auf diese Frage müßte ein Zauberwort sein, welches das ganze Wesen von Schillers Charakter und Genie erschöpfend definirte. Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die tausend, seit dem Mittel­alter schlummernden Keime deutschen Empfindens, nachdem ihre ge­heimnißvolle Brutzeit abgelaufen, plößlich mit jugendlicher Schwellkraft in Halm und Blüthe schossen, da vereinigten sich zu diesem einen Geist die Keime, welche in dem deutschen Volksherzen zunächst empfangen und gereift waren. Das neue volksthümliche Empfinden gelangte in ihm am Klarsten und verständlichsten zum Bewußtsein. Volkes Blut pochte in seinen Adern und Volkes Hirn dachte in seinem Kopfe. Er war ein volksthümliches Gefäß, in das sich der kaum errungene, gemein­same Geistesgewinn noch mächtig fortgährend ergossen hatte und sich zum reinen Trank heranklärte, zur allgemeinen edelsten Menschenlabe. Was von Leibniz   bis auf Kant   Menschliches gedacht worden, und was die von Westen her aufgehende Sonne europäischer Geistesfreiheit Neues und Kostbares beschien, das alles verschmolz in seinem Genius harmo­nisch und menschlich zugleich. Er wurde der populärste Ausdruck der Renaissance( Wiedergeburt) des Volksgeistes. Er war der Subjektivste unter den neuen Geisteshelden. Sein eigenes Blut röthete alle seine Gestaltungen, sein eigenes Herz setzte ihre Pulse in Bewegung und schlug mit ihnen im gleichen Takte. Zum ,, Sentimentalischen" ver­mochte er sich niemals zu erheben, wie er selber zugesteht. Er blieb naiv, wie das Volk in der edelsten Bedeutung, und was er schuf, hat in dieser Hinsicht Theil am Charakter einer edelen Volkspoesie. Und das millionenköpfige Volk erkannte mit richtiger Witterung in dem Dichter sich selbst mit all seinem Wesentlichen zur höchsten Potenz er­hoben. Selbst für die weniger gebildeten Klassen wurde Schiller   zum Propheten des Schönen, indem er ihnen die Ahnung eines, wenn schon unbegriffenen, Höheren vermittelte, was einst die Religion zu bewirken hatte. Obgleich Schiller eigentlich nicht zu den zünftigen Freiheitssängern der Literaturgeschichte gezählt wird, steht er doch an der Spize in den Befreiungskämpfen des menschlichen Geistes. Es gibt feine eigentlichere Freiheitspoesie, als die seinige. In fast allen seinen Werken ist der Drang nach Freiheit das Grundmotiv, nach Frei­heit in ihren verschiedensten Formen, den berechtigten und unberechtig­ten, den verworrenen und den klaren. Die Räuber" mit ihrem un­reifen Angriff auf die gesellschaftlichen Mißbräuche und der ,, Tell" mit seiner herrlichen, wirklichen Befreiungsthat, sie beginnen und schließen einen langen, heldenmüthigen Freiheitskrieg, und wenn Schiller   in seiner Einleitung zur Geschichte des Abfalls der Niederlande  " den großen und beruhigenden Gedanken" preist, daß alle Pläne ,, an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden", so ist auch wieder beinahe all sein Dichten der Genuß dieses Gedankens und der Kampf um diesen Genuß. ,, Durch Schillers alle Werke, sagt Goethe, geht die Idee der Freiheit und diese Idee nahm eine andere Gestalt an, so­wie Schiller   in seiner Kultur weiter ging und selbst ein Anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtungen überging. Dann aber in seinen reiferen Jahren, wo er der physischen Freiheit genügt hatte, ging er zur ideellen über, und ich möchte fast sagen, daß diese Idee ihn ge­tödtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren."

Er glänzt vor uns, wie ein Komet entschwindend, Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.

So urtheilte Goethe in seiner objektiven Kühle über den wesentlich sten Charakterzug des Volkshelden, über den Kampf um die Freiheit. Schiller   fand keinen Raum für solche Erwägungen.

Er wendete die Blüthe höchsten Strebens, Das Leben selbst, an dieses Bild des Lebens. Damit aber hatte Schiller das Einzige erreicht, was ihm noch fehlte, um den ersten Blaz im Gemüth seines Volkes zu gewinnen, den Strah­lenkranz des Märtyrerthums. Schiller   ist auf der Walstatt gefallen, im siegreichen Kampfe für die höchsten geistigen Güter der Menschheit. Der Held als Schriftsteller! Das schriftstellerische Heldenthum Schillers ist aus den angegebenen Gründen der Gesammtheit des Volkes weit unmittelbarer zur Empfindung gelangt, als das irgend eines anderen Boeten. Mit keinem Dichter sonst verbindet das Volk so den Begriff des Heldenthums auch in gewöhnlicherem Sinne; ihm ist die Vorstel­lung eines unwiderstehlichen, siegreichen Schwunges, einer alles mit sich fortreißenden, feurigen Begeisterung unzertrennlich von Schillers Gestalt. Das Volk verknüpft mit seinem Bilde nachgerade traditionell den Charakter eines Drachenbezwingers Siegfried, eines Herakles als Lichtgottheit, wie er in uralter Götterzeit gedacht worden. Er gewann das Herz des Volkes auf dem sichersten Wege, indem er dessen Phan­tasie beschäftigt und beherrscht des Volkes Geist, indem er die Zwing­burg desselben, des Volkes Gemüth in seiner Macht hat.

Schillers Verhältniß zum Ideal hat den Werth einer Formel für das Verhältniß zwischen seinem Volke und dem, was wir das Ewige nennen. In diesem Sinne ist die Strauß'sche Hypothese vom ,, neuen Glauben" nicht einmal so gewagt, wie sie aussieht, und wenn bei irgend einem Dichter der Welt, so trifft bei Schiller   die höchste Fichte'sche Auffassung des Dichters zu, als eines Priesters, der die Menschen zu lehren habe, daß alle Erscheinung nur eine Einkleidung der göttlichen Weltidee ist, d. h. des geistigen Inhaltes und Wesens des All. Schil­lers Ausspruch: Fühle den Gott, den du denkst", traf bei ihm am

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meisten zu und gewann ihm durch die magnetische Kraft, die allem Echten innewohnt, das Herz der Gesammtheit. Das ist der Unterschied zwischen starrer Doktrin und lebendiger Empfindung.

Weil Schiller einen unausgesetzten Kampf geführt, bald für Frei­heit innerhalb des Gesetzes und bald für das Gesez innerhalb der Freiheit, hat ihn das Volk nach seinem Tode als Märtyrer der Frei­heit heilig gesprochen, und langsam, aber sicher, läßt ihn die Zeit heranreifen zu einem Element in der interkonfessionellen geistigen Re­legion des Volkes.

So feiert ihn, denn was dem Mann das Leben, Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben.

Dr. M. T.

Christian Daniel Rauch  , der Altmeister der deutschen Bild­hauer.( Bild Seite 88). Arolsen, die Hauptstadt des Fürstenthums Waldeck, mit ihren 2381 Einwohnern, hat den seltenen Ruhm, daß zwei große Männer, der Bildhauer Rauch und der Maler Kaulbach, in ihren Mauern das Licht der Welt erblickten. Beide haben von Jugend auf mit des Lebens Noth und Drang gekämpft und beide die Unsterb­lichkeit errungen.

Wie Jemand, der von Jugend auf in behaglicher Wohlhabenheit dahingelebt hat, wohl verwundert ausschaut, wenn ihm, dem ruhig Genießenden, die Erinnerung an die beinahe vergessene Mühe des Er­werbs entgegentritt, so mögen die Generationen, denen die heutige Zeit gehört, sich angemuthet fühlen, wenn sie das Auge rückwärts wen­den und, das Damals und Jetzt vergleichend, die bedeutsame Entwick­lung unserer plastischen Kunst sich vergegenwärtigen, die, zwar von an­deren Meistern eingeleitet, doch erst durch die umfassende Thätigkeit des Mannes aus dem Volke, des Chriſtian Daniel Rauch  , ihren dauernd gesicherten und wahrhaft fruchtbaren Boden gewann. Am Leitfaden seiner Lebensgeschichte wollen wir den mühsamen Weg verfolgen, den er einschlug, um die Wiedergeburt der Kunst durch die Antike zu be­werkstelligen und die Errungenschaften seines Strebens in jenen monu­mentalen Werken niederzulegen, die ihm ein volles Anrecht darauf geben, für immer den epochemachenden Meistern zugezählt zu werden. Wie oben angedeutet, am 2. Januar 1777 in Arolsen   als Sohn eines fürstlich Waldeck  'schen Kammerdieners geboren, hatte er einen spärlichen Schulunterricht genossen. Die frühzeitigen Versuche des lebhaften Christian im Modelliren von Thonfiguren bewogen seinen Vater, den Arolsener Bildhauer Valentin wegen der Wahl des Lebensberufs für seinen Sohn zu fragen. Infolge dessen trat Christian bei Meister Valentin in die Lehre. Nach zurückgelegter Lehrzeit arbeitete er bis zu seinem zwanzigsten Jahre bei dem Kaffeler Hofbildhauer Ruhl. Ein natürliches Ereigniß hätte Deutschland   beinahe um einen seiner besten Künstler gebracht. Der Tod seines älteren Bruders, der als Kastellan in dem preußischen Luftschloß Sanssouci   bei Potsdam   angestellt war, rief ihn dahin, und die Tradition der Familie zwang ihn, den ihm als Gnadenbezeugung angebotenen Dienst am preußischen Hofe annehmen zu müssen. Tag und Nacht war er hier bemüht, die Lücken seines Wissens durch Lektüre auszufüllen. Seine künstlerische Vervollkomm nung war damit zwar keineswegs völlig unterbrochen; es vergingen aber sieben Jahre, bis sich endlich sein sehnlichster Wunsch erfüllte, die Stellung des Dieners mit einem der Kunst gewidmeten Leben ver­tauschen zu dürfen und sich seinem innersten Beruf in voller Freiheit hinzugeben. Wohlgemuth griff er zum Wanderstab und eilte nach dem Mekka   der Kunst, nach Rom  , um im Anschauen seiner Herrlichkeiten seinen fünstlerischen Gesichtskreis zu erweitern. So kam er in bereits vorgerücktem Alter, gereift und nicht ohne mehrseitige Vorbereitung, nach Rom  , wo sich im Kreise des wissenschaftlich gebildeten Staats­mannes Wilhelm von Humboldt  , im Umgang mit dem dänischen Phi­ dias   und dem italienischen Praxiteles, den Bildhauern Thorwaldsen  und Canova, seine Anschauungen ebenso erweiterten und vertieften, wie sein künstleres Können wuchs. Hatte er sich in Berlin   als Schüler des deutschen   Bildhauers Schadow betrachtet, so übten nun Thorwald­sen und die antike Kunst ihren mächtigen Einfluß und bereits die erſte Arbeit seiner Hand, das 1811 in Berlin   modellirte und dann in Jta­lien vollendete vielbewunderte Grabdenkmal der Königin Luise   im Charlottenburger   Mausoleum, zeigte die ideale Schönheit der Formen und die überzeugende Wahrheit der individuellen Auffassung in jener innigen Vermählung, die eben für das gesammte Schaffen Rauchs in erster Linie bezeichnend ist.

Schwieriger als hier, wo der Gegenstand selber der bildenden Hand gleichsam freiwillig entgegenkam, gestaltete sich die künstlerische Aufgabe, als es galt, die Bilder der Feldherren Scharnhorst und Bülow in ungetrübter Wahrheit ihres inneren Wesens und ihrer äußeren Er­scheinung wiederzugeben und dabei doch, wie es der Standpunkt Rauchs gebot, die Idealität des Eindrucks zu erzielen, die ein im Studium der Antike geschultes Auge erheischte, um im vollen Maße befriedigt zu sein. Mit dem unbedingten Gelingen der beiden in Berlin   aufgestellten Statuen that Rauch einen weiten Schritt über die Leistungsfähigkeit Schadow's hinaus. Rauch hat damit Schadow, Thorwaldsen   und die Antike vereinigt. Die durch Thorwaldsen wieder gewonnene edle Rein­heit der Form konnte ebenso wenig geopfert werden, wie fernerhin auf die von Schadow erreichte Schärfe und Bestimmtheit in der Auffassung der individuellen Gestalt verzichtet werden durfte; es galt vielmehr beide Elemente mit einander zu versöhnen und aus der innigen Ver­