Liebe zur Musik reiche Befriedigung, während er bei dem an zweiter Stelle genannten Manne, dem Direktor der Zeichen akademie, Gelegenheit hatte, sich in der schon vordem von ihm geübten Zeichenkunst mehr zu vervollkommnen und sich überhaupt eine größere Kenntniß der bildenden Künste und einen sicherern Geschmack zu erwerben. Er nahm sogar bei dem Kupferstecher Stock Unterweisung in der Kunst des Aezzens und des Holz­schnitts. In seiner ästhetischen Bildung wurde er ferner auf das bedeutendste gefördert durch Lessings im Jahre 1766 erschienenen ,, Laokoon  " und das im folgenden Jahre veröffentlichte Lustspiel Minna von Barnhelm". Deser hatte ihn bereits mit den Schriften Winkelmanns bekannt gemacht und sein hohes Inter­esse an diesem genialen, bald darauf zu Triest   ermordeten Wanne zu wecken gewußt. Ueber Lessings ,, Laokoon  " gerieth er nun vollends in Enthusiasmus. Man muß" schrieb der Dichter später Jüngling sein, um sich zu vergegenwärtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte, indem dieses Werk uns aus der Region eines kümmerlichen Anschauens in die freien Gefilde des Gedankens hinriß. Das solange mißverstandene: , ut pictura poesis'( daß die Malerei zur Dichtkunst werde) war auf einmal beseitigt, der Unterschied der bildenden und Redekünste klar, die Gipfel beider erschienen nun getrennt, wie nah ihr Unterbau auch zusammenstoßen mochte." Durch den Laokoon" wurde er auch bewogen, eine Reise nach Dresden   zu unter­nehmen ,,, um der ihm gewordenen blißartigen Erleuchtung durch eine umfassende, großartige Anschauung zu Hülfe zu kommen," wie ihm eine solche in der Gemäldegalerie sowohl wie in der Sammlung des Direktors von Hagedorn geboten war.

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Die eine Zeitlang geführte lockere Lebensweise, das schwere merseburger Bier" und eine schlechte Diät hatten allmählich die Kräfte des jungen Stürmers und Drängers, denn als solcher stellt sich uns Goethe in der ersten Periode seines Lebens durch

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aus dar, merklich aufgerieben, und ein Blutsturz, der ihn in einer Sommernacht von 1768 befiel, drohte dieselben in der aller­gefährlichsten Weise zu schwächen. Zwar entging er der Gefahr, aber eine am Halse entstehende Geschwulst verursachte ihm fernere Leiden, während deren ihn die allenthalben bewiesene Liebe und Zuneigung vorzüglicher Menschen und die Beschäftigung mit den griechischen Klassikern aufrichteten und eine Ruhe und Sammlung seines Geistes herbeiführten, wie er sie vorher seit langem nicht gekannt. Nichtsdestoweniger befand er sich bald darauf wieder in einem Zustande religiöser Zweifel, welcher sich ihm durch neuerliche Beschäftigung mit der Bibel mitgetheilt hatte, Glaubens leer, aber vor dem Skeptizismus bange". In dieser Gemüthsverfassung und noch immer körperlich leidend, kehrte er im September 1768, nach dreijährigem Aufenthalte in Leipzig  , nach Frankfurt   zurück.

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Hier fand er von Seiten der Mutter und Schwester die liebe­vollste Pflege, während der Vater, wenigstens so gut er konnte, den Verdruß verhehlte, anstatt eines rüstigen, thätigen Sohnes, der nun promoviren und die vorgeschriebene Lebensbahn durch laufen sollte, einen Kränkling zu finden, der noch mehr an der Seele als am Körper zu leiden schien". In seiner damaligen Stimmung war er den Einflüssen des um 26 Jahre älteren Fräuleins von Klettenberg  , einer Freundin seiner Mutter, mit der er schon früher in Berührung gekommen war, und die ihn in die Irrgänge eines schwärmerischen Mystizismus hineinzuziehen suchte, zugänglich. Er ließ aus ihren Unterhaltungen und Briefen später die das sechste Buch von ,, Wilhelm Meisters Lehrjahren" bildenden Bekenntnisse einer schönen Seele" entstehen, und hatte von dem Verkehr mit ihr wenigstens den Vortheil, jene kabba­listischen und alchemistischen Geheimnisse und Künste kennen zu lernen, deren auf ihn geübte Anziehungskraft in ihm den Ge­danken der schon früh geplanten Schöpfung seines Faust" in bedeutendem Grade stärkte. bedeutendem Grade stärkte. Ueberhaupt wurde ihm dadurch die Anregung zu naturwissenschaftlichen Beschäftigungen gegeben und ihm eine genauere Bekanntschaft mit der Kirchen- und Ketzer­geschichte vermittelt.

Seine Gesundheit befestigte sich allmählich wieder, und nach­dem die eine Zeitlang gehegten Pläne, wieder nach Leipzig   oder nach Paris   zu gehen, fallen gelassen worden waren, bezog er auf den Rath des Vaters im Frühjahr von 1770 die Universität Straßburg. ( Fortseßung folgt.)

Henry Charles Carey  *).

Sonntag den 12. Oktober dieses Jahres starb zu Philadelphia   in den Vereinigten Staaten  , im Alter von fast 86 Jahren, Henry Charles Carey  , einer der bekanntesten und einflußreichsten Nationalökonomen der Neuzeit. Er gehörte nicht zur Gelehrtenzunft.

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In England und in den Vereinigten Staaten   von Nordamerika   ist die Wissenschaft mehr mit dem praktischen Leben verquickt als in Deutsch­ land  , wo sie sich nur zu sehr von dem Leben abschließt und darum leicht zur Zunft- und Zopfgelehrsamkeit wird. In Deutschland   kann man sich einen Mann der Wissenschaft nicht gut ohne Gelehrtentitel denken: er muß zum mindesten ,, Doktor" sein, womöglich aber auch Professor". Anders in den beiden genannten Ländern von Frank­ reich   gilt es weniger wo die bedeutendsten, bahnbrechendsten Ge­lehrten häufig gewöhnliche, bürgerliche Stellungen bekleiden und im Staats- oder Geschäftsleben praktisch thätig sind. Nehmen wir grade die Wissenschaft, als deren Vertreter sich Carey einen Namen, wir fönnten vielleicht sagen Ruhm erworben hat: die Nationalökonomie. Der größte englische   Dekonom, Ricardo, war Bankier, und der größte amerikanische   Dekonom, Ricardo's Widerpart: Carey, war Buch­händler.

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Der Lebenslauf Carey's ist rasch erzählt. Am 13. Dezember 1793 wurde er zu Philadelphia   geboren als der Sohn eines irischen Flücht lings, Matthew Carey, der furz vorher aus Dublin   eingewandert war und in der Hauptstadt von Pennsylvanien   eine Buchhandlung gegründet hatte. Der alte Carey war in guten Verhältnissen und ließ seinem Sohn eine sorgfältige Erziehung angedeihen. Schon im Jahre 1814, also erst 21 Jahr alt, trat dieser als Theilhaber in das Geschäft des Vaters ein, und entfaltete in demselben eine außerordentliche praktische Tüchtigkeit. Im J. 1821, nach dem Tode des alten Matthew, übernahm er die alleinige Leitung des Geschäfts, welches durch ihn zu solcher Blüthe gebracht ward, daß er sich nach vierzehn Jahren, 1835, mit einem beträchtlichen Vermögen, welches er in industriellen Unternehmungen anlegte, aus dem eigentlichen Geschäftsleben zurückziehen konnte. Er hatte nun die solange ersehnte und erstrebte. Muße. Schon früher hatte

*) Sprich Hennri( Heinrich) tschahris( Karl) kähri.

er sich viel mit wirthschaftlichen Fragen beschäftigt und verschiedene Auffäße für Zeitungen geschrieben: jest widmete er sich ganz der wissenschaftlichen und schriftstellerischen Thätigkeit. Sein Leben verlief sehr ruhig. Der Politik blieb er fern, nur an den Kämpfen auf wirth­schaftlichem Gebiet betheiligte er sich. Seine Geburtsstadt hat er wenn wir einige Reisen abrechnen niemals verlassen; in ihr ist er auch gestorben.

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Die erste größere Schrift Carey's, sein ,, Essay on the Rate of Wages"( Abhandlung über die Lohnhöhe) erschien im Jahre 1837; sie polemisirt gegen die Vorlesungen des englischen   Vulgär- Dekonomen Senior, eines seichten Predigers und Mißverstehers der Adam Smith­schen Lehre, und greift den Satz an, daß hohe Unternehmergewinne niedere Arbeitslöhne bedingten.

Schon in dieser Schrift wandte sich Carey scharf gegen Ricardo. Das nächste Werk, welches er veröffentlichte, seine Principles of Political Economy  "( Grundsäße der Nationalökonomie) enthält be­reits mehr oder weniger vollkommen ausgebildet das, was man unter dem ,, Carey'schen System" zu verstehen pflegt. Im Gegensatz zu der englischen Schule, will er den ,, Werth" nicht aus der Arbeit her­leiten, sondern definirt ihn als das Maaß der Macht der Natur über den Menschen", während er die Rüglichkeit" als das Maß der Macht des Menschen über die Natur" definirt, was unzweifelhaft etwas seltsam, vielleicht sogar tiefsinnig klingt, aber sicherlich keine Wider­legung der großen englischen Dekonomen ist. Auch die famose Lehre von der Harmonie der Interessen" und von einer ,, gerechten Vertheilung der Güter" durch Schuß der nationalen Arbeit" findet sich in dieser Schrift schon in ihren Umrissen.

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In seinem 1848 erschienenen: The Past, the Present and the Future"( Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) unterwirft Carey die Ricardo'sche Grundrententheorie einer eingehenden Stritit, und glaubt deren Unrichtigkeit dadurch zu beweisen, daß er sie in Widerspruch mit den amerikanischen   Erfahrungen bringt. Nach Ricardo's Theorie besteht die Grundrente bekanntlich in der Differenz des Ertrags einer bestimmten Bodenqualität mit dem Ertrag der niedersten Bodenqualität, die überhaupt eine wirthschaftliche Bebauung zuläßt. Die niederste Bodenqualität liefert also teine Grundrente, und die höheren Bodenqualitäten umsomehr, je größer die Differenz.