91

legung des öffentlichen Rechts, vielmehr als eine private Rechts-| den, ob eine thatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr verlegung aufgefaßt worden ist, der Anspruch auf Strafe daher zu erachten sei. nicht als ein Recht des Staates erschien, sondern jedem andern Privatrechtsanspruch, z. B. jedem Eigenthumsanspruch, gleich geachtet wurde, so war es Sache des Verletzten, den Verbrecher zur Strafe zu ziehen, sei es, wie dies in den ersten historischen Zeiten der Fall war, im Wege der Blutrache, sei es dadurch, daß er selbst als Ankläger vor Gericht erschien. Der Staats­anwalt unsrer Zeit ist den Zeiten des Mittelalters unbekannt. Weil aber nach der modernen und unzweifelhaft richtigen Ansicht das Verbrechen als öffentliche Rechtsverlegung bestraft werden muß, so kann natürlich auch nur das zur historischen Gewiß heit erhobene, das erwiesene Verbrechen bestraft werden.

Bei diesem modernen Charakter der Verbrechensverfolgung kann natürlicher und billigerweise auch allein die freie richter liche Ueberzeugung über die Schuldfrage, über die Beweisfrage entscheide... Dieser freien richterlichen Ueberzeugung dürfen, soll nicht ein abscheulicher Gewissenszwang ausgeübt werden, unter feinen Umständen durch etwaige geseßliche Beweisregeln, denen zufolge er beim Vorhandensein gewisser, gesetzlich anerkannter Beweisgründe, z. B. des Geständnisses, die Schuldfrage bejahen muß, Schranken gesetzt werden. Es ist fast selbstverständlich, und es hieße unserm Jahrhundert einen Schlag in das Gesicht geben, wenn es nicht so wäre, daß die Reichsstrafprozeßordnung das Offizialprinzip und dessen Konsequenzen in sich aufgenommen hat. Paragraph 152 derselben sagt: Bur Erhebung der öffent­lichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen." Dieselbe ist, soweit nicht ein anderes gesetzlich bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende thatsächliche Anhaltspunkte vor­liegen.

Das Prinzip der freien Beweiswürdigung findet hingegen seine Anerkennung im Paragraph 260 der Strafprozeßordnung, wo es heißt: ,, leber das Ergebniß der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhand­lung geschöpften Ueberzeugung." Der Eid der Verletzten oder Angeklagten, oder gar sogenannte Eideshelfer, wie dies im alt­deutschen Prozeß möglich war, sind nicht, ebensowenig das Ge­ständniß, als Beweisgründe anerkannt. Ein Angeklagter muß, auch wenn er des Verbrechens geständig ist, freigesprochen werden, sofern Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß er das Ge­ständniß wider die Wahrheit abgelegt hat, ein Fall, der zwar unwahrscheinlich, aber doch in der Praris wiederholt vorgekommen ist. Wie anders gestalten sich aber diese Dinge im Civilprozeß, wo allein Privatrechte, veräußerliche, dem Verzichte der Parteien unterliegende Rechte in Frage stehen. Zwar hat auch der Civil­prozeß, und dies ist eine der wichtigsten Neuerungen, welche die Civilprozeßordnung getroffen hat, das Prinzip der freien richter lichen Beweiswürdigung anerkannt. Der frühere gemeine deutsche und sächsische Civilprozeß insbesondere hatte eine Unzahl von gesetzlichen Beweisregeln aufgestellt, durch welche der Richter, waren die Voraussetzungen dieser Regeln gegeben, gezwungen war, den Beweis als ganz oder halb erbracht anzusehen, ohne Rücksicht auf seine eigene Ueberzeugung, und gleichviel, ob die Thatsache in Wirklichkeit wahr oder unwahr war. So waren 3. B. zum vollen Beweis zwei klassische Zeugen nothwendig. War nur ein, wenn auch völlig glaubhafter Zeuge vernommen, durch dessen Aussage die bestrittene Thatsache für jeden Menschen als wahr erwiesen wurde, so mußte dennoch, zufolge der Beweis­regel, daß nur zwei Zeugen vollen Beweis geben, der Richter der einen oder andern Partei noch einen Reinigungs- oder Beſtärkungseid auferlegen, welcher noch abgeleistet werden mußte, ehe die Thatsache für juristisch erwiesen, für formell wahr an­gesehen werden konnte.

Die Folge davon war, daß einerseits vielfach überflüssige Eide geschworen werden mußten, daß andererseits gewissenlose Parteien durch Leistung von Glaubenseiden die Wahrheit von Thatsachen ablehnten, für welche ein hoher Grad von Wahr­scheinlichkeit erbracht worden war. Es würde zu weit führen, alle die gesetzlichen Beweisregeln aufzuführen. Es sei darum blos konstatirt, daß die materielle Wahrheit durch dieselben oft die empfindlichste Einbuße erlitt und das gute Recht durch das formelle Beweisprinzip oftmals gebeugt wurde. Ein Sieg der Ein Sieg der materiellen Wahrheit ist es daher, wenn§ 259 der Civilprozeß ordnung bestimmt: Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesammten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Ueberzeugung zu entschei

Ist durch diese Bestimmung dem Uebelstand, daß die mate­rielle Wahrheit in den schreiendsten Widerspruch mit der formellen juristischen Wahrheit tritt, ein Riegel vorgeschoben, so bedingt doch die Natur der im Civilprozeß zu verhandelnden Rechte eine gewisse Beschränkung des Grundsatzes der freien richterlichen Be­weiswürdigung, wie sie der Strafprozeß nicht kennt. Es existiren Daher auch nach der Civilprozeßordnung gesetzliche Beweisregeln, z. B. in Beziehung auf den Beweis durch Urkunden und durch Eid. Bezüglich der Regeln des Urkundenbeweises muß hier auf die Bestimmungen der Civilprozeßordnung verwiesen werden. Bei Würdigung der Beweiskraft des Eides muß selbstverständ­lich das richterliche Ermessen ausgeschlossen sein. Eine beschwo­rene Thatsache muß der Richter als wahr erachten, so lange der­jenigen Partei, welche den Eid geleistet hat, eine Verlegung der Eidespflicht nicht nachgewiesen ist.

Ebenso muß der Richter diejenige Thatsache als erwiesen an­sehen, in Beziehung auf welche der Eid verweigert oder erlassen worden ist. Eine weitere Konsequenz der den Civilprozeß be­herrschenden Dispositionsmaxime ist, daß das gerichtliche Geständ= niß im Civilprozeß eine ganz andere Bedeutung hat, als im Strafprozeß. Im letzteren gilt es nur insofern, als es einen Grund für die Ueberzeugung des Richters von der Schuld de Angeschuldigten in sich trägt. Im Civilprozeß trägt das ständniß den Charakter eines Verzichts an sich, und zwar stellt es hier einen Verzicht auf den Beweis einer Thatsache dar, welche letztere infolge dessen eines Beweises nicht mehr bedarf. Das Geständniß der Partei sowohl als ihres Vertreters ist deshalb auch unwiderruflich, ausgenommen die geständige Partei beweist, daß ihr Geständniß der Wahrheit nicht entspräche und durch einen Irrthum veranlaßt sei. Am prägnantesten wird aber der Charakter des Civilprozesses im Gegensatz zum Strafprozeß durch die einfache Thatsache dargestellt, daß im Civilprozeß der Kläger die ihr persönliches Recht verfolgende Privatperson, nicht der durch den Staatsanwalt vertretene Staat ist, daß, soweit der Staat als Kläger oder Beklagter im Civilprozeß auftritt, er jeder anderen ihr Recht suchenden Partei gleichgeachtet wird und er kein größeres oder geringeres Maß von Rechten und Pflichten als jeder andere Kläger oder Beklagte hat.

Zwar gilt auch im Strafprozeß der Grundsaß, wo kein Klä ger, auch kein Richter; jedoch liegt bei dem Vorhandensein eines Verbrechens der gesegliche Zwang für den Staatsanwalt zur Klage vor und ist auch das Gericht vielfach gezwungen, von amtswegen ohne Antrag der einen oder anderen Partei thätig zu werden. Soweit es sich hingegen um im Wege des Civil­prozesses verfolgbare Rechte handelt, steht es jedem, dessen Recht verlegt ist, frei, Klage zu erheben oder nicht. Er kann jederzeit auf sein Recht verzichten und dadurch den Rechtsstreit gegenstands­los machen. Er ist auch innerhalb gewisser Schranken befugt, die einmal erhobene Klage zurückzuziehen. Es steht überhaupt jeder Partei, dem Kläger sowohl wie dem Beklagten, frei, welche der im einzelnen Falle gegebenen Angriffs- und Vertheidigungs­mittel sie geltend machen will. Die schwerstwiegende Konsequenz dieser sogenannten Verhandlungsmaxime liegt aber darin, daß der Richter außer den Prozeßkosten der Partei nie etwas zu­sprechen darf, was nicht beantragt ist. Ueber dem Willen des Richters steht in Bezug auf das Streitobjekt der Wille der Partei.

Gewiß sind die Offizial- und Verhandlungsmaxime diejenigen Grundsäße, durch welche der Strafprozeß und Civilprozeß in den entschiedensten Gegensatz treten. Doch wird keiner der Prozesse von einer jeden so ausnahmslos beherrscht, daß nicht auch die Offizialmaxime ihre Wirksamkeit im Civilprozeß und umgekehrt die Verhandlungsmaxime im Strafprozeß zeige. In letzterer Beziehung muß vor allem auf die im Wege der sogenannten Privatanklage verfolgbaren und Antragsverbrechen hingewiesen werden. Es gibt gewisse Vergehen, z. B. Beleidigungen, Körper­verlegungen, Verlegung des Briefgeheimnisses, Diebstahl und Unterschlagung unter Verwandten in auf und absteigender Linie und andere, deren Verfolgung entweder ganz dem Verletzten überlassen ist oder aber bei denen die Verfolgung durch den Staatsanwalt erst dadurch bedingt ist, daß der Verletzte Straf­antrag stellt. Hinwiederum wird der Staatsanwalt im Civilprozeß thätig, so im Eheprozeß und im Entmündigungsverfahren. Der Grund für diese Ausnahme liegt offenbar darin, daß in diesen Fällen das öffentliche und private Interesse ineinander überfließt,