Du wirst heute durch mich wahrscheinlich noch viel mehr verdienen; tröst dich und fahr so geschwind, als dein Gaul es überhaupt noch kann," erwiderte Willisch.
Die Aussicht auf einen tüchtigen Verdienst, vielleicht auch die Entrüstung über die Geringschäßung seines getreuen Rosses, welche aus des Dienstmannes Worten herausgeklungen hatte, mochten den Droschkenkutscher zu einer außergewöhnlichen Leistung anstacheln. Er knallte einigemale mit der Peitsche, ließ sie sogar auch einmal, freilich nicht gar unsanft, auf den Rücken seines Pferdes niederschmißen und fuhr wirfich davon, als ob er, wie man zu sagen pflegt, den Willisch gestohlen hätte.
Kleine Promenade Nummer 7, in der Beletage, bewohnte Herr Schweder eine aus drei äußerst elegant und behaglich eingerichteten Zimmern bestehende Garçonwohnung. Dieser war grade auszugehen gewillt gewesen und bereits mit Ueberzieher und Hut angethan, an's Fenster getreten, um sich zu vergewissern, ob es nicht trotz des hin und wieder zum Vorschein kommenden Mondes gerathen sei, den Regenschirm statt des Spazirstockes mitzunehmen. Da sah er die im scharfen Trabe um die Ecke schräg gegenüber biegende Droschke, und aus derselben, noch ehe der Kutscher sein in ungewöhnliche Aufregung gerathenes Pferd zum Stehen brachte, seinen vielgetreuen Willisch herausspringen. Der mußte eine wichtige Botschaft haben. Herr Schweder ging selbst in den kleinen Vorsaal und öffnete ihm.
" Interessante Neuigkeiten, gnädiger Herr!" rief Willisch, nach dem er die Müze ehrerbietigst abgenommen hatte und eingetreten war. Sehr interessante Neuigkeiten. Der alte Justizrath ist wieder zurück."
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Herr Schweder zuckte die Achseln:„ Weiß ich längst."
,, Aber noch viel mehr, gnädiger Herr, hab' ich zu berichten. Der Justizrath ist nach einer langen und sehr heftigen Unterhaltung mit seinem Sohne, dem Doktor, schnurstracks zum Herrn Alster gefahren, und als der nicht zuhause war, hat er gesagt, er müßte ihn heute unter allen Umständen noch sprechen, und ist ihm zu Weinhold nachgefahren, wo der Herr Alster heut wieder ' mal so' n heimliches Vergnügen veranstaltet-Sie Sie wissen ja schon, gnädiger Herr."
" Freilich. Und was war der Inhalt jener heftigen Unterhaltung der Herren Wichtel- das wissen wir hoffentlich auch, mein Lieber?" fragte Schweder.
,, Das weiß ich leider nicht so ganz genau, wie's der gnädige Herr wohl wünschen wird. Der Friedrich von Wichtels sagt, er hätte zwar wenigstens eine Stunde lang krummbucklig an der Thür gestanden und sich beinahe sein Trommelfell entzwei gehorcht, aber er hätte wegen der verdammten Thürlappen- Bortièren heißen sie ja wohl immer nur einzelne, abgerissene Worte hören können. Er, der Friedrich, hat sich freilich sofort daraus seinen Vers gemacht, aber der alte Kerl, so trocken er sonst ist, hat Ihnen' ne Phantasie, gnädiger Herr, wenn's ans Lästern seiner Herrschaft geht, grade als hätt er seinen Beruf verfehlt und hätt' eigentlich großer Dichter werden sollen."
Also der Kerl lügt?" fragte Herr Schweder, über die humoristische Redeweise des Dierstmanns ein wenig lächelnd, aber sofort wieder ernst werdend. Für Lügen bezahle ich nichts, und wenn ich dahinterkomme was unfehlbar geschieht, mein Lieber! daß mir für Lügen Geld abgenommen worden ist, so ist's aus zwischen mir und dem Betreffenden- das haben Sie doch nie vergessen, Willisch?"
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„ Aber gnädiger Herr!" sagte Willisch vorwurfsvoll. Wär' ich nicht kolossal peinlich in so was, würd' ich doch Ihnen einfach die ganze Geschichte, die sich der Friedrich zusammenbuchstabirt, als pure Wahrheit verkaufen. Da müssen Sie mich doch kennen, gnädiger Herr! Aber ich will nun rasch noch Bericht erstatten, denn vielleicht ist, wie man sagt, Gefahr im Verzuge." „ Also rasch!"
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,, Ganz rasch, gnädiger Herr. Der Friedrich hat also gehört, ganz zuverlässig gehört, und das glaub' ich ihm, gnädiger Herr, daß sich sein alter Herr mit seinem jungen Herrn gezankt hat, folossal gezantt. Und zwar wegen dem Herrn Alster sind sie einander in die Haare gerathen. Da muß der Doktor dem Alten irgendwas nicht recht gemacht haben, jetzt wollt er's selber in die Hand nehmen, hat der Alte gesagt, und der Alster müßte- er müßte gezwungen werden, weil sie, die Wichtels, sonst scheitern oder Schiffbruch leiden, oder so etwas, würden, mit dem Gelde steckten sie jetzt jedenfalls kolossal drin, sagt der Friedrich, und da soll der Alster für die Ehre, daß der Doktor später' mal sein Schwiegersohn wird, im voraus ordentlich blechen."
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Scheitern Schiffbruch leiden," wiederholte Herr Schweder. Die Worte stammen nicht aus dem Lexikon des abgefeimten Schleichers, des Friedrich. Hm! Das ist in der That garnicht uninteressant. Also sofort ist der alte Wichtel zu Alster und dann zu Weinhold gefahren?"
" Sofort!"
" Und mit wem soupirt Alster bei Weinhold?"
,, Von den Herren weiß ich nur den Namen des Oberbauraths von der Eisenbahn," erwiderte Willisch:„ des Herrn Schneemann. Ob überhaupt nicht noch Herren dabei sind, das weiß ich nicht. Die Damen das sind natürlich Damen vom Theater. Da ist das Fräulein von Wurzbach , die junge Frau Bergmann- Stein, und wenn ich nicht sehr irre, auch noch eine dritte
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Herr Schweder horchte auf.„ Die Frau Bergmann- Stein?" fragte er. Wissen Sie das gewiß, Willisch?"
,, Ganz gewiß, gnädger Herr. Der Lohnkutscher, welchen der Herr Alster beauftragt hat, die Damen vom Theater abzuholen, ist direkt an die Frau Bergmann- Stein gewiesen. Ich habe mich auch gewundert, daß Herr Stein das leidet; sie sind dazu noch so jung verheirathet."
Schweder lachte auf. Dem Herrn Stein werden solche kleine Extravaganzen seiner liebenswürdigen Ehehälfte gar nicht unangenehm sein und er wird sich Herrn Alster gegenüber durch die bescheidene Aufmerksamkeit revanchiren, daß er ihm zum Neujahr die Kleiderrechnungen der Schönen zur gefälligen Begleichung zusendet."
Willisch lachte auch. Da geht die Geschichte allerdings, gnädger Herr. Dem Herrn Stein werden die Kleider seiner Frau jedenfalls theurer sein, als die Frau selbst, das kann ich mir denken."
Herr Schweder schien nachzudenken. Er sah nach der Uhr. Wann ist das Theater heute aus?" fragte er.
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,, Nach neun Uhr steht auf dem Zettel," antwortete Willisch. Gut. Sie werden sofort, Willisch, Herrn Senkbeil ein Billet überbringen, die Adresse wissen Sie ja."- Schweder nahm eine seiner Karten aus einem elegant gestickten Visitenkartenetui, warf mit flüchtiger Hand ein paar Zeilen darauf, kouvertirte das Billet nnd reichte es dem Dienstmanu hin; dann fuhr er fort: Ihre Droschke, die Sie vernünftigerweise nicht fortgeschickt haben, nehme ich mir und nun rasch adieu!"
Willisch verschwand, ohne ein Wort zu erwidern, auf der Stelle. Schweder schritt hinter ihm drein und stieg mit der Weisung:„ Nach dem Theater" in die Droschke.
Nach einer Viertelstunde stand er an der Theaterkasse, wo ihn der Billeteur mit einer alte Bekanntschaft verrathenden vertraulichen Höflichkeit begrüßte. Schweder bemerkte kurz, nachdem er sich durch einen schnellen Umblick überzeugt hatte, daß ihn sonst niemand höre, er müsse, womöglich noch vor Schluß des Theaters, Frau Bergmann- Stein sprechen. Der Billeteur lächelte etwas verlegen und meinte, er wisse nicht, ob Frau BergmannStein heut noch zu sprechen sei; sie werde wohl für den Abend versagt sein. Eine Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen oder so etwas Aehnliches
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Schweder fuchtelte ungeduldig mit seinem Fischbeinspazierstock in der Luft herum.
„ Ich bitte Sie, Verehrtester, mir zu glauben, daß ich nur einige wenige Worte mit Frau Bergmann- Stein zu sprechen, aber unter vier Augen zu sprechen habe. Die Zeit der Dame werde ich für meine Person heute noch nicht eine Viertelstunde in Anspruch nehmen. Lassen Sie ihr das gefälligst mittheilen, sprechen aber muß und werde ich sie und wenn ich sie in dem Wagen erwarten sollte, der Frau Stein heut Abend zu der Geburtstagsfeier oder so etwas Aehnlichem, wie Sie zu sagen belieben, abholen soll."
Der Billeteur kannte Herrn Schweder zu gut, um länger zu widersprechen.
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Bitte versichert zu sein, daß ich jederzeit bereit bin, für Sie, verehrter Herr Schweder, zu thun, was in meinen Kräften steht; aber man hat zuweilen seine Instruktion--"
,, Die in diesem Falle nicht auf mich berechnet war, lieber Herr. Also wenn ich bitten darf
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Mit Vergnügen."
Der Billeteur rief einen Theaterdiener herbei und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Dieser warf einen raschen Blick auf Schweder, vor dem er gleichzeitig einen tiefen Bückling machte, lächelte pfiffig und ging fopfnickend von dannen.
In wenigen Minuten war er wieder da. Er wandte sich