Neiölatt zur„Berliner Uolts-Hrieune". M 8 Sonnabend, den 24. September 1887. I. Jahrgang. Zwei böhmische Erzählungen von Jan Nernda.*) 1.) Franz. Bis heute lebt in meinem Gedächtniß Franz der Violinspieler und gewiß auch noch im Andenken bei so manchem von der Prager Kleinseite. Wenn ich bemerke, daß seine Erscheinung sich ungefähr aus dem Grunde meinem Gedächtniß eingeprägt hat, aus welchem man eine wohlgelungene Karrikatur nicht vergißt — daß Franz mir nicht zürnt, deß bin ich sicher. Hat dann der Leser schon einmal das Titelbild des englischen „Punch" gesehen, so erläßt er mir jede Beschreibung. Dasielbc Gesicht, dieselben scharf geschnittenen, durch ihre Eigenheit sprechenden Züge! Nun war jedoch Franz klein, sehr klein. Sein geröthetes Näschen war dünn und durch- scheinend, der Mund zeigte Ermattung statt Hohn, und aus dem blauen Auge sprühte nicht Witz noch Laune, wohl athmete es aber eine Bitte— die ergreifendste Bitte, welche ich jemals in einem matten, alten Auge gelesen. Auf dem grauen Haupte balanzirte er ein grünes abgetragenes Käppi, dessen kleiner Deckel steif, aber schon entzweigebrochen war. Diese Art von Kopfbedeckung bekommen wir heut- zurage nur bei den kleinsten Dorfkindern zu sehen. Das schäbige grüne Fräckchen mit dem abgewetzten Sammt- kragen trug krummgebogenc, schadhafte Kupferknöpfe. Die Beinkleider waren dünn, an den Knieen stark mitgenommen. Und zu all' dem Elend gesellte sich noch das Krüppelhafte — Franz hatte einen Buckel. Wiewohl sein Aeußeres eigenartig, ja wunderlich war, wagten wir Kinder doch niemals, ihn zu verspotten, ja wir hegten eine gewisse Furcht vor ihm. Franz hatte einen kurzen Athem und hustete stark. Wenu er, um nach seiner hochgelegenen Wohnung im Hohlweg zu gelangen, schleppenden Ganges die steile Anhöhe heranklomm, ruhte er, mit dem Rücken sich gegen die Mauer lehnend und die runzeligen Hände ans die Kniee stützend, bei jedem zwölften Schritte aus. Da machten wir denn lieber einen Umweg, um nur nicht hart an ihm vorbei zu müssen, und schickte Mutter mich gelegentlich, Franzen einen Kreuzer zu geben, so reichte ich ihm denselben mit zitternder Hand und angehaltenem Athem. Desgleichen nahmen sich von den Erwachsenen nur wenige heraus, mit ihm Scherz und Spott zu treiben, bloß die Holzspalter von der Gasse pflegten ihn: nachzurufen:„Sieh mal einer her, wir im vollen Dampf— und Franz geradewegs aus der Schenke!" Zu jener Zeit pflegte mein Vater hin und wieder in der„Glaubitz"-Restauration auf ein Krügel einzukehren. Es kamen daselbst hauptsächlich alte Artilleristen, seine ehemaligen Kriegskameraden, zusammen. Dahin nahm er mich wohl öfters mit. Das Salzstangcl in der Hand, saß ich mäuschenstill neben ihm, lauschend den Geschichten, welche sie sich schon an die zwanzig Mal erzählt hatten. Eines Tages trafen wir dort Franz. Inmitten einer ausgelassenen, lärmenden und johlenden Gesellschaft spielte er auf seiner abgenutzten Geige Lieder und Stücke nach Begehr. Ich weiß noch, wie mich der traurige Franz mit seinen heiteren Stückchen zum Weinen brachte; wie so es kam, wußte ich nicht. Die Schenke war voller Rauch und Tabaksqualm und Gepolter und Lärm. Ä#% Auf einmal erhoben sich einige der Ausgelassensten am Tisch, faßten Franzens Stuhl und hoben Stuhl und Franz auf den Tisch empor. Allgemeines Jauchzen begrüßte den in der Höhe Hin- und Herschwankcnden. Franz wußte bereits, was seines Amtes war. Er kratzte Tusch und johlte auf. Sein „Jchuchn!" glich eher einem wehen Aufschrei, denn einer Aufforderung zur Fröhlichkeit. Solche Unterschiede werden jedoch von den Menschen nicht erfaßt. „Bist du ein Kerl!" bemerkte unter heiterem Lachen der Holzspalter Struad.„Da sag' mal ein Mensch, daß er sich nicht ausnimmt auf dem Tisch wie die Kreuzersemmel auf dem Ladenbrett!" Gelächter begrüßte diese Standrede. Franz kratzte aber- mals Tusch und johlte abermals auf. Ein schrecklicher Husten unterbrach jedoch sein„Jchuchu". Nur zu! Das giebt dir ohnehin den Rest! Bald giebt's eine Wittwe mehr... Sag' mal, was ist dir in den Schädel gefahren, so ein Riesenweib zu nehmen?" „Na— nun," antwortete Franz weiter hustend,„dachte halt... wenn sie zuthut... was mir fehlt... werden wir doch zwei ganze Leute abgeben..." „Wie oft kriegst du von ihr Schläge?" Immer vom Husten geschüttelt, hört Franz nicht, was man redet. „Was sagtest du?" „Ob du nie von ihr Prügel kriegst?" *> I un Ncruda, anfangs vielfach unterschätzt und wegen mancher Sonderbarleiten verspottet, gilt jetzt in Böhmen als der hervorragendste Poet. Jedenfalls hat er der böhmischen Poesie, die vielfach in falscher Romantik und in öder Verherrlichung der großen böhmischen Vorzeit aufging, neue Stoffe und neue Formen zugeführt. Zwei Sammlungen kleinerer Erzählungen fiudet unser Leser in Reclams Bibliothek(„Genrebilder",„Kleinseimer Geschichten"). Der dichte Qualm, in der Höhe noch dichter, erlaubt es Franzen nicht, zusammenhängend zu reden. Der Athem wird ihm noch kürzer, zuweilen, wenn er ein Wort ansetzt, geht er ihm gänzlich aus. „O doch— manchmal! Meistens am Donnerstag und Freitag, wenn von euch, Schufte, kein Geld mehr zu holen ist... Unter fünfundzwanzig Groschen darf ich nicht heim... Hab' ich weniger, so tupf ich ganz sachte auf die Hausthür... Das Weib keunt's schon und läßt mich eine Stunde warten... Den Tag darauf bekomm' ich nur Brot zu Gesicht, und weil ich mich grämen thät bei trockenem Brot, bestreicht sie mir den Rücken... Hab' ich aber fünfundzwanzig Groschen oder gar einen Thaler, dann klopf' ich mit dem Absatz und fluche, bis sie mir aufmacht. Dann haben wir Schweinebraten mit Knödeln und Kraut... Jchu..." Er wollte den Bogen ansetzen, aber ein starker schmerz- licher Husten, der eine eigenthümliche Begleitung zum lauten Gelächter rundum bildet, packt ihn so fest, daß ihm die Hände niedersinken, und die Geige zu Boden fällt. Wäre Struad nicht herbeigesprungen, Franz wäre dem Instrument nachgestürzt. „Schlecht ist ihm— dem Mordskerl... Herr Wirth, ein Gläschen Wachholder!... Und hebt ihm die Scherben auf, Herr Nachbar dort bringt sie ihm auf den alten Fleck... Franz, geh' heim, klopf' mit dem Absatz und schlaf' dich aus!" Schlürfend schleicht Franz hinaus. Im Hausflur umweht ihn die kalte Winterluft. Er hält inne, die Hände sinken ihm auf die Kniee herab, Franz spricht zu sich selber: „... Und war mir doch immer, als thät mich was heimlocken..." Er trat ins Freie unter die Laube. Ueber die Gassen wirbelt Schnee, als wollten sich alle Wolken mit einander auf die Erde lagern. Ein starker Sturmwind treibt, pfei- send und ächzend, Schneemassen vor sich und um die Pfeiler herum unter die Lauben, wodurch das Pflaster hier wie gestreift aussieht. Zusammengcduckt und gebeugt, die Hände auf die Kniee gestützt, bewegt sich Franz langsam vorwärts. Bald traut er sich gar nicht aus dem Bereiche der Laube hinaus. Vor dem Sturm, welcher Schneewolken über den Niklasplatz jagt, hat er eben seine Furcht, denn er ist um weniges schwerer und stärker als irgend eins von den kleinen Schnee- sternlein. Das hilft aber nichts. „Ist mir in einem fort, als thät mich was nach Hause rufen... Muß halt wacker auftreten..." So lispelnd tritt er endlich ins Freie. Der Wind kommt mit aller Wucht dahergefegt und schleudert ihm Schnee ins Gesicht. Das beengt ihm den Athem, er tappt um sich nach einer Stütze— abermals ein Windstoß— und wie eine leichte Feder taumelt der Unglückliche zurück und stürzt zur Erde. Nun währte es aber geraume Weile, bis er sich wieder auftafftc. „... Muß— muß nach Hause... ich müßte sterben vor Angst," murmelte er wieder, um sich Courage ein- zuflössen. Lange, gar lange klomm Franz die Spomgasse hinaus. Beinahe an jedem Haus und an jeder Ecke machte er Halt, um zu rasten. Endlich gelangte er zu seinem Quartier, kaum noch mit so viel Kraft, um die Klinke zu rütteln. Sein Fuß glitt an der Schwelle aus, und er blieb ohn- mächtig im Schnee liegen. Einige Augenblicke war es stille. Dann wurden Schritte hörbar, und die Thür ging auf. Ein starkes, großes Weib erschien auf der Schwelle. „Herrje!... Du mein bester Franz— was fehlt dir?" Hastig springt sie hinzu und hebt das Männchen, als wär's ein Kind, vom Boden auf. „Wie steht's um Marie?" „Schön... schön!" spricht sie und trägt ihn auf den Händen ins Haus hinein. „Nur stille... sie soll nicht erschrecken," lispelt Franz an der Thür seiner Wohnung.' Das Weib setzt ihn wortlos auf einen Stuhl am Tisch ab. „Hat sie'neu Schlaf?"— Und Franz unterdrückte gewaltsam den aussteigenden Husten. „Ja. Ja. Sie schläft!"— Das Weib antwortet mit gedämpfter, zitternder Stimme und kniet neben dem Strohsack auf der Erde nieder. Das matte Licht des Oellämpchens beleuchtet ein armes Lager und auf demselben die unansehnliche Gestalt eines etwa zehnjährigen Mädchens. Das rabenschwarze Haar wallt unordentlich herab, wie es bei Leuten, die lange ans Lager gebannt gewesen, zu sein pflegt, und beschattet ein schmales, abgemagertes, wie durch Auszehrung abgehärmtes Antlitz. Die Augen sind geschlossen und mit bläulichen Lidern bedeckt. Die Hände des Mädchens sind wie zum Beten gefaltet. „Wie steht's um das Kind? Mich trieb's immer heim... Hab' mich beeilt so viel ich konnte... Ob die Arme nicht wie ein Englein daliegt? Na, laß das Weinen, Alte, bringe ja Geld für Medizin." „Die braucht keine Medizin mehr!" Das Weib kann sich nicht mehr des Weinens erwehren und wirft sich schluchzend auf's Mädchen. „Todt?" Franz fährt mit einem gellenden Schrei auf und tau- melt vom Stuhl zur Erde. Es scheint, er will sich von der schrecklichen Wahrheit selbst überzeugen— schon nach dem ersten Schritt stürzt er wieder ohnmächtig zu Boden.— Tags darauf zogen wir Kinder in den Hohlweg. Man hatte uns gesagt, Franz läge auf dem Brett. Wir hatten Furcht, aber zogen doch hin. Das Zimmer war angefüllt mit Mitleidigen und Neu- gierigen. Neben dem weinenden Weibe stand der Holz- spalter Struad. Geraume Zeit blickte er unverwandt auf die beiden neben einander liegenden Leichname. „Ob er da nicht wie eine Semmel auf dem Ladenbrett liegt!" stieß er endlich hervor.„Jetzt bleibt mir nichts übrig, ich trag' sie beide auf einmal—". Die Stimme versagte ihm, er wandte sich ab und wischte sich Thränen vom Antlitz. ... Das blasse Kind hatte den müden Franz gemfen, weiter und weiter... zu sich gerufen. kS.)>Wie sich Herr Adler seine Meerschaumpfeife 'angeraucht hat.?� D Am 16. Februar 1840 und noch einige Jahre eröff- nete Herr Adler sein Greislereigeschäft„zum grünen Engel." —„Du Poldi, hörst," sagte die Frau Hauptmännin im Stockwerke oberhalb unserer Wohnung zu ihrer Tochter, „die Graupen kaufe bei dem Neuen, wir wollen es ver- suchen."j Mancher Leichtsinnige wird sich vielleicht denken, daß zur Eröffnung einer Greislerei kein besonderer Muth ge- hört. Aber diesen möchte ich zurufen:„Ihr Thoren!" oder ich würde bloß mit den Achseln zucken und nichts sagen. Wenn damals ein Auswärtiger zwanzig Jahre nicht in Prag gewesen war, so fand er nach Ablauf dieser Zeit, wenn er durch das Strahover Thor bis in die Sporner- gasse kam, den Kaufmann an derselben Ecke, den Bäcker unter demselben Schilde und den Greisler in demselben Hause wie früher. Damals hatte alles seinen bestimmten Ort, und die Eröffnung einer Greislerei an der Stelle, wo früher z. B. ein Kauftnannsgeschäst bestanden hatte, würde Jedermann für so dumm angesehen haben, daß sich das Niemand auch nur hätte denken können. Das Geschäft vererbte der Vater auf den Sohn, und wenn es einmal an einen aus Prag oder vom Lande Eingewanderten über- ging, blickten ihn die Eingeborenen nicht mit allzufremden Augen an, denn er unterwarf sich ihrer gewohnten Ordnung und verwirrte sie nicht durch Neuerungen. Aber dieser Herr Adler war nicht nur ein ganz fremder Mensch, son- dern eröffnete auch eine Greislerei in dem Hause„Zum grünen Engel," wo zeitlebens kein Kaufladen gewesen war, weßhalb auch gegen die Gasse eine Mauer durchbrochen werden mußte! Dort war stets ein Bogenfenster gewesen und unter demselben saß von früh bis Abend die Frau Stanek, mit dem Gebetbuch in der Hand, und einem grünen Lichtschirm über den Augen; Jeder, der vorbeiging, konnte sie sehen. Vor einem viertel Jahre hatte man die alte Wittwe nach Koschirsch hinausgeführt, und jetzt — wozu nur dieser Laden! In der Spornergasse bestand schon eine Greislerei, freilich ganz unten, aber wozu eine zweite? Damals hatten die Leute noch Geld und kauften sich größere Vorräthe direkt in der Mühle. Vielleicht dachte sich Herr Adler:„Es wird schon gehen!" Viel- leicht war er auch eitel und dachte sich, daß die Köchinnen schon kommen würden, denn er war ein junger, hübscher Mann, mit rundem Gesicht, träumerisch blauen Augen, schlank wie eine Jungfrau, und dazu ledig. Doch das sind lauter wunderliche Sachen. Es war ungefähr ein Bierteljahr, daß Herr Adler in die Spornergasse eingezogen war; er kam vom Lande her. Sie wußten von ihm weiter nichts, als daß er der Sohn eines Müllers sei; bereitwilligst hätte er ihnen mehr mit- getheilt, wenn sie ihn nur gefragt hätten. Sie zeigten ihm aber allen Stolz der Erbgesessenen, er war ihnen fremd. Stets saß er Abends im„Gelben Hause" bei einem Kruge Bier, an einer Tischecke neben dem Ofen, ganz allein. Die Uebrigen beachteten ihn gar nicht, höchstens daß sie mit dem Kopfe nickten, wenn er sie grüßte. Wer später kam als er, blickte ihn an, als säße er hier zum ersten Male; kam er später, dann geschah es, daß die Unterhaltung ins Stocken gericth. Ja, nicht einmal gestern hatten sie ihn beachtet, und doch war eine so herzliche- Feier abgehalten worden. Der Postbeamte Herr Jarmark feierte seine gol- dene Hochzeit. Herr Jarmark war freilich bis jetzt nur ein alter Junggeselle, aber gerade am 15. Februar waren es fünszig Jahre, wo er sich verheirathet hätte. Seine Braut starb ihm aber an dem Tage vor der Trauung und Herr Jarmark dachte dann weiter an keine Heirath mehr, blieb seiner Braut treu und meinte es mit der Feier der goldenen Hochzeit ganz ernst. Auch die übrigen Nach- barn, lauter gute Leute, sahen darin nichts Außergewöhn- liches, und als dann zum Schlüsse des gewöhnlichen Trunkes Herr Jarmark drei Flaschen Melniker Weines zum Besten gab, tranken sie einander freundlich zu. Die Gläser machten die Runde— die Gastwirthin hatte bloß zwei Weingläser in ihrem Vorrathe— aber keines kam bis zum Herrn Adler. Und doch hatte Herr Adler heute eine neue, mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife mit
Ausgabe
1 (24.9.1887) 8
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