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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne".

Ein Schritt vom Tode.

Von Max Kreger.*)

,, Theodor, ihr solltet euch wieder vertragen."

Sonnabend, den 6. August 1886.

" Ihr habt doch eure Sache gut gemacht, er und Du ich meine von wegen da oben."

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,, Mag schon sein", bekam er brummend zur Antwort. Jeder Kenner soll sich lobend über euch beide aus­gesprochen haben," sagte Christoph Dörr wieder. ,, Kann schon sein", gab diesmal der lange Theodor etwas knurrend zurück.

Der Werkführer freut sich sehr, daß das gerade hier in seinem Saale   gemacht worden ist." Wird wohl sein."

I. Jahrgang.

Der lange Theodor rüstete sich sofort. Der Lehrjunge fonnte diesmal nichts helfen; man mußte alse allein mit Löthzeug und Kohlenbecken in der Hand durch die Luke auf das kleine Plateau des Daches steigen und versuchen, mittelst einer kleinen Leiter, welche man an die dicke Eisen­stange seßte, das Kreuz zu erreichen. Mit dem Langen zugleich erhob sich Martin Gundermann.

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" Ich gehe mit", sagte er sehr bestimmt und band sich die Schürze ab.

Niemals Christoph; zwischen ihm und mir liegt tein Steg mehr, auf dem wir uns begegnen könnten. Das Feuer, das durch einen falten Strahl ausgelöscht ist, läßt sich in der nächsten Minute nicht gleich wieder schüren. Das weißt Du ebenso gut wie ich, auch wohl, daß ich Theodor antwortete nichts. Gegen diesen Willen war kein schlechter Kerl bin, der einen Streit vom Zaune bricht Damit stockte die Unterhaltung plößlich. Der lange nichts zu machen. Es war ihm auch recht, wenn derjenige und der von jeder Lumperei gleich so viel Aufhebens macht, Theodor zeigte eine sehr wüthende Miene und begann auf ebenfalls seine Haut zu Markte trüge, der an der Fahne daß es die Spaßen von den Dächern pfeifen können; wo dem Rundhaken mit dem Holzhammer ein Stück Blech zu mitgearbeitet hatte. Beide machten dann ihr Werkzeug die Freundschaft durch Hinterlist ein Ende nimmt, da' muß bearbeiten, sodaß der Schall ihm jedes gesprochene Wort zurecht und verließen, ohne sich anzusehen und ohne ein naturgemäß die Feindschaft an ihre Stelle treten, und wer Christoph Dörr aber war nicht der Mann, der sich stiegen die Treppen zum Dachfenster empor. unverständlich machen mußte. Wort zu sagen den Saal, schritten so über den Hof und gegen den, den er Herzensbruder genannt hat, nichtswürdige Ränke schmiedet, dessen Weg muß abseits führen von dem durch einen derartigen ganz vorzeitigen Lärm einschüchtern Als sie den Thurm erreicht hatten und den Kopf des andern. So habe ich's immer gehalten und so soll's durch die Luke steckten, begann der Sturmwind sich wieder auch sein." Es ist doch jammerschade", begann er auf's neue, zu erheben und pfiff um Martin Gundermanns Haupt, als der Holzhammer wieder ruhig auf dem Tische lag, daß seine leichte Werkstattmüße durch die Luft flog und daß ihr beide fürderhin eine derartige Compagnicarbeit auf Nimmerwiedersehen über die Nachbarhäuser verschwand. Dann befanden sie sich auf dem nur wenige Quadratfuß nicht mehr ausführen könnt, weil ihr-"

Das alles hatte der lange Theodor in sehr beſtimm­tem Tone gesagt, sodaß derjenige, der ihn von einer andern Seite niemals fennen gelernt hatte, seine Worte höchst tragisch hätte auffassen müssen. Ganz abgesehen von dem nichts weniger als freundlichen Gesicht, das er nnn machte,

ließ.

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Nun wurde der lange Theodor ernstlich böse. Er breiten Plateau, flammerten sich an den Schaft der Eisen­

drehte sich sehr heftig um und sagte kurz und bündig: stange, banden das Kohlenbecken fest, und knieten nieder, als er mit polterndem Geräusch seinen Löthofen in Ordnung das." Ich weiß, wo das wieder hinaus soll bei Dir, mit sie unten im Thurmſtuhl Leiter und Krone der Wetterfahne Wenn Du mir einen Gefallen thun willst, so laß um durch die Luke die Stricke emporzuziehen, an denen brachte, frische Holzkohlen von oben in das prasselnde

Feuer warf, den eisernen Schieber klirrend niederfallen ließ solchen Reden. Was ich gesagt habe, dabei bleibt's: er befestigt hatten. Unter ihnen gähnte die schwindelnde Tiefe Feuer warf, den eisernen Schieber klirrend niederfallen ließ und ich, wir können wohl unser ganzes Lebenlang noch und über ihnen zogen in rasendem Lauf dunkle Wetter­und dann zur Feile griff, um den Kolben zu spißen.

monoton.

Gundermann wieder. Ich bin der breitere von uns beiden, ich werde das Gerüst abheben. Ich bücke mich, Du nimmst die Strickenden zur Krone und zum Kohlen­becken, steigst auf meine Schultern, klammerst Dich fest ans Eisen, und ich richte mich an der Stange langsam empor. Damit So wirds gehen- Du reichst dann bis zur Höhe".

Der alte Christoph Dörr verfolgte diese Beschäftigung hier neben einander sitzen, an demselben Tisch, weil's seit wolken dahin, welche das Licht des Himmels nahmen. mit sehr aufmerksamen Blicken, wie er überhaupt während Jahren schon so war und nun einmal nicht zu ändern ist, Während sie den Blick nach unten richteten, bemerkten sie der Unterhaltung, welche eine Viertelstunde währte, kein aber was an mir liegt, das soll gethan werden, um die an den langen Fenſterreihen der Fabrikgebäude die zahl­Auge von ihm gelassen hatte. Er war so zu sagen der Sache nicht anders zu machen, wie sie nun einmal iſt. losen Köpfe ihrer Kollegen, welche mit Spannung ihrem Friedensstifter an diesem Orte, wozu ihn die sechszig Jahre, Nun laß mich in Ruhe mit Deinen Anspielungen. Ein gefährlichen Treiben zufahen. Die Leiter hatten sie glücklich emporgebracht; sie legten die er bereits mit Ehren auf seinem Buckel trug und am Jeder weiß wohl am besten, wie er's zu treiben hat." meisten wohl die zwei Jahrzehnte, die ihn unausgeseßt in Wenn aber der lange Theodor gemeint hatte, dem Christoph dieselbe an, um ihre Festigkeit zu prüfen. Unten hatten dieser Werkstatt thätig sahen, ganz besonders geschaffen Dörr damit den Mund zu ſtopfen, so hatte er sich geirrt, fie den glatten Schiefer als einzigen Halt, oben die kahle hatten. Nun schien er aber wirklich an den Unrechten ge- kannte er die dicke Haut des Friedensstifters noch nicht Rundung der eisernen Stange, die im Winde hin- und kommen zu sein, denn der da vor ihm saß, zeigte sich hart zur Genüge. herschwankte. wie Stahl; und doch hatte er mehr als einmal nachge- aber ich glaube es noch nicht, wüßte auch nicht, weshalb sie halten, denn der Sturm setzt sich in ihre Breite". ,, Hört sich alles recht schön an, mein lieber Theodor, Es geht nicht", sagte Martin; kein Mensch kann geben, wenn es sich darum handelte, die Freundschaft an ich es sollte! Ihr werdet euch wieder vertragen und der langen Fensterreihe wieder herzustellen. Aber jedes Es waren die ersten Worte, die zwischen beiden ge= wechselt wurden. Ding wollte gute Weile haben, das wußte Christoph Dörr Freunde sein wie zuvor; ich weiß es." aus eigener Erfahrung. ,, Und ich sage zum aller letzten Mal, nie und nimmer! ,, Nein, es geht nicht", wiederholte der lange Theodor Der Arbeitssaal zeigte sich noch leer und war noch still Ich schwöre-" vom hundertfachen Geräusch emsiger Thätigkeit. Der lange könntest nicht mehr gut machen, was Du dann verbrochen Theodor, schwör' nicht, laß die Hand sinken, Du Wir müssen es also anders machen", sagte Martin Theodor und Dörr brachten die Mittagsstunde in der Werkstatt zu, weil ihnen der Weg nach Hause ein zu weiter hast. Kalt Blut und warm angezogen das alte Sprich war. Außer ihnen saßen hinten in der Ecke ein paar wort solltest Du mehr beherzigen. Wenn Martin Gunder Lehrjungen und Arbeitsburschen, welche soeben die letzten mann zu mir einfach ſagt, so und nicht anders ist es, Lehrjungen und Arbeitsburschen, welche soeben die letzten bann weiß ich, was ich davon zu halten habe. Er schwört Krümel aus ihrem Stullenpapier zusammen suchten, theils aufmerksam die fettgetränkten Schriftzüge neugierig studirten, nicht, aber er giebt sein Wort und das hält er. theils leise kichernd ihre Allotria trieben. Die unteren basta. Er gäbe sein Leben d'rum, könnte er Dich über- Ein blitschneller prüfender Blick des langen Theodor Scheiben der großen Fenster waren matt gestrichen; durch zeugen, daß die Sache nicht so liegt wie Du glaubst; nie- traf den Sprecher. Was wollte er mit diesem Plan? die oberen erblickte man die vom Regen nassen Dächer mals hat er das ausgesprochen über Deine Frau und Dich, War das nur ein ehrlicher Vorschlag oder böse Absicht? Sollte er wirklich noch falscher sein, als er bereits be­der übrigen Fabrikgebäude, den riesigen nach dem Parke was man Dir hinterbracht hat." Also Du weißt die Geschichte? Desto besser, er, er wiesen hatte? zu gelegenen Steinpalast des Besizers, gekrönt von einem ist ein Thurme, auf dem in schwindelnder Höhe eine kunstvoll ge­Ein entseßliches Mißtrauen bemächtigte sich in diesen Das Schimpfwort, welches er aussprechen wollte, Sekunden seiner. Als er aber in das ruhige, groß zu arbeitete Wetterfahne thronte. Ein scharfer Herbstwind wehte durch das Geäft der Bäume, trieb die letzten Blätter fam nicht über seine Lippen, die Thür hatte sich geöffnet ihm aufgeschlagene Auge des Genossen blickte, schämte er von den Zweigen, jagte und pfiff über die Dächer dahin und der, dem es galt, war eingetreten. Martin Gunder sich eines Verdachtes, den man nur einem Elenden ent­und wand sich ächzend die Schieferwände des Thurmdaches mann hatte den Rockkragen in die Höhe geschlagen, denn gegenbringen konnte. hinauf bis zur Wetterfahne empor, die er rasend in Be- der Herbstregen hatte ihn bis auf die Haut durchnäßt. Troßdem zeigte er wie immer ein freundliches Gesicht, wegung setzte. Der alte Christoph hatte dieses Spiel in der Luft sagte sehr laut sein Mahlzeit", welcher Gruß vom langen aufmerksam beobachtet. Die Wetterfahne richtig! Bei Theodor selbstverständlich nicht erwidert wurde, brachte die ihrem Betrachten siel ihm die einstige Freundschaft der Blechkanne mit dem Nachmittagstaffee neben seinem Ofen beiden jeßigen Feinde ein. Der lange Theodor und Martin unter, schüttelte sich ein paar Mal ganz gehörig und meinte Wucht des schweren auf ihm ruhenden Körpers fühlend, Gundermann zusammen hatten die Fahne hergestellt. Der schließlich zu Christoph, daß bei solchem Wetter der Hund richtete sich Martin Gundermann, die Hände feſt um dié im Backofen jedenfalls am besten aufgehoben sei. Dann Stange geklammert, in die Höhe; und sicher und tief die Chef hatte großen Werth auf ihre sorgfältige Ausführung gelegt; und da die beiden Kollegen als die geschicktesten Ar- setzte er sich ruhig an seine Arbeit, zwei Schritte entfernt Füße in die Schultern der lebenden Stüße gegraben, that beiter im Saale bekannt waren, so wurde ihnen die An- on seinem neugeſchaffenen Todfeind. Die Werkstatt füllte der lange Theodor dasselbe. Und um beide herum pfiff fertigung übertragen. Die Zeichnung dazu war vom In- ich allmählich; als es ein Uhr gepfiffen hatte, war das und heulte der Wind, der nun drohte, abermals zum erſt prangte der Schmuck zwischen Himmel und Erde. im vollen Gange. Der lange Theodor hielt sein Wort Häuptern begann sich zu entladen und sandte die erſten Eine ganze Woche hindurch hatten Theodor und Martin vollen Maße. Nichts in seinem finstern Wesen ver- großen und schweren Tropfen hernieder. geschnitten, gelöthet und gefeilt, sich gegenseitig in die Hände rieth, daß neben ihm ein Mensch saß, mit dem er den gearbeitet, bis das Kunstwert mit seinen durchbrochenen Bruderfuß ausgetauscht hatte. Die ganze folgende Nacht hindurch hatte der Sturm Buchstaben, Zahlen und Ornamenten vollendet war. schwankendem Gerüste, nur unterstützt von einem Lehrjungen, gewüthet und nach Kräften seine Verheerungen auf den Dächern und in den Straßen Berlins   angerichtet. Am hatten sie es dann auf der Spiße des Thurmes befestigt. Einigkeit und Friede herrschte noch zwischen ihnen, kein andern Morgen in aller Frühe hatten die Arbeiter in der böses Wort hatte die Zwietracht gefäet. Nun bewegte sich Fabrik die Köpfe zuſammen zu stecken. Der Sturm hatte das drehbare Kreuz luftig nach der Richtung der Windrose, auch die Krone der schönen Wetterfahne hinunter in den nicht während seine Verfertiger seit drei Tagen sich gegenseitig Park geschleudert.

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genieur der Fabrik entworfen worden. Seit vier Wochen

Auf

"

Es sei so, es wird das beste sein", sagte er kurz. Wenn Du es nur aushalten wirst", fügte er mit derselben unveränderten Miene hinzu. Ich werde es, verlaß Dich darauf!" Sie thaten also wie verabredet. Langsam, die ganze

finnbethörende Geräusch eines großen Fabriksaales wieder Sturme anzuschwellen. Die schwarze Wolke über ihren

im

Oben?"

Jawohl!"

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,, Langst Du?" Jawohl! Stehst Du unten fest und sicher?" ,, Jawohl, ich halte aus. Gehts mit dem[ Empor­ziehen von Krone und Kohlenbecken?"

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Ganz gut, ich kann das Becken festhäugen. Es soll lange dauern." In dem unendlichen Raum, der sie umgab, in der " Da giebt es neue Arbeit, vorausgesetzt, daß sich bleiernen Schwere der Luft mußten sie laut schreien, um mit Blicken maßen, die nichts mehr gemein hatten mit den einer" finden wird, der den Weg bei diesem Wetter nach sich verständlich zu machen. Ihre Gestalten nahmen sich freudestrahlenden Augen, mit denen sie das Gedeihen ihres oben hinauf wagt", meinte Christoph Dörr so nebenher, spukhaft klein aus; sie schienen sich mit dem Dunkel der Meisterstückes verfolgt hatten. Und wie lustig hatten sie dabei gepfiffen, wie träftig ihr Lied beim Hämmern und indem er einen Seitenblick auf die beiden Feinde warf. Regenwolken, die nun immer schwärzer und tiefer heran­Du wirst es jedenfalls nicht thun", fiel ihm der gezogen kamen, zu vereinen. Dann flammte es hell aus Feilen gesungen! lange Theodor, der sich getroffen fühlte, sofort ins Wort. dem Becken hervor. Der lange Theodor hatte mit dem Christoph Dörr vermochte nicht lange zu schweigen. Martin Gundermann sagte vorerst noch gar nichts, aber Kolben das Feuer geschürt und begann seine Arbeit. Die Wetterfahne sollte ihm behilflich sein, das alte Gespräch er dachte sich sein Theil. Wenn der neben ihm es wagen Ich bin schon dabei, es dauert nicht lange, halte wieder aufzunehmen. sollte, allein den Schaden zu kuriren, so hatte er sich jeden- nur aus", hallte es wieder nach unten. Martin Gundermann konnte nichts erwidern. Ein *) Wir hoffen, daß unsere Leser öfters Gelegenheit haben werden, Herrn falls geirrt. Das würde gerade so aussehen, als fürchte Kretzer, dem eigentlichen Begründer des realistischen Berliner   Romans, er, Martin Gundermann, sich, noch einmal dort hinauf- fürchterlicher Schmerz, entsetzlicher als mit tausend Nadeln an dieser Stelle zu begegnen. Die hier veröffentlichte Stizze stammt zugehen, wo er bereits gestanden hatte. auf einmal ausgeführt, traf ihm Hände und Gesicht, daß aus der Sammlung Im Riesenneft". Andere kleine Erzählungen Gleich nach der Frühstückszeit kam denn auch die es wie eine glühende Schlange durch alle Glieder seines Kretzers führen die Titel: Berliner Novellen und Sittenbilder", Gesammelte Berliner Stizzen"," Im Sündenbabel". Die größeren Nachricht, man möge versuchen, wenn das Wetter es eini- Körpers ging. Und wieder, und abermals! Derselbe Romane Kreters find: Sonderbare Schwärmer", Die Betrogenen", germaßen gestatte, die Krone auf der Windfahne wieder höllische Schmerz, dasselbe wahnsinnige Brennen! Die Berkommenen", Drei Weiber". Im Erscheinen begriffen ist zu befestigen. Selbstverständlich galt das denjenigen, welche siedendheißen Zinntropfen, die beim Löthen von oben soeben Meister Timpe", ein großer sozialer Roman, in dem Kreter den obersten Schmuck des Hauses angefertigt und befestigt herabfielen, hatten ihn getroffen und verbrannten ihm das den Untergang des Kleinhandwerks im Rampfe gegen das übermächtige hatten. Fleisch. Großkapital behandelt.

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