unzweifelhaften Bevorzugung seitens jener Tänzerin rühmen konnte, anscheinend ganz aufrichtig zu gratuliren und ihm seinen wärmsten Dant abzustatten, daß er ihn, Schweder, der Mühe überhoben hätte, ein Verhältniß aufrecht zu erhalten, welches ihm bei seinen übrigen zahlreichen Engagements schon angefangen hätte, lästig zu werden, ehe es noch ernstlichere Gestalt angenommen hätte. Wichtel junior war zwar scharfsichtig genug, den Aerger Schweders über die unerwartete Niederlage auch durch die Maske dieser Gratulation hindurch zu erkennen; aber die Gesellschaft junger Leute, vor der Herr Schweder seine Theilnahme an dem wichtelschen Erfolge zu dokumentiren für gut fand, gönnte dem Freunde Wichtel viel eher eine gelinde Blamage, als einen Triumph, und nahm daher Schweders Genugthuung mit großem Behagen als baare Münze hin.
So war denn der Herr Referendarius Wichtel keineswegs erbaut gewesen, als er an dem mehrerwähnten Nachmittage den fatalen Schweder in dem Café anwesend fand, wo er, Wichtel, mit einer größeren Anzahl bunt zusammengewürfelter Leute fast allnachmittäglich zusammenzukommen pflegte. Das Café Hedebusch war das Rendezvous der Schachspieler von P., und Wichtel junior war ein gefürchteter Kämpe auf den 64 Feldern des königlichen Spiels.
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Nur ein Schachspieler in P. hatte früher unbestritten als ihm überlegen gegolten, und dieser eine war wieder kein anderer als Herr Schweder. Schweder war in allen Spielen Meister. Im Carambolagespiel auf dem Billard gab er dem geübtesten Billardfellner wenigstens 30 Point auf 100 vor und siegte fast immer. In jedem der beliebteren deutschen Kartenspiele im Whist und L'hombre, Solo und Preference, und vor allem im Stat, jenem Kartenspiel, das in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland allen übrigen bedeutendes Terrain abgewonnen hat und das herrschende Spiel geworden ist, galt er als Autorität, deren Rath und Urtheil man in zweifelhaften oder schwierigen Fällen gern einholte, mit der aber nur wenige zu spielen liebten, da man trotz aller Glückschancen des Spiels so ziemlich sicher sein konnte, zu verlieren.
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Herr Schweder wußte, daß man ihn als Spieler fürchtete, und spielte deswegen nur, wenn man ihn darum bat; das Schach spiel hatte er in den letzten Jahren fast ganz aufgegeben, und das Café Hedebusch pflegte er spöttisch eine Stümperkolonie zu nennen, wo um die Palme des schlechtesten Spiels gestritten würde.
Es entstand daher einige Aufregung im Café Hedebusch, als Herr Schweder eintrat, freundlich, wenn auch vornehm, nach allen Seiten grüßte und sich mit der ihm eigenen liebenswürdigen Ungenirtheit, ganz, als wäre er ein täglicher Theilnehmer an den Schachzusammenfünften, mitten zwischen zwei nahe bei einander stehenden Tischen, an denen gespielt wurde, niederließ.
Einer der Spieler konnte sich nicht enthalten, seiner Verwunderung über den seltenen Besuch Ausdruck zu geben. Herr Schweder antwortete auffallend verbindlich, die Sehnsucht nach dem langentbehrten geistvollen Spiel habe ihm keine Ruhe mehr gelassen, und so wolle er denn heute wenigstens wieder einmal ein paar Partien spielen sehen.
Den scharfblickenden und spottsüchtigen Schweder zum Zu schauer zu haben, war aber keineswegs nach dem Geschmack der Schachspieler im Café Hedebusch. Daher hatten sie ihm eifrig zugeredet, er möge doch lieber selbst zeigen, was mit dem sechzehn Köpfe starten Heere der Schachfiguren geleistet werden könne. Herr Schweder war aber nicht so leicht dazu zu bewegen gewesen. Nach einer raschen Umschau im ganzen, ziemlich geräumigen Rauchzimmer hatte er erklärt, er habe viel zu lange nicht gespielt und müsse sich erst wieder gründlich in's Spiel hineindenken.
,, Nein, nein, verehrtester Herr Schweder," hatte ein jovialer, alter Herr darauf geantwortet, so ungerupft sollen Sie diesmal nicht davonkommen; wir sind zwar hier alle viel zu schwache Spieler, als daß wir verlangen sollten, ein Meister, wie Sie, sollte sich mit uns begnügen. Ueber ein kleines aber wird unser jugendlicher Matador erscheinen, dann müssen Sie vor die Klinge, da kann Ihnen kein Gott helfen."
Dieser jugendliche Matador war nun eben der Referendar Wichtel junior, dem es ein leichtes gewesen, sich zum unbestritte nen Herrscher im Schachreiche des Café Hedebusch aufzuschwingen, seit Schweder daselbst nicht mehr verkehrte. Man hielt ihn all gemein für einen Spieler, dessen Stärke im letzten Jahre infolge theoretischer Studien ungemein gewachsen sei, und er selbst theilte
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diese Meinung. Er hatte sich daher gerade wegen seiner Abneigung gegen Schweder, als er dann wirklich bald gekommen war, zu einer Partie auch bereit finden lassen war er doch in beständiger Uebung, während Schweder sicher sehr viel verlernt hatte und deshalb ein nicht mehr gefährlicher Gegner sein konnte. Bestärkt hatte den Herrn Wichtel in seiner Meinung das Sichsträuben Schweders, der schließlich, wie es seinem Gegner schien, nur aus Besorgniß, seinen alten Schachruhm gänzlich einzubüßen, das von allen Seiten unterstützte Anerbieten angenommen hatte.
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Unter den Augen fast aller übrigen Anwesenden, die sich im Kreise um die beiden Kämpen versammelt hatten, war nun der Strauß ausgefochten worden. Schweder hatte bei jedem Zuge lange nachgedacht und trotzdem, wenn auch erst nach anderthalbstündigem Streite, die Partie verloren. Wichtel hatte viel rascher gespielt und zum Schlusse eine ungemein siegessichere selbstbewußte Haltung angenommen. War er doch nun der festen Ueberzeugung, daß er sich nicht getäuscht Schweder war ihm nicht mehr gewachsen. Er wurde von den Zuschauern lebhaft beglückwünscht. Schweder verlangte eine Revanchepartie. Diese währte noch länger als die erste, wieder spielte Schweder sehr langsam, auf einmal leuchtete es auf seinem Gesicht triumphirend auf, er machte auffällig rasch, nachdem Wichtel gezogen, seinen Gegenzug, dann noch rascher die folgenden und kündigte Schachmatt in drei Zügen an. Alle waren außerordentlich überrascht Wichtel mehr, als jeder andere. Er wollte nach längerem Ne sinnen schon vornehm lächelnd die Achseln zucken- da mußte er virklich zugeben, daß Schweder recht hatte.
Nun gratulirten die Zuschauer Herrn Schweder nicht minder herzlich, als vorher seinem Gegner. Wichtel ärgerte sich gewaltig. Er wollte unter allen Umständen der Held des Tages bleiben; sicherlich hatte er auch nur irgend ein grobes Versehen begangen sonst hätte Schweder nicht zu siegen vermocht.
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Er stellte also ohne weiteres die Figuren zu einer drittender sogenannten Meisterpartie, die ja selbstverständlich gespielt werden müsse, in Schlachtordnung. Die Zuschauer aber, von denen die meisten lange über ihre gewöhnliche Zeit im Café ausgehalten hatten, waren ganz begeistert, sie versicherten so interessante Spiele lange nicht mit angesehen zu haben.
Und das mußte man unsren Schachduellanten lassen, sie spielten jetzt beide anscheinend mit Aufbietung all ihrer Kräfte. Herr Wichtel wurde purpurroth vor Aufregung, und dicke Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn. Schweder schien ganz ruhig, aber die Art, wie er spielte, unverwandt den Blick auf das Schachbrett gerichtet, ohne die Spur einer andern Bewegung als dazu nöthig war, die Figuren hin und herzubewegen, dieses offenbare Konzentriren aller Geistesfähigkeiten auf den einen Punkt bewies zur Genüge, wie sehr auch ihn das Spiel fesselte.
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Lange wogte die Schlacht unentschieden hin und her endlich eroberte Schweder einen feindlichen Bauern und die günstigere Stellung. Die Zuschauer wollten bereis wetten, daß ihm auch diesmal der Sieg werden müsse. Da glitt über Schweders Lippen schattenhaft flüchtig das gewohnte sarkastische Lächeln und er spielte wieder rascher als zuvor. Diesmal folgte jedoch dieser seiner Beschleunigung des Spiels nicht die rasche und gewaltsame Niederwerfung des Feindes, im Gegentheil, Schweder machte plötzlich ein Versehen, das ihn um den gewonnenen Bauern und den Angriff brachte. Wichtel, der sich vor Aerger und Erregung die Lippen beinahe blutig gebissen hatte, athmete hoch auf und ließ alle Kunstgriffe und Kniffe spielen, um den Sieg an seine Fahnen zu fesseln. Aber trotzdem Wichtel im weiteren Verfolge des Schwederschen Fehlzuges gar noch einen Offizier eroberte und augenscheinlich das stärkere Spiel bekam, vermochte er das Schachmatt nicht zu erzwingen. Schweder hatte wieder mit erstaunlicher Hartnäckigkeit und Ruhe gespielt und den Gegner gezwungen, sich selber derart zu schwächen, daß die Partie endlich als unentschieden abgebrochen werden mußte.
Der Kampf hatte im ganzen fast sechs Stunden gedauert. Viele von den Zuschauern waren zu ihrem Leidwesen gezwungen gewesen, das Café zu verlassen, bevor die Schlacht entgiltig entschieden war. Die wenigen, welche standhaft ausgeharrt, lud jetzt Herr Schweder, der entseßlich fatiguirt" zu sein behauptete, und eine Auffrischung seiner Lebensgeister zu bedürfen, zu ,, einem Gläschen Champagner". Besonders ritterlich klang die Einladung, welche er an seinen fiebrisch erregten Gegner Wichtel richtete, der nicht einen Augenblick zögerte, sie anzunehmen. ( Fortsetzung folgt.)