№o. 2.

Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne".

Ein verschollener deutscher Volksdichter.")

Ich dachte: Büchermacher, Das schreibt euch hinter's Dhr! Dem Bolt gilt als Drakel, Was ihr in Büchern sprecht, Drum sei es ohne Makel, Rein, unverfälscht und echt: Geschichten und Gedichte, Sie seien rein und wahr, Wie echte Schönheit schlichte, Bei stiller Tiefe klar!

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Die ihr dem Volke bringet Kalender, Zeitung, Buch Das Beste, was gelinget, Ist eben gut genug!

B. Sigismund  , Asklepias.

Wer kennt außer in seiner engsten Heimath im Schwarzburger Ländchen, mitten in Thüringen  , sonst den Verfasser obiger volksthümlicher Strophen, Berthold Sigis­

Sonnabend, den 13. August 1887.

Heisa, juchheisa!

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Ein Stromer ich bin! Leicht ist mein Bündel, Noch leichter mein Sinn. Hab' ich kein Kreuzer, So mauſen's mir fein'. Glücklich auf Erden Sind Stromer allein. Schwärmen, fich härmen Um Gruß und um Kuß, Ringlein am Finger Und Ketten am Fuß Profit die Mahlzeit, Das nennet ihr Frei'n? Frei sind auf Erden Die Stromer allein.

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Fröhliches Wandern, Stets bleib' ich dir treu, Neu wird die Gegend, Die Freude wird neu.

Wein oder Wasser

Ein Trunk wird doch mein.

Glücklich auf Erden

Sind Stromer allein!

Handwerksburschenabschied.

( Nach einer alten Weise.) Es und es und es Es ist eine harte Nuß, Daß und daß und daß Jch aus dem Städtchen muß! Was Liebliches kaum hatt' ich dort Mir angeschafft, da mußt ich fort Und muß den Schah verlieren, Marschiren.

Da und da und da

Da liegt das alte Nest. Wohl und wohl und wohl Ist mir's darin gewest.

I. Jahrgang.

,, Er hütet fort nach alter treuer Art, Bewacht das Dorf zur Nacht, und spart und spart.

Sein Ulmer Pfeifchen gräbt im Wald er ein, Es lebt sich wohl auch so, es muß nicht sein!

Er spart und spart, in seiner bunten Truh

Fügt er den Gulden jährlich neue zu.

Und jede Nacht singt er trotz Sturm und Graus Sein Hoffnungsverslein in die Nacht hinaus."-

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In diesem einfachen Bilde ist die Uebermacht des Befißes der Armuth gegenüber beredter geschildert, als es lange Reden vermögen. Aber unser Volksdichter fühlt noch weiter mit dem Arbeiter das Wirken jener Mächte, die den Armen ins Leben hineinstoßen, ihn schuldig machen und dann der Pein überlassen", wie bereits Göthe  so schön gesungen hat. Wenn wirklich alle jene Hinder­nisse überwunden sind, wenn der Proletarier die Erwählte feines Herzens heimgeführt hat und über kurz oder lang kleine Wesen den Eltern aus der Wiege entgegenlachen, dann überkommen unseren Bauerndoktor" gar traurige Gefühle an dieser Wiege:

,, Du armes Proletarierkind, Wie lebensfroh seh' ich dich liegen! Komm, laß mich, wie der Schaukelwind Das Weinlaub wiegt, dein Bettlein wiegen! Wle haschest mit den Händchen klein Du nach dem goldnen Sonnenschein Und strampelft mit den runden Füßen, Die liebe schöne Welt zu grüßen!

Wie lächelst du in's milde Licht Mit deinen Aeugelein, den frommen! Ach, armer Schelm, dir ahnet nicht, Daß du hier ankamst unwillkommen. Dein Vater blickte düster drein, Die Ahne sprach: es muß halt sein! Die Mutter hat dich bangbeklommen, Mit Sorgen an die Brust genommen.

Noch quillt dir füßer Lebenswein So reich wie eines Königs Söhnen, Noch dringt dir in das Dhr hinein Nur sanfter Wiegenlieder Tönen; Noch weißt du nicht, wie arm, blutarm, Du bist sammt der Geschwister Schwarm; Noch meinst du, was die Augen fanden, Das sei für dich, mein Kind, vorhanden. Doch bald wirst du im Felde geh'n Mit deinen nackten rothen Füßen, Und lecker nach den Rüben seh'n, Die dein nicht sind, die zuckersüßen. Der Hunger lockt. D halte Stand! Du stehst an eines Abgrunds Rand, Der Tausende von deines Gleichen Begraben als entstellte Leichen!

Freilich gestaltet sich das Leben wandernder Arbeiter mund? Wohl nur Wenige überhaupt und vermuthlich heut zu Tage so rofig nicht mehr! Es hatte auch damals Keiner aus der Zahl unserer Leser. Er ist also in der schon seine schmerzlichen Seiten, die unser Volksdichter That ein verschollener" Dichter, obwohl manche seiner in seinem bekannteren ,, Handwerksburschenabschied" besingt; Lieder im Volksmund sind. Und doch lebt" fast Reiner wir geben auch dieses Gedicht unverkürzt wieder und unserer zeitgenössischen Boeten so wie unser Volksdichter, werden noch eine ganze Anzahl der schönen Poesien Sigis­der bereits vor nunmehr zwanzig Jahren verblichen ist. mund's im Wortlaute bringen, weil sie eben vorläufig Wenn man nämlich unter leben" bei einem Dichter den so selten sind, daß schwerlich Einer unserer Leser dieselben Zusammenhang mit dem wirklichen Volksleben vollständig kennen wird. versteht. Daß nach dieser Richtung unsere gegenwärtige Dichtkunst in Deutschland   einen wenig erfreulichen Anblick bietet, läßt sich leicht erweisen. Wohl spiegelt sich in ge­wissen Werken unserer modernen" Dichter, wenn diese sich nicht überhaupt vom realen Leben weg in die Roman­tik flüchten, das Haschen und die Jagd nach Glück und Genuß ab, wie es den oberen Zehntausend, jenem Geschlechte, das nach dem Urtheile eines Genossen, nur noch Sinn für das Leerste hat"( Graf Schack), eigen ist. Aber von dem mächtigen Leben, das sich gegenwärtig in den breite­sten Volksschichten regt, von dem ganz eigenthümlichen und neuen Geiste, den die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die großartigen technischen Erfindungen der Neuzeit in den Massen des werkthätigen Volkes erweckt hat und täglich wehr erweckt, davon pulsirt sehr wenig in unserer modernen Poesie". Manfried Wittich hat im vorlegten Jahrgange der Neuen Zeit"( Stuttgart  , Dieß), Arthur Fitger   mit seinen Winternächten" als eine Ausnahme hiervon vorgeführt, einen Dichter, der bei voll­kommener Beherrschung seines Handwerkszeuges auch den Inhalt seiner Zeit, das gegenwärtige Leben, wie es an allen Ecken und Enden mit wirthschaftlichen Fragen ringt, wiederzugeben und künstlerisch zu gestalten versteht. Das selbe gilt aber noch in viel höherem Maße von dem ver­schollenen deutschen Volksdichter, mit dem wir die Leser bekannt machen wollen: denn zu seiner Zeit, in den vier­Hier ist der Zusammenhang zwischen Elend und Ver­ziger und fünfziger Jahren, rangen sich das neue Leben brechen ganz meisterhaft erfaßt und dichterisch verwerthet. und der neue Geist, die gegenwärtig unsere Volksmassen Wir kennen keinen einzigen modernen Dichter, der so in Durch diese Wanderlieder geht, auch wenn sie weh- die Tiefe des Problems eingedrungen und dabei so hoch­fast schon beherrschen, erst aus den Wehen   ihrer Geburt und doch erfaßte und schilderte er sie in hochdichterischer übermüthiger Ton. In den Bildern aus dem Leben für den durch Elend herangereiften Verbrecher, wie sie ja müthig anheben, doch immer bald wieder ein luftiger, poetisch geblieben wäre. Es ist ein hochherziges Plaidoyer Weise. eines Landarztes" kennt jedoch unser Dichter das Volks- die meisten sind, das noch über ähnlichen Stellen aus Was Berthold Sigismund   im Leben war, nachdem er leben auch von seinen ernſteſten Seiten. Er entrollt uns Viktor Hugo's Werken steht. Die liebevolle Beobachtung sich auf vielen Studienreisen draußen in der Welt umge ein lebenswahres Bild vom Familienleben des Arbeiters, der Lage der Hausindustriellen aus dem thüringer   Walde, sehen, das sagt er am schönsten selber in seiner Grabſchrift". den Leiden und Freuden, die ihm ganz besonders eigen des kleinen Bauers, Forstarbeiters und Tagelöhners, die

Hier liegt ein schlichter Bauerndoktor nur,

Der wacker sich geplagt hat Jahre lang,

Jedoch auf keinen grünen Zweig sich schwang Und hinterließ von Schäßen keine Spur. Er nannt' es seine einz'ge große Kur, Als er den Knaben, den der Fluß verschlang, Beim Haare faßt, und aus dem Strudel rang; Sonst ließ er alle Ehre der Natur.

Er war ein simpler treuer Krankenwärter, Der theilnahmsvoll die arme Leute pflegte Und weicher ihre Schmerzenskissen legte.

Sei ihm sein letztes Rubbett denn nicht härter, Als es den schlichten Menschen ist gebreitet, Die er voreinst zur ew'gen Ruh geleitet!

In seinen letzten Lebensjahren machte ihn ein ehren­voller Ruf zum Lehrer der Naturwissenschaften an der Realschule in der Hauptstadt seiner Schwarzburger Heimath; dort wirkte er so segensvoll, daß noch heute sein Andenken bei Allen in hohen Ehren steht. Sein Vaterländchen verdankt ihm eine Heimathskunde, die das wissenschaftliche Muster einer derartigen Monographie genannt werden kann. Seine volksthümlichen Aufsätze in den damals am weitesten verbreiteten Zeitschriften standen unter den besten solcher Arbeiten. Er gab seine Poesien nur in zwei kleinen, längst vergriffenen Bändchen heraus; in: Lieder eines fahrenden Schülers"( Hamburg  , Hoffmann und Campe  , 1853)-und in: Asklepias. Bilder aus dem Leben eines Landarztes"( Leipzig  , Jm. Tr. Wöller, ohne Jahres­zahl, etwas später erschienen). Sigismund's letter Wirkungs­ort hat ihm ein schlichtes Denkmal in der Nähe der Stadt errichtet.

Das Verständniß für das echte, rechte Volksleben, das er aus dem einfachen väterlichen Hause mitbrachte, scheint Berthold Sigismund   ganz und voll auf den Wander­zügen seiner Jugend aufgegangen zu sein. Da mischt er fich unter die wandernden Arbeiter und singt ein Stromerlied":

Die Woche wurde brav geschanzt, Doch jeden Sonntag flott getanzt, Wir waren meiner Seele Fidele.

So und so und so So geht es in der Welt. Fort und fort und fort

Bom Ort, wo's uns gefällt.

Und ist kein Nest so schlecht und klein, Warst du ein Wochener viere drein, Da dünket dich das Scheiden Ein Leiden.

Nun und nun und nun Leb' wohl mein Bruderherz! Es und es und es

Giebt Meister allerwärts, Dazu auch Meisters Töchterlein, Und eines, gut Bier oder Wein, Will alles mir probiren. Marschiren.

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Schon bangt dem Schulzen vor dem Haus Des Armen mit den vielen Kleinen,

Bald stößt als Diebespack dich aus

Die Jugend aus den Spielvereinen.

Du lernst sie hassen, die da reich,

Das Fauftrecht gilt, drum Streich für Streich! Bis sie dich wie ein Raubthier hetzen

Und hinter Schloß und Riegel setzen."

sind. Damals bestand noch das grausame ,, Heimathsrecht", in seinem Thätigkeitsbezirke wohnten und mit denen er das armen Liebenden aus zweierlei Ortschaften unmöglich nicht selten aus einer Schüssel, führten unseren Volks­machte, sich zu heirathen, weil der Bräutigam sich mit dichter zu solch' klarer und freilich trauriger Erkenntnis einer erheblichen Summe in dem fremden Ort ,, einkaufen" des Volkslebens. Im Weiterverlaufe seines Gedichtes er­mußte eine Vorschrift, mit der sich die Gemeinden die hofft Sigismund für das Proletarierkind eine bessere und Armenlast Fremder vom Halse halten wollten. Welche schönere Zukunft über dem Meere, in Amerika  ; dahin Schranken dieses Heimathsrecht" für den Besißlosen aufweisen auch noch einige andere seiner Gedichte: richtete und wie es ihm sogar oft unmöglich machte,

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die Erwählte seines Herzens heimzuführen, das besingt Sigismund rührend in folgendem Gedichte:

,, Es war ein Hirt, so brav und treu, wie nur Seit David's Zeit geweidet auf der Flur. Wenn er am Tag die Heerden treu bewacht, Behütet er das Dorf in finstrer Nacht. Zu Ehren liebt er lange treu und rein Bom Nachbardorf das Hirtentöchterlein.

Der Schulze sprach: Du bist ein guter Knecht, Allein zum Freien kriegst du nicht das Recht. Wir nehmen keine armen Fremden ein. Einstimmig sagte die Gemeinde Nein." Den braunen Hut in braunen Händen dreht Der arme Hirt und bittet und er fleht. ,, Gespart hast du? An Fünfzig? Brav und flug, Allein zum Einkauf lange nicht genug."

Und traurig schleicht auf's Feld der braune Mann, Fühlt nicht die Thräne, die dem Aug entrann. Er setzt sich schweigend auf den gras'gen Rain, Wo unterm Schlehndorn ragt der Schwedenstein.

,, Hartherzig Volt! Der Mammon ist ihr Gott, Der Armen Lieb' ist ihnen nur ein Spott. Sie brüsten sich mit dem, was sie geerbt; Jhr, die ihr nichts erbt, lebet oder sterbt!"

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Haben diese Worte nicht noch heute oft ihre fürchter­Der arme Hirt aber baut auf die *) Dieser Aufsatz von Dr. Duard wurde ursprünglich in den liche Berechtigung? Treue seiner Lore: Wiener   ,, Deutschen Worten" veröffentlicht.

Und doch, mein Deutschland  , mußt du's tragen; Die Sonne wandert abendwärts; Der Herr der Welt in unsern Tagen Schmelzt dort ein neu korinthisch Erz. Ein neues Volk soll dorten werden, Der Weltherr will ein neu Gemisch, Und einen neuen Theil der Erden Erobert er sich kühn und frisch.

Unser Dichter, getäuscht von dem augenblicklichen Erfolge auch gar vieler ausgewanderter thüringer   Wäldler in dem jungfräulichen Lande, erhoffte von der großen Republik über dem Meere, deren Freiheiten ihn mit Be= geisterung erfüllten, das Glück für alle Elenden und Ver­triebenen der alten Welt. Es ging ihm so wie dem alten Jacobi, Kinkel u. A., denen er in Gesinnung und Freund­schaft nahe stand. Er wäre aber, so wenig wie jene Veteranen des alten, echten Liberalismus, bei diesem Glauben stehen geblieben, hätte er es, wie wir, erleben können, daß auch die amerikanische   Republik   trotz aller bürgerlichen Freiheiten ihre Arbeiter- und Proletarierfrage bekommen hat, nur etwas später, als die alte Welt. Er hätte dann ebenfalls eingesehen, daß nicht bürgerliche Freiheiten sondern nur volksthümliche Wirthschaftsreformen all' das moderne Volkselend lindern können. Daß er dies bereits ahnte, wird das Gedicht belegen, welches wir an letzter Stelle wiedergeben wollen.

Sigismund weiß die volle Kinderstube des Arbeiters aber auch von der gemüthlichen, humoristischen Seite zu betrachte. Einem kindergesegneten Arbeiterpaare ruft er fröhlich zu: