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Beiblatt zur" Berliner Volks- Tribüne".

[ Nachdruck verboten.]

Ein Märchen.

Von Olive Schreiner .

Aus dem Englischen übersetzt von K. 3.

Sonnabend, den 26. November 1887.

dem Marktplatz schreit: Belohnung nach dem Tode! Belohnung nach dem Tode!"

Und der Jäger sprach:

,, Du bist zwar nicht so schön, wie die anderen, aber schön bist Du doch," und so behielt er ihn.

Und andere und andere kamen, mit glänzend gefärbtem Gefieder, und sie sangen süße Weisen, bis die Körner ein Ende nahmen.

Und der Jäger brachte all' die Vögel zusammen, baute einen starken eisernen Käfig, neuer Glaube genannt, und sperrte die Vögel hinein.

Da strömte das Volk herzu, tanzte und sang. Oh, Du glücklicher Jäger," rief die Menge, Oh, Du wunderbarer Mann! Oh, herrliche Vögel! Oh, die süßen Weisen!"

I. Jahrgang.

Einen nach dem anderen der schönschillernden Vögel ließ er fliegen. Aber als die Reihe an den dunkelgefieder­ten Vogel kam, hielt er ihn zurück, er blickte in seine herr­lichen Augen, und der Vogel stieß seinen leisen, tiefen Schrei aus: Unsterblichkeit!"

Und der Jäger sagte schnell:

,, Von ihm kann ich mich nicht trennen. Er ist nicht schwer, er braucht keine Nahrung. Ich verberge ihn an meiner Brust, ich nehme ihn mit mir." Und er verbarg ihn an seiner Brust und verdeckte ihn mit seinem Mantel.

Aber der verborgene Vogel wurde schwerer, schwerer und schwerer, bis er endlich wie Blei auf seiner Brust lastete. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Unmöglich, das Thal mit ihm zu verlassen. Da zog er ihn hervor und schaute ihn an.

,, Oh, mein Kleinod, mein Herzensliebling," rief er aus, so soll ich Dich nicht behalten!"

Traurig öffnete er die Hand.

Es war einmal ein Thal, in dem ein Jäger lebte. Tag aus, Tag ein zog er in den Wald, um wildes Ge­flügel zu jagen, und einmal begab es sich, daß er an das Ufer eines großen Sees tam. Während er im Schilfe stehend das Nahen der Vögel erwartete, fiel ein großer Schatten über ihn und er bemerkte, daß sich Etwas im Wasser spiegelte. Der Jäger schaute zum Himmel auf, aber das Etwas, das sich gespiegelt hatte, war verschwun­Und Niemand frug, von woher die Vögel kamen, den. Da kam ein brennendes Verlangen über ihn, noch einmal im Wasser jenes Spiegelbild zu schauen, und er noch, wie sie eingefangen worden waren; aber man tanzte wartete und wartete den ganzen Tag. Die Nacht brach und sang vor ihnen. Und auch der Jäger war froh, ,, Geh," sprach er; ,, vielleicht ist in dem Lied der Wahr­herein und es war nicht wieder erschienen. Mit leerer denn er sagte sich: ,, Gewiß, die Wahrheit muß unter ihnen sein. Mit heit ein Ton, der dem deinen gleicht; aber ich werde ihn Jagdtasche, traurig und still, ging er nach Hause. Seine Kameraden traten zu ihm und frugen nach dem Grund, der Zeit wird sie sich mausern, und ich werde sie dann nie hören." Traurig öffnete er die Hand, und der Vogel flog aber er antwortete nichts; er setzte sich abseits und brütete in schneeweißer Reinheit schauen." Aber die Zeit verging, das Volk tanzte und sang für immer davon. vor sich hin. Da gesellte sich sein Freund zu ihm und Darauf löfte er den Faden seiner Wünsche vom noch immer, aber dem Jäger ward's schwer ums Herz. diesem theilte er sich mit. ,, Heut habe ich gesehen," sagte er ,,, was meine Augen Er verbarg sich abseits, wie früher, um zu weinen; der Weberschiff der Fantasie und warf ihn fort. Das leere nie zuvor geschaut einen großen weißen Vogel, der mit verzehrende Wunsch loderte wieder in seiner Brust. Eines Schiffchen steckte er in seine Brust, denn der Faden war ausgebreiteten filbernen Schwingen im ewigen Blau segelte. Tages, als er einsam weinte, begab es sich, daß ihm wohl in diesem Thal gesponnen, aber das Schiffchen Er erzählte dem Greis, was er stammte aus einem fremden Land. Und nun ist's mir, als ob ein großes Feuer in meiner Weisheit begegnete. Schon war er bereit zu gehen, da kam das Volk Brust brennte. Es war nur ein Schein, ein Schimmer, Und Weisheit lächelte traurig vor sich hin. und stürzte unter wildem Geschrei auf ihn los. ein Spiegelbild im Wasser, und doch wünsche ich auf ,, Viele, sagte er, haben der Wahrheit das nämliche Erden nichts mehr als den Vogel." Nez gestellt, aber sie haben sie nie gefangen. Sie wird sich nie mit den Körnern der Leichtgläubigkeit nähren, das Netz Luft dieses Thals kann sie unmöglich athmen. Die von der Wünsche kann ihren Fuß nicht fesseln, und die Dir eingefangenen Vögel gehören zur Brut der Lüge. Sie sind herrlich und schön, aber doch nur Lug und Trug; die Wahrheit kennt sie nicht."

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Sein Freund lachte.

Es war nur ein Sonnenstrahl, der über das Wasser hinspielte, oder der Schatten Deines eignen Hauptes. Morgen wirst Du Alles vergessen haben," sagte er.

Aber das Morgen, und wiederum Morgen und zum dritten Mal Morgen kam, und der Jäger ging noch immer allein. Er suchte in Feld und Wald, am See und in den Uferbinsen, er konnte den Vogel nicht finden. Er schoß kein wildes Geflügel mehr, welchen Werth hatte es

für ihn?

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Was fehlt ihm?" frugen seine Kameraden. ,, Er ist verrückt," sagte der Eine.

Nein," sagte ein Anderer, er ist mehr als als das: er möchte sehen, was Keiner von uns geschaut, und sich dann als Wunder hinstellen."

,, kommt, laßt uns seine Gesellschaft streng meiden," sagten Alle. So irrte der Jäger allein umher.

Als er eines Nachts wehen Herzens und weinend durch das Dunkel wanderte, stand ein Greis vor ihm, der größer und stärker war, als Menschenkinder sind.

,, Wer bist Du?" frug der Jäger.

" Ich bin Weisheit," antwortete der Alte, aber etliche Leute nannten mich auch Erkenntniß. Ich bin in diesem Thal aufgewachsen und habe mein ganzes Leben hier verbracht, aber Niemand sieht mich, bis er nicht schweres Leid getragen. Die Augen, die mich sehen sollen, müssen viel Thränen vergossen haben; und je mehr Je­mand gelitten hat, desto mehr spreche ich."

Und der Jäger rief:

Du, der Du so lang hier lebst, sage mir, was

Hauptes." Der Greis lächelte.

gethan.

Und der Jäger schrie in bitterem Schmerz auf: ,, So soll ich also die Hände ruhig in den Schoß legen und mich von der in mir lodernden Gluth verzehren

lassen?"

,, Narr, Hund, Wahnwißiger," schrie es um ihn. Wie kannst Du wagen, Deinen Käfig zu zertrümmern und die Vögel fliegen zu lassen?"

Der Jäger sprach, aber Niemand wollte ihn hören. Wahrheit! Was ist das? Kannst Du sie essen? Kannst Du sie trinken? Wer hat sie je gesehen? Deine Vögel waren Wirklichkeit; wir alle konnten ihrem Gesange lauschen. Dh, Du Narr! Gemeines Reptil! Du Atheist!" so schrie die Menge ,,, Du verunreinigst die Luft." ,, kommt, laßt uns Steine nehmen und ihn steinigen," riefen" Ginige.

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Was geht das uns an?" sagten Andere. Laßt Und der Greis sprach: den. Dummkopf laufen", damit gingen sie ihres Weges. Höre, weil Du viel gelitten und viel Thränen ver- Aber der Haufen sammelte Steine und Koth und bewarf gossen hast, will ich Dir sagen, was ich weiß. Wer die den Jäger damit. Als er schließlich über und über mit Wahrheit suchen will, muß dieses Thal des Aberglaubens Beulen und Wunden bedeckt war, konnte sich der Jäger für immer meiden und darf auch nicht soviel wie einen in den Wald schleppen. Und es ward Nacht um ihn. Faden aus ihm forttragen. Allein muß er in das Land Er wanderte weiter und weiter, und die Schatten der absoluten Negation und des Zweifels hinab- wurden immer tiefer. Er war an der Grenze des Landes, ſteigen; dort muß er sich aufhalten; er muß der Versuchung wurden immer tiefer. Er war an der Grenze des Landes, widerstehen. Wenn der Tag anbricht, muß er sich auf in dem ewige Nacht herrscht. Er überschritt sie, und er machen und der Morgendämmerung in das Land des talten Sonnenscheins folgen. Die Berge der öden Wirk­lichkeit werden sich ihm entgegen thürmen, er muß an ihnen emporklimmen; jenseits von ihnen ist die Wahrheit." ,, Und er wird sie fassen! er wird sie fest in dieser seiner" Hand halten," rief der Jäger aus.

Weisheit schüttelte das Haupt.

Er wird sie nie sehen, nie halten; die Zeit ist noch nicht gekommen."

sah kein Licht. Mit den Händen taſtete er sich vorwärts, aber jeder Zweig, den er berührte, knickte ab, und der Boden war mit Asche bedeckt. Bei jedem Schritt sank Boden war mit Asche bedeckt. sein Fuß tief in den Grund, eine leichte Wolke der feinsten Asche flog um sein Gesicht, und es war dunkel um ihn. Da sezte er sich auf einen Stein, vergrub das Antlig in seine Hände und wartete, daß es im Lande der Negation und des Zweifels tagen sollte. Und in seinem Herzen ward's gleichfalls Nacht. Von den Sümpfen zu seiner Rechten und Linken ,, So ist also keine Hoffnung, keine?" rief der Jäger. ,, Höre weiter," sagte Weisheit, etliche sind an jenen wallten kalte Nebel empor und lagerten sich um ihn. das für ein großer wilder Vogel ist, den ich die blauen Felsen emporgeklettert; in Fuß für Fuß des nackten Ge- Ein feiner, unsichtbarer Regen sprühte in der Dunkelheit und Er­daß es ein Traum war, der Schatten meines eignen jenen hohen Regionen wanderten, haben das Glück gehabt, starren schlich durch alle seine Glieder. Als er aufschaute, Lüfte durchsegeln sah? Sie möchten mich glauben machen, ſteins haben sie Stufen eingehauen; und einige, die in herab, und große Tropfen sammelten sich auf seinem Boden den Schwingen der Wahrheit niedergeflattert ist." Und es tamen zwei lustige Irrlichter auf ihn zugetanzt. Er hob wird sich begeben," ſagte der Greis, mit prophetischem Ton das Haupt, um sie besser zu sehen. Sie kamen näher und Geberde nach dem Himmel deutend, es wird sich be- und näher. Warm, glänzend, wie feurige Sterne tanzten geben, daß wenn genug der silbernen Federn von Men- fie einher. Endlich standen sie vor ihm. Aus der Mitte schenhänden gesammelt und zu einem Seil gewoben sind, der Flammenstrahlen des einen Irrlichtes lauschte ein und aus dem Seil ein Netz geknüpft ist, daß in diesem Frauenantlig hervor, ein lächelndes Frauenantlig, mit Net die Wahrheit gefangen werden kann. Nur Wahr- Grübchen und wallenden goldenen Locken. In der Mitte des Anderen zeigten sich heiter lachende Blasen, die den heit kann die Wahrheit halten." Perlen im Glase Wein glichen. Sie tanzten vor ihm. Wer seid Ihr?" frug der Jäger; ,, wer allein sucht Da nahm der Jäger aus seiner Brust das Weber­Wisse, wer dieses Thal verläßt, kehrt nie dahin mich in Einsamkeit und Dunkel auf?" Wir sind das Zwillingspaar Sinnlichkeit," riefen schiff der Fantasie und wand den Faden seiner Wün­sche darauf; dann saß er die ganze Nacht und wob zurück. Und wenn er gleich an seiner Schwelle sieben Tage und Nächte lang Blut weinen sollte, könnte sein sie ihm zu. Unser Vater heißt Menschliche Natur" und Als der Morgen graute, breitete er das goldene Fuß dieselbe nie wieder überschreiten. Das Thal verlassen, unsere Mutter nennt sich Ausschweifung. Wir sind so Nez am Boden aus und warf ein paar Körnchen Leicht- heißt es für immer verlassen. Der Weg, den Du wan- alt wie Berg und Fluß, so alt wie der erste Mensch, aber gläubigkeit hinein, die ihm seine Väter vererbt hatten, bern willst, bietet keine Entschädigung, keinen Lohn. Wer wir sterben nie," lachten sie. und die er in seiner Brusttasche trug. Sie glichen den ihn wählt, geht freiwillig, von der heißen Liebe getrieben, weißen Bofisten, und wenn man auf sie trat, so flog ein die in ihm wohnt. Das Werk selbst ist sein Lohn." feiner brauner Staub empor. Darauf setzte er sich neben

den

" Der Name des Vogels ist Wahrheit. Wer sie je geschaut, um dessen Ruhe ist es geschehen. Bis an Tod hat er nur den einen Wunsch: sie zu besitzen." Und der Jäger rief aus:

D, sage mir, wo ich sie finden kann."

Aber der Mann antwortete:

Du hast noch nicht genug gelitten," und damit ging

er seines Wegs.

ein Nez.

Der Jäger erhob sich:" Ich will mich auf den Weg

machen," sprach er. Aber Weisheit hielt ihn zurück.

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das Netz und wartete der Dinge, die da kommen sollten. welchen Pfad soll ich auf jenen Bergen einschlagen?" Der erste Vogel, der sich im Netz fing, war schneeweiß,

Oh, laß mich meinen Arm um Dich schlingen," rief das erste Licht; er ist weich und warm. Dein Herz Ich gehe," erwiderte der Jäger, aber sage mir, ist erstarrt, aber ich will es wieder schlagen machen. Oh, tomm' zu mir." Ich will Dir mein glühendes Ich bin das Kind der angesammelten Erkenntniß Leben einflößen," sagte das zweite Licht. Dein Gehirn Oh, laß es er hatte sanfte Taubenaugen und sang ein schönes Lied: aller Zeitalter," sagte der Mann. Ich kann nur gehen, ist erstarrt, und Deine Glieder sind abgestorben, aber ich Ein Gottmensch! ein Gottmensch! ein Gottmensch!," so wo Viele vor mir gewandert sind. Nur wenige Füße will sie mit freiem, stolzem Leben erfüllen. ,, Dh folge uns", riefen sie, und lebe mit uns. sang er. Darauf kam ein schwarzer, mystischer Vogel, haben jene Berge beschritten. Jeder ist daselbst sein eigener Dir einflößen!" mit dunklen herrlichen Augen, die in die Tiefe der Seele Pfadfinder. Er geht auf seine Gefahr hin; meine Stimme kann ihn nicht mehr erreichen. Ich kann ihm folgen, aber Edlere Herzen als das Deinige haben hier im Dunkel geharrt und find zu uns, und wir zu ihnen gekommen, schauten, und er sang nur: Unsterblichkeit!" Alles Und der Jäger schloß sie beide an sein Herz, denn ich vermag nicht, ihm vorauszueilen." Damit verschwand Weisheit. Und der Jäger wandte und sie haben uns nie wieder verlassen, nie! er sprach: Sie gehören sicher zur schöner Familie der Wahr - sich um. Er ging zu seinem Käfig und zertrümmerte mit Andere ist Täuschung, aber wir, wir sind Wirklichkeit. eigener Hand das Gitterwerk, und die rauhen, spißen Die Wahrheit ist ein Schatten, das Thal des Aberglaubens heit." fühle uns anwir leben. An uns kannst Dann kam noch ein anderer grün- goldiger Vogel, Eisenstangen zerrissen das Fleisch. Oft ist es leichter zu eine Poffe; die Erde ist Staub, die Bäume sind Fäulniß, welcher mit gellender Stimme sang, wie Jemand, der auf bauen, als niederzureißen.

aber wir

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