Berliner

Volks- Tribüne.

Social- Politisches Wochenblatt.

-

Die Berliner Volks- Tribüne" erscheint jeden Sonnabend früh. Abonnements- Preis für Berlin   monatlich 50 Pfg.( frei ins Haus).- Einzelne Nummer 15 Pfg. Vom 1. Oktober ab durch jede Post- Anstalt des Deutschen Reiches   zu beziehen.- Bei direkter Zusendung unter Kreuzband vierteljährlich 1 Mt. 60 Pfg.

Redaktion und Erpedition:

S. O.( 26). Oranien- Straße 23.

№o. 2.

-

Inserate werden die 4 spaltige Petit- Zeile oder deren Raum mit 20 Pfg. berechnet.- Arbeitsmarkt: 10 Pfg.

-

Inseraten- Annahme in der Expedition: Oranien- Straße 23.

Sonnabend, den 13. August 1887.

-

Ausgabe für Spediteure: " Merkur" Zimmer- Straße 54.

I. Jahrgang.

Der Stickerei- Verband in der Schweiz  . unnachsichtlich und strenge ihres Amtes walten, strenger nur aus dem Grunde fernbleiben, weil sie, geschützt durch die Lohn­als Fabrik- Inspektor und Behörden. Ju die elfstündige beſtimmungen des Verbandes, den verbandstreuen Häusern eine Die Planlosigkeit, die unter der Herrschaft der freien Arbeitszeit eingerechnet sind die Arbeiten der Fensterreini: furrenz der Verband in furzer Zeit unhaltbar würde und zusammen­ruinöse Konkurrenz machen können; b) daß durch diese Kon­Konkurrenz" in der Produktion ihr Unwesen treibt, hat gung, der Säuberung der Arbeitslokale, das Pußen der brechen müßte; c) daß wir den Zusammenbruch des Verbandes bekanntlich in mehreren Industriezweigen schon dazu ge- Maschinen, der Frühstücks- und Nachmittagspausen. Außer- für ein Landesunglück von unberechenbarer Tragweite halten, weßhalb führt, sogenannte Kartelle abzuschließen, um durch gegen- halb der 11 Stunden giebt es also in der Fabrik gar wir beschließen: sämmtliche Nichtverbands- Exportfirmen mit allen uns seitige Verpflichtungen einigermaßen Ordnung zu schaffen feinen Aufenthalt. Die Wirkung dieser Maßregel ist eine zu Gebote ſtehenden Mitteln zu zwingen, entweder dem Ver­bande beizutreten oder ihre Geschäfte aufzuheben. und so viel wie möglich einer Ueberproduktion vorzubeugen. so günstige, daß vielleicht in nächster Zeit eine weitere Gestützt hierauf verpflichten wir uns mit Unterschrift, jeden, der Die natürliche Folge davon ist vielfach für Unter- Arbeitszeitreduktion stattfindet und dürfte dann der Sonn- mit diesen Firmen arbeitet( Brenner, Bleicher, Appreteure, Färber, nehmer ganz angenehm ein Steigen des Preises der abend- Nachmittag freigegeben werden. Was aber den Ver- Ausrichter, Zeichner, Schreiner, Spediteure 2c.), unsere Arbeit und betreffenden Waare, ein Ueberwiegen der Nachfrage nach dienst der Sticker anbelangt, so fann derselbe allerdings über 3 Monate bei denselben verbleiben, bei eventuellen späteren An­unsere Aufträge zu entziehen und Angestellte dieser Häuser, die noch Produkten über das Angebot derselben, in vielen Fällen nicht glänzend genannt werden; sie verdienen 5-6 Frcs. ftellungsgesuchen abzuweisen". aber auch eine Verminderung der Arbeiterzahl, so daß pro Tag, wovon sie aber einen Hilfsarbeiter oder eine Zur Ausführung dieser Beschlüsse wurde ein fünf­deren mehr oder weniger arbeitslos gemacht werden. Was Arbeiterin, verschiedene Materialien und Ratenzahlungen gliedriges Comitee gewählt. Dieses Vorgehen involvirt dem Unternehmer nüßlich, ist auch hier dem Arbeiter oft auf ihre Stickmaschinen zu leisten haben. Man schäßt das einen Boykott in energischster Form und in der That verhängnißvoll. Die heute übliche Ordnung der Produk Lohneinkommen eines Stickers auf 900 Fres.(= 750 hat er soviel genutzt, daß seitdem weitere Firmen dem tion" geschieht also durchaus im Interesse der Unter- Mark), welches bei den bedeutenden Lebensmittel-, Woh- Verbande beigetreten sind. nehmer aber sie bietet doch mitunter manche Vortheile nungs- nnd Kleiderpreisen 2c. sehr, sehr geringfügig ist. Daß aber bei der Herrschaft des Stickerei- Verbandes auch für die Arbeiter. Im Verbande befinden sich drei Klassen: Unternehmer, und seiner sonst anerkennenswerthen Thätigkeit der Sticker, Im Dezember 1884 war es, daß einige Stickerei Fergger( Werkführer, Vermittler) und Sticker( Arbeiter). der Arbeiter doch immer nur ein armer Teufel, ein vom Fabrikanten in Werdenberg   im Kanton St. Gallen   die Die Fergger als Mittelspersonen betrieben ehedem das Elend verfolgter Proletarier bleibt, liegt in unserem kapi­Gründung eines Stickerei- Verbandes in der Schweiz   und Profitmachen von den Arbeitslöhnen so unverschämt, daß talistischen Wirthschafts- System. Die Arbeiter haben aber eventuell darüber hinaus anregten. Diese Idee fand all- der Verband ein eigenes Reglement für sie aufstellen mußte, nun Veranlassung genommen, einen eigenen Fabrik­seitig günstige Aufnahme und so konnte nach mehrfachen das natürlich nicht überschritten werden darf, denn die Sticker- Verband" zu gründen und ist dessen Zentral­Vorbesprechungen und Berathungen im Juni 1885 der Arbeiter sollen gute Kontrolle üben. Für die dem Sticker leitung in Goldau  , Kanton St. Gallen, unablässig thätig, Verband schon ins Leben treten. Fast in allen betheiligten zurückgeschlagenen schadhaften Arbeiten ist vom Verbande denselben in seinem Innern auszubauen. So ist bereits Kreisen wurde der neue Verband mit Freuden begrüßt und eine Verkaufsstelle errichtet, derselbe hat ferner eine Unter- ein zentralisirtes Arbeitsnachweis- Bureau, ähnlich denen man knüpfte daran die weitgehendsten Hoffnungen. Der stüßungskaffe gegründet, ein Schiedsgericht errichtet und der englischen Gewerkschaften, eingerichtet und ebenfalls größte Theil der Sticker trat dem Verbande sogleich bei giebt sein eigenes Verbands- und Fachorgan Die Stickerei das Institut des Schiedsgerichts schon begründet, dessen und so zählt gegenwärtig derselbe mit Einschluß von Industrie" heraus, das in St. Gallen   wöchentlich erscheint. statutarische Bestimmungen ihrer zweckmäßigen Einfachheit Sachsen  , Württemberg, Bayern   und Vorarlberg   nahezu An der Spiße des Verbandes steht ein Central- Comitee, wegen alle Anerkennung verdienen. 22 000 Stickmaschinen. Dieser geradezu überraschende Er- das alle Obliegenheiten des Verbandes regelt. Wie es mit der ökonomischen Lage des Stickers steht, folg kann erst genügend gewürdigt werden, wenn man die Um eine gewisse Einheitlichkeit in der Produktion, darüber lassen wir zum Schlusse diese Arbeiter selbst Verhältnisse in der Stickerei- Industrie etwas näher be- den Arbeitslöhnen und den Waarenpreisen herbeizuführen, sprechen, indem wir die Schlußworte eines im St. Galler  trachtet. reisten zwei Mitglieder des Central- Comitees nach Sachsen  , Stadt- Anzeiger" veröffentlichten Aufrufs zitiren. Es heißt Zu diesem Behufe wollen wir einen Rückblick auf die um daselbst ein gleiches Vorgehen zu veranlassen. Auch da unter anderem: Wie steht es mit den Arbeitern und Entwicklung dieses Gewerbszweiges werfen. Wie in jeder diese Versuche in Sachsen   waren von Erfolg begleitet. ihren Familien? Die Noth und das Elend ist groß, nur anderen Branche ging es auch hier nur stufenweise vor- Die großen vorhandenen Waarenlager sind zum durch vereinte Kraft, durch einträchtiges Vorgehen ist es wärts und datiren die mechanischen Fortschritte in größten Theil erschöpft, so daß der Ueberproduktion mit möglich, den richtigen Weg in kürzester Frist zu finden. derselben nicht weit zurück. So wurde erst im Jahre 1851 Erfolg entgegengewirkt worden ist. Natürlich sind in der Um aber alles zum guten Ziele zu führen, ist die Bethei­eine brauchbare Stickmaschine erfunden und in St. Georgen Folge auch die Preise der Stickereiwaaren gestiegen. Bei ligung aller Arbeiter nothwendig. Säume deshalb kein bei St. Gallen fabrizirt, die indessen seitdem bedeutende vielen Aufträgen wird jedoch die Arbeitszeit verlängert, wo- Sticker( Einzel- oder Fabrikarbeiter), sich der Vereinigung Verbesserungen erfahren hat. Im Jahre 1872 waren der durch allerdings die wohlthätigste Bestrebung des Verbandes anzuschließen, dann ist der Sieg unser. Genossen, reicht artige Maschinen in der Schweiz   im Betriebe 6000, 1882 paralyfirt wird. die Hand zum Bunde In dieser Noth- und Trübsals­deren schon 14 000 und 1884 18 000. In Sachsen   sind Das ist im Wesentlichen die Entwickelungsgeschichte stunde." im Betrieb über 4000, in Vorarlberg   2600, in Frank- und Thätigkeit des schweizerischen Stickerei- Verbandes bis Ueberblicken wir nochmals die gegebenen Ausfüh­reich 1500, in Böhmen   300 und einige weitere Hundert etwa zu Anfang des Jahres 1887. Seitdem ist mancher rungen, so kommen wir also zu folgenden Ergebnissen: in Bayern  , Württemberg, Belgien  , Nordamerika   u. s. w. Fortschritt gemacht worden. Die Anarchie, die Regellosigkeit der Produktion ist Gegenwärtig sind in dieser Industrie, die sich in der Zunächst wurde der Hebel angesezt gegenüber jenen heute eine so große, daß sich selbst den Unternehmern die Schweiz   auf neun Kantone ausdehnt, 40 000 Personen Fabrikanten und Kaufleuten, welche es bis dahin aus Nothwendigkeit einer einheitlicheren Leitung auf­beschäftigt und gehört somit diese Induſtrie mit zu den irgend welchen Sonderinteressen verschmäht hatten, dem drängt. hervorragendsten dieses Landes. Verbande beizutreten. Es war in einer Versammlung am Diese einheitlichere Leitung durch und für die kon­Interessant ist nun zu sehen, wie sich mit der Aus- 26. Juni in St. Gallen  , in der ca. 150 Vertreter von furrirenden Unternehmer kann freilich sehr leicht jeden dehnung dieser Industrie in der Schweiz   die Arbeitslöhne St. Galler   Häusern anwesend waren. In dieser Zusammen- Augenblick durch das Widerstreben gewinnsüchtiger Ein­verringerten. Im Jahre 1872 wurden für 100 Stiche funft wurden die Verhältnisse, wie sie in der Stickerei- zelner wieder zusammenbrechen. Bleibt sie aufrecht erhalten, 52 Centimes(= 41 Bf.), 1884, nachdem in der Zwischen Industrie bestehen, erörtert und die Uebelstände hervor- so erspart sie aber dem Kapital manche Verluste, indem zeit bedeutende Schwankungen stattgefunden, nur noch 26 gehoben, wie sie durch das Fernbleiben einer größeren durch die Beschränkung der Produktion unnüße Kapital­Ets. Lohn gezahlt, also ein Rückgang von vollen 50 pct. Anzahl von Firmen von dem Verbande hervorgerufen anlagen und durch die Regelung des Absages und der Als 1878 das Fabrikgesez in Kraft trat, flüchtete wurden. Hauptsächlich schädigten die fernstehenden Firmen Preise unnüße Reibungen unter den Konkurrenten ver­man sich mit seiner Maschine aus der Fabrik in's Haus, die ganze Stickerei- Industrie dadurch, daß sie unter den mieden werden.

-

-

11

um als Hausindustriearbeiter dem Normalarbeitstage vom Verbande vereinbarten Preisen verkaufen, geringere Für die Arbeiter ergiebt sich aber im allgemeinen zu entfliehen; es wurden jeden Tag 15, 16, 17 Löhne zahlen, die Arbeiter dem Verbande abtrünnig machen nur der Vortheil, daß der wilde Wechsel zwischen Ueber­Stunden gearbeitet. Die ausgedehnte Hausindustrie und das Ansehen des Verbandes im Auslande mit allen arbeit und Arbeitslosigkeit gemildert, die Arbeit eine dieser Schluß ist erlaubt hat den kolossalen Lohnfall Mitteln zu untergraben suchen und das Land mit neuen stetigere wird. Der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit zur Folge gehabt. Diese nunmehr so gesunkenen Arbeits- Maschinen überschwemmen. Eine und zwar die wichtigste bleibt jedoch voll und ganz bestehen, der Lohn überschreitet Löhne weckten die Spekulation und diese rief sodann eine der Nicht- Verbandsfirmen hatte in Vorahnung der Be- daher auch hier die Grenze des nothwendigen Lebensunter­immer wildere Produktions- Anarchie hervor. Diese zu schlüsse, die da gefaßt werden dürften, eine Stunde vor haltes nicht. Ja, die Vereinigung der Unternehmer stärkt stände waren es, welche die Gründung eines zentralisirten Eröffnung der Versammlung kapitulirt und den Eintritt fogar deren Macht und sie fordert daher mindestens als Verbandes wünschenswerth erscheinen ließen, ja nothwendig in den Verband mit sämmtlichen Maschinen, ca. 400, be- Gegengewicht die Bildung starker Organisationen der bingungslos erklärt. Für den Fall, daß diese Firma ihren Arbeiter.

machten.

Sehen wir uns einmal die bisherige Wirksamkeit Verpflichtungen nicht ganz und voll nachkommen sollte, Das Endziel muß aber auch hier bleiben: die dieser Vereinigung an. Der erste und größte Erfolg und wurde beschlossen, ihr eine Conventionalstrafe von 10 000 Fr. die Beherrschung und Regelung der Produktion durch und zugleich ein Erfolg für die Arbeiter bestand in der strengen aufzuerlegen. Gegenüber den anderen Nicht- Verbandsfirmen für die Arbeiter. Dann erſt werden wir zu haltbaren Durchführung der 11stündigen Arbeitszeit, gegenüber wurde das Vorgehen des Verbandes in folgender Resolution Buständen gelangen. dem bis dahin herrschenden Normalarbeitstage von ausgesprochen:

16 Stunden. Ferner wurde der Lohn erhöht von 26

Wir Kauflente von St. Gallen   und Umgegend sind nach An­

auf 28 Gts. pro 100 Stiche. In allen Orten bestellte hörung eines bezüglichen Referats und nach Prüfung der Sachlage nunmehr der Verband Mitglieder als Kontrolleure, welche überzeugt: a) daß die Nichtverbands- Exporthäuser dem Verbande