regelmäßig zweimal in vierundzwanzig Stunden an jedem Küstenort * erscheint.

Unser Bild führt uns an die deutsche Nordseeküste, die sich von Holstein bis uach Holland erstreckt. Hier, von der Elbe bis zur Ems, giebt es kein Felsengestade, welches der Brandung der Meereswogen eine unverrückbare Grenze gezogen; soweit das Auge schweift, ist alles in jahrhundertelanger Arbeit dem gewaltigen Meer abgerungen und die Welle, die einstmals das fruchtbare Land überfluthete, ist längst durch den Deich gebannt. Wenn die tiefe Ebbe weit hinaus den Mee­resboden bloßlegt und endlose Schlamm- und Sandfelder zeigt, sucht sie der Mensch dem Meere abzugewinnen, indem er unermüdlich seine Schlengen und Stackwerke hinausbaut. Haben diese ihre Pflicht gethan, wenn die Hochfluthen gegen das Werk von Menschenhand donnern, d. h. haben sie den Schlamm gefangen und den unrastigen Boden gefestigt, so wird die Fläche eingedeicht, auf welcher bald üppiges Grün empor schießt, und ein fruchtbares Stück Land ist gewonnen. So entsteht das ,, Vorland" oder das ,, Groden". Der Jahdebusen, ein Meereseinschnitt westlich von der Wesermündung, der früher ein blühendes Land mit reichen Dörfern war und in einer einzigen schrecklichen Sturmnacht der Springfluth zum Opfer fiel, wird auf diese Weise Fuß um Fuß dem gierigen Element wieder abgerungen, das sich jedoch nicht willig aus seinem gewohnten Bett drängen läßt. Während des Voll- und Neu­mondes, wenn die Anziehung des Mondes gemeinsam mit der der Sonne wirkt, erreicht die Fluth ihren Kulminationspunkt und wird so wegen ihrer reißenden Anschwellung die Springfluth genannt. Haben nun, wie es im Frühjahr und Herbst zumeist der Fall ist, die stür­mischen Westwinde große Wassermassen durch den Canal La Manche in die Nordsee getrieben, so findet die Springfluth bereits einen hohen Wasserstand vor und schickt sich dann nur zu leicht an, die menschlichen Eingriffe in ihr Reich zu rächen. Es ist ein erhabenes, geheimniß volles, grauenerregendes Schauspiel, zu sehen, wie die Wellen heran­stürmen, begierig, jedes Hinderniß zu zerschmettern. Ungeahnt rasch schwillt das Wasser zu drohender Höhe, und wehe dem Vieh, das auf den fetten Weiden des Vorlandes grasend, nicht zeitig genug auf ein höheres Terrain oder in den Schuß des festen Deiches geflüchtet ist. Im Nu ist das schwache Hinderniß des Außendeiches übersprungen und mit furchtbarer Gewalt bricht das entfesselte Element herein über das grüne Weideland. Wo eben noch die grünen Halme im Winde schaukelten, da tummelt sich jetzt die graue schäumende Woge, springt gierig hinauf an die feste Böschung des Deiches und treibt ihr Spiel mit den Kadavern der ertrunkenen Rinder oder mit den Körpern der unglück­lichen Menschen, die weit vom Deich bei rüstiger Arbeit das gewaltige Schwellen der Springfluth nicht frühzeitig genug bemerkten und auf ihrer wilden Flucht dem unerbittlichen Element zum Opfer fielen. Die Blaten oder Sande in Elbe , Weser und Jahde, die Vorposten des Marschlandes, sind besonders der Springfluth ausgesetzt, und die Lokalblätter berichten häufig genug von den Verheerungen derselben. Der Marschbewohner aber läßt sich dadurch nicht zurückschrecken; mit zäher Ausdauer beginnt er immer aufs neue den uralten Kampf mit der Wuth der Elemente und bewahrt sich dadurch jene Kraft und jenen kaltblütigen hartnäckigen Muth, der den Friesen seit unvordenklichen Zeiten bis auf die Gegenwart auszeichnete.

Dr. M..

Hans Sachs ( Schluß, cf. Nr. 2). Im Jahre 1510, siebzehn Jahre alt, ging der Schustergesell Hans Sachs in die Welt hinaus, und kreuz und quer zog er in deutschen Landen umher, hinauf bis Lübeck und hinab bis in's Tirolische und nach Wien . Eine Zeitlang hielt ihn die Abenteuerlust als Waidmann in kaiserlichem Dienst, bald aber fehrte er zum friedlichen Handwerk zurück, und im Alter von neunzehn Jahren schlug ihn der Drang zu dichten so sehr in Fesseln, daß er sich vornahm, ihm zuliebe auf alle anderen Bergnügungen zu verzichten. 1513 dichtete er in der Weise der Meistersänger sein erstes Bar, d. i. Lied, das bei den Fach- und Kunstgenossen günstige Auf nahme fand. 1516 fehrte er nach Nürnberg zurück, um sich zunächst in der Vorstadt Wöhrd als Meister niederzulassen. Drei Jahre darauf führte er Kunigunde Kreuzerin aus Wendelstein als sein eheliches Weib heim; später siedelte er nach der innern Stadt über, und nicht lange währte es, so hatte er es als Schuhmacher und Poet zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Und er verdiente beides redlich, denn wie er als ehrsamer Handwerksmeister sein Geschäft verstand und eine auch über die Mauern seiner Vaterstadt hinaus ausgebreitete Kundschaft zu befriedigen wußte, so war er bald unter der an 250 Poeten starken Meistersängerschaft des ehrwürdigen Nürnbergs der bedeutendste und angesehenste. Der geistige Fonds, welchen er auf seinen Wanderungen gesammelt und in seiner Werkstatt unermüdlich vermehrt hatte, war ein

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erstaunlich großer. Höchst wahrscheinlich hat er alles studirt, was da­mals in deutscher Sprache gedruckt war, und außer diesem noch vieles, was nur handschriftlich vorlag. Er kannte die römischen und griechi­schen Schriftsteller aus Uebersezungen und Auszügen, war zuhause in der klassischen Mythologie, in der deutschen Sagenwelt und in der alten und neueren Geschichte, und vor allem war er bibelfest, wie irgend ein anderer. Auch die bedeutendsten neueren Schriftsteller des Aus­landes, Bocaccio, Petrarca und andere, kannte er und ihre Werke wußte er als Grundlage und fruchtbaren Boden für sein eigenes poetisches Produziren trefflich zu benüßen. Sein Wissen bot ihm seine Stoffe; seine Phantasie erfand sie nicht, sein Verstand fand sie, aber immer wußte er ihnen den Stempel seines Geistes aufzuprägen, sie originell zu gestalten. zu gestalten. Dabei war er feineswegs wählerisch alles, was er wußte und erlebte, wurde ihm zum Gedicht. Freilich konnte es bei der daraus hervorgehenden Massenhaftigkeit und Vielseitigkeit seiner Pro­duktion nicht immer ächte Poesie sein, die er schuf, oft war es eitel Reimerei, in der er sich erging und seinen Zeitgenossen genugthat; aber dennoch war er nicht nur der fruchtbarste, sondern auch in mehr als einer Beziehung der hervorragendste deutsche Dichter der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der handwerksmäßige Regelzwang der Meister­fängerei vermochte seine Begabung weder zu ersticken noch zu fesseln. Er blieb zwar zeitlebens der Singschule ergeben und erfand selbst mehr als ein Dußend neuer Töne, d. h. Melodien, für seine nach dem Geseße der Schule, der Tabulatur, gedichteten Gesänge, deren 4275 in 275 verschiedenen Meistertönen gezählt wurden, aber diese Gesänge widmete er nicht einem größeren Publikum, sondern nur der Schule, deren Aufgabe, die Veredlung des Handwerkerlebens, in der That belangreich und wichtig genug war. In 34 Foliobände hat er selbst seine gesammten Dichtungen zusammengetragen. Dieselben gipfeln in nicht weniger als 208 Dramen und ungefähr 1700 Schwänken und Erzählungen. Unter den Dramen ragen seine Komödien, insbesondere die Fastnachtsspiele, durch die Vielseitigkeit und Geschicklichkeit der Er findung, durch die Lebendigkeit der dramatischen Gestaltung und die ihrem Gegenstande durchaus angemessene Sprache hervor. Es zeigen jedoch auch seine größeren Schauspiele, daß er auf dramatischem Gebiete an der Spize seiner Zeitgenossen einherschritt; denn er ließ sich nicht genügen, wie diese es zumeist thaten, an den Stoffen, welche die biblische Geschichte oder das gewöhnliche Alltagsleben bot, sondern er holte sich auch seine dramatischen Stoffe aus den verschiedensten Gebieten der Geschichte und Sage, aus den Novellen und Dramen der neueren Ausländer, wie aus denen der Alten. Am höchsten steht Hans Sachs als Schwankdichter, deren Stoffe, so lebendig gefühlt und packend dar­gestellt, aus dem ihn umgebenden Leben genommen oder mit dessen Formen und Farben bekleidet sind, daß sie heute noch zu dem besten gezählt werden müssen, was in der deutschen Literatur überhaupt der­art geschaffen worden ist. Bei dem aufrichtig religiösen Charakter, wie er dem größeren Theile des deutschen Volkes damals eigen war, ist es natür­lich, daß Hans Sachs auch Kirchenlieder geschaffen hat, die sich den besten Leistungen dieser Gattung würdig anreihen. Auch hier tritt der enge Zusammenhang seines Dichtens mit seinem Leben zutage; wenn sein Herz besonders bewegt war, wenn ihn Kummer und Sorge übermannen wollte, wie zu jener Zeit, wo die grause Pestilenz über der alten Reichs­stadt ihre schwarzen Fittige zusammenschlug, da erhebt er in frommem Liede die Stimme zu seinem Herrgott um Trost und Hülfe. Im Jahre 1560 starb seine erste Frau, die ihm 7 Kinder geschenkt hatte. Schon im folgenden Jahre heirathete er wieder, und zwar die junge und schöne Barbara Harscherin, auf die er das Gedicht ,, Köstlich Frawenlob" gedichtet hat. Bis in sein hohes Alter bewahrte er seine Lebens- und Dichtungsluft, erst im 78. Lebensjahre begannen alle seine Kräfte zu versiegen, sodaß er die letzten drei Jahre, bis zu seinem am 19. Januar 1576 erfolgten Tode, in zunehmender Theilnahmlosigkeit für alles, was um ihn vorging, verbracht hat. In ihm starb eines der merkwürdigsten Beispiele von der hohen geistigen Entwicklungsfähigkeit, welche sich das sogenannt niedere Volt Deutschlands auch während der trübsten Zeiten bewahrt hat eine Entwicklungsfähigkeit, die zu Gunsten deutscher Kunst und Wissenschaft nicht gar selten herrliche Blüthen gezeitigt hat. B. G.

Auf einem im Auftrage der berühmten Patrizierfamilie Welfer, die 1528 bereits Venezuela in ihren Besitz gebracht hatte, im Jahre 1533 unternommenen Eroberungszuge in Südamerika hörte man auch von einem in diesem Lande existirenden Weiberstaate erzählen, dessen Mitglieder ,, mit den Männern gar kein gemeinschaft haben, dann etlich Zeit im Jahr in aller maß und gestalt wie man von Amasonen schreibt." Daraufhin soll der bekannte große südamerikanische Strom den Namen ,, Amazonenstrom" erhalten haben. Dr. M. V.

Inhalt. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Fortsetzung).

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Ueber Fremdwörter im Deutschen , von M. Wittich( Fortsetzung). Johann Wolfgang Goethe , von Dr. M. Vogler( Fortsetzung). Henry Charles Carey . Die erste Lokomotive der Eisenbahn von Stockton nach Darlington( mit Illustration). Springfluth an der deutschen Nordseeküste( mit Jllustration). ( Schluß). Die Welser und der Amazonenstrom.

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II.

Drud und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .

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Hans Sachs