daß da, wo eigentlich nur Privatrechte, wie eben in Ehe- und Entmündigungssachen, in Frage kommen, immerhin ein öffentliches Interesse mit berührt wird, daß hingegen in den Fällen der An­tragsvergehen das Interesse des Staates an der Strafverfolgung von Verbrechen nicht von der Bedeutung ist, daß er es dem Ver­letzten überläßt, die Strafverfolgung zu veranlassen. Doch diese Ansnahmen bestätigen nur die Regel. Beide Prinzipien sind eben derart, daß weder die Strafrechtspflege ohne die Offizial­

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maxime noch die Civilrechtspflege ohne die Verhandlungsmaxime aufrecht erhalten werden kann. Ein Aufgeben der Offizialmagime im Strafprozeß würde schneller oder langsamer die Rechtsord­nung in ein Chaos verwandeln und als Rechtsmittel schließlich nur die Blutrache übrig lassen. Eine Beseitigung der Ver­handlungsmarime im Zivilprozeß würde die Grundveste der bür­gerlichen Rechtsordnung, die Freiheit der Person und ihres Ver­mögens erschüttern.

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Johann Wolfgang Goethe  .

Von Dr. Max Vogler. ( Fortsetzung.)

In der folgenden Zeit beschäftigte sich Goethe nur mit kleineren| ,, Betrachtungen über die Einsamkeit"*)( 3ürich, 1856), denen sich dichterischen Arbeiten, als ob er sich erst für große Schöpfungen im Dezember von 1774, als der wichtigste und folgereichste noch wieder sammeln und vorbereiten wolle. Schon wie er am ,, Werther" der des Hauptmanns Karl Ludwig von Knebel   anschloß, welcher thätig war, hatte er sich mit einem vielversprechenden Drama sich als der Lehrer des Prinzen Konstantin von Weimar mit Mahomet" getragen, von welchem aber nur ein kleines Bruch diesem und dem Erbprinzen Karl August auf einer Reise nach stück vollendet wurde. Daneben und darnach entflossen eine Reihe Frankreich   befand und ihn mit den Prinzen, von denen der eine, dramatischer Scherze ,,, belebter Epigramme", darunter ein Angriff Karl August  , gerade den Göz" gelesen hatte, bekannt machte. gegen Wieland, seiner unermüdlichen Feder, und unter die Reihe Goethe war darauf, zum großen Mißvergnügen seines demokra dieser Skizzen und rasch hingeworfenen Kleinigkeiten kann füglich tisch gesinnten Vaters, der den Sohn am liebsten von allen Hof­auch das nach dem Memoire Beaumarchais geschaffene, durch sein kreisen fern gehalten hätte, mehrere Tage mit den fürstlichen Verhältniß zu Anna Sibylla Münch entstandene und im Jahre Personen in Mainz   zusammen und hatte so Gelegenheit, seinen 1774 veröffentlichte Drama ,, Clavigo  " gerechnet werden, welches späteren edlen Freund Karl August näher kennen zu lernen. innerhalb des kurzen Zeitraums von noch nicht einmal acht Tagen Ein neues Liebesverhältniß, in das er sehr bald nach der vollendet wurde und als Stück an sich wohl regelmäßiger und Rückkehr von Mainz   verwickelt wurde, wirkte ebenfalls bestimmend bühnengerechter als der Göz", aber sehr wenig selbständig ge- auf seine nächsten, für sein ganzes Leben so bedeutungsvollen arbeitet ist und an innerer Bedeutung sehr gegen die vorher Pläne und Entschließungen ein. Der Gegenstand dieser, sogar gegangenen beiden großen Werke absticht. Von weiteren Ent zu einer Verlobung führenden Neigung, war die sechszehnjährige, würfen und kleineren Produkten sind neben seiner zweifelsohne durch Anmuth und Reichthum gleich verlockende Anna Elisabeth ebenfalls in diese Zeit fallenden Beschäftigung mit dem Faust" Schönemann, die wir unter dem Namen Lili" in seinen Ge gleich hier noch zu erwähnen der Plan zu einem Drama Pro- dichten besungen finden. So glücklich Goethe in seiner süßen metheus", die Schauspiele mit Gesang ,, Erwin und Elmira" Tändelei und holdem Selbstbetrug sich anfangs in dieser Leiden­und, Klaudine von Nilla bella", das Bruchstück des epischen schaft auch gefühlt zu haben scheint, so hatten doch die großen Gedichts ,, Der ewige Jude  " und das die lange verkannten Meister- Charakterunterschiede zwischen der graziösen, leichtlebigen, koketten sänger wieder zu allgemeiner Geltung bringende Poem Hans Tochter der Bankiers- Witwe und dem jetzt selbstbewußt den höch­Sachsens poetische Sendung". sten künstlerischen Zielen zustrebenden Dichter nicht minder wie das kühle Verhältniß der in ihrer Anschauungs- und Lebensweise sich durchaus entgegengesetzten Familien, sowie gleicherweise das Unbehagen, welches Goethe in den rauschenden, allen erdenklichen Prunk und Pomp entfaltenden und dabei entsetzlich geistlosen Gesellschaften des reichen Handelshauses empfand, bald tiefe Ver­der nunmehr als Gattin Schloffers zu Emmendingen   lebenden Schwester Cornelia und dem Freunde des Dichters, wie vorher gegen die Verlobung, so nun vollends gegen eine Heirath, Goethe zu dem ernstlichen Versuche, sich von dem allerdings bestrickenden, von der ganzen Poesie zarter Mädchenschönheit umflossenen Ge­schöpf loszureißen bewogen.

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Weittragenden Einfluß übte auf den Dichter das Zusammen­treffen mit Männern wie Joh. Kaspar Lavater  , dem frommen Schwärmer und herrschsüchtigen pfäffischen Heuchler( 1741-1801), Basedow  , dem begeisterten Anhänger Rousseau's   und seiner Er­ziehungslehre( 1724-1790), welche ihn beide in Frankfurt   be­suchten, und mit denen er dann die bekannte Rheinreise unter- stimmungen zur Folge, die im Verein mit den heftigen Einwänden nahm, und vor allem mit Friedrich Heinrich Jakobi( 1743­1819), mit dem er auf dieser Reise zusammentraf, und mit dem ihn seine durch den jüdischen Philosophen Spinoza   geweckte und genährte religiös philosophische Schwärmerei in fast leiden schaftlicher Weise verband. Welch' einen bedeutenden Eindruck der Dichter auf alle, die mit ihm in Berührung kamen, hervor brachte, geht wieder aus den Worten hervor, in welchen sich Ja­fobi und Joh. Jak. Wilh. Heinse( 1749-1803), der Verfasser lebendig geschriebener Kunstromane, zu dem Goethe damals eben­falls in Beziehung trat, über ihn aussprechen. Je mehr ich's überdenke," schrieb Jakobi an Wieland je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes zu schreiben. Man braucht nur eine Stunde bei ihm zu sein, um es im höchsten Grade lächerlich zu finden, daß er an­ders denken und handeln soll, als er wirklich denkt und handelt. Hieraus will ich nicht andeuten, daß keine Aenderung zum Schö­neren und Besseren in ihm möglich sei; aber nicht anders ist sie ihm möglich, als so wie die Blume sich entfaltet, wie die Saat reift, wie der Baum in die Höhe wächst und sich krönt." Und Heinse   berichtet an Gleim: Goethe war bei uns, ein schöner Junge von fünfundzwanzig Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe ein Genie und Stärke ist, ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit Adlerflügeln; ich kenne feinen Menschen in der Geschichte, der in solcher Jugend so rund und so voll von eigenem Genie gewesen wäre wie er" Ferner empfing Goethe   nach seiner Rückkehr von der Rheinreise in Frankfurt   u. A. noch die Besuche Klopstocks und Joh. Georg Zimmermanns( 1728-1795), des Autors der berühmten und einen gesunden Geist athmenden

Mit den Grafen von Stolberg und Graf Haugwig, in deren und Fr. Maximilian Klingers( des Verfassers von ,, Sturm und Drang  ") Gesellschaft er erst in der Umgebung Frankfurts   um­herschweifte, trat er gegen Ende Mai 1775 eine Reise nach der Schweiz   an und traf in Karlsruhe   wieder mit dem Erbprinzen Karl August zusammen, der ihn dringend einlud, einige Zeit am Weimarer Hofe zu verleben. In Zürich   besuchte er neben Lavater auch den greisen Bodmer und erhielt mannichfache Anregungen; aber was er vor allem von der Reise erwartet, Zerstreuung. und Erlösung von der ihn noch immer gefangen haltenden Leiden­schaft zu Lili, fand er weder in dem toll genialen Treiben, dem sich die unruhigen jungen Schöngeister hingaben, noch im An­blick der unvergleichlichen Bilder der alpinen Natur, und so sehr ihm auch sein Vater die Fortseßung der Reise nach Italien   em­pfohlen hatte, so sehr ihn selbst ein eigenes Verlangen nach diesem Wundergarten der Schönheit und Lust hinüberzog, er wendete doch den Schritt und fehrte, von der Sehnsucht nach dem an­muthigen Mädchen bezwungen, nach Frankfurt   zurück.

*) Von diesem trefflichen, später( Leipzig  , 1784 ff., 4 Thle.) erwei­terten Werke erschien vor kurzem bei Edwin Staude in Berlin   ein das wesentlichste wiedergebender Auszug nebst einer kurzen Biographie Bimmermann's, die wir bei dieser Gelegenheit allen Lesern warm em pfehlen( Breis: 1 Mark).

Der Verf.