Wie milde Frühlingslust kam's angesäuselt. Ein leises Knistern und Rauschen zog durch die Lust. In großen, wolligen Flocken, wie in stillen Herbsttagen die Blätter der Bäume, fiel der Schnee. Und auf das Antlitz des Schlafenden senkten fich die Flocken, erst wenige, dann mehr, die ersten schmolzen und rannen als große Tropfen ihm in die Kleider. Immer dichter kamen sie herangesegelt, lautlos, wie auf Geisterftißen stiegen sie nieder, auf das Antlitz, aus die Hände, auf den ganzen Körper ließen sie sich herab, umspannten ihn mit tausend Armen und woben dem Schlafenden das Todtenhemd.... Einige Tage später fanden zwei Weiber, welche Milch zur Stadt trugen, hinter einer Haselnußstaude die Leiche eines erfrorenen Knaben.
Die englischen Knndlords» die unter Gladstone's liberaler Regierung bedenkliche Ge- sichter machten, fühlen sich seit dem brutalen Torpregiment wieder als Herren der Situation und gehen in der rück- sichtslosen Ausbeutung ihrer„Herrenrechte" so weit, daß sie bald einen allgemeinen Sturm des Unwillens gegen sich heraufbeschworen haben werden. So hat in Cheshire — wir folgen hier der„Voss. Ztg."— der dort reichbegüterte Marquis of Cholmon- deley an seine sämmtlichen Pächter durch seinen Land- agenten folgendes Rundschreiben erlassen: „Gechrter Herr!— Lord Cholmondeley ersucht Sie, jedwedes Stück Drahtzaun, das sich auf den von Ihnen gepachteten Ländcreien befindet, fortnehmen zu lassen, und zwar wünscht er, daß das sofort geschieht." Zum Verständniß dieses großgrundherrlichen Ukases ist zu bemerken, daß in ganz England von Alters her die sämmtlichen Grundstücke, Ackerland und Wiesen, eingezäunt sind. Während aber stüher lebendige Hecken zur Ein- zäunung dienten, sind neuerdings die Landwirthe dazu übergegangen, der Bodenersparniß wegen diese Hecken durch Einfriedigungen von verzinktem Draht zu ersetzen. Abge- sehen davon, daß die landwirthschaftliche Schönheit einer Gegend unter der Ersetzung blühender Hecken durch nüchterne Drahtzäune leidet und daß vielen nützlichen Vögeln die Brutgelegenheiten entzogen werden, liegt der wirthschaft- liche Vortheil dieser Neuerung auf der Hand. Nur die Mitglieder einer Menschenklasse sind grimmige Feinde des Drahtzaunes: das sind die Fuchsjäger . Ueber oder durch eine lebendige Hecke kommr ein gewandter Reiter mit jedem Gaul, aber der unnachgiebige Draht hat schon manchem Reiter mit seinem Roß einen häßlichen Fall verursacht. Seit Langem hallten deshalb die Klubräume der hetzlustigen Rothröcke wieder von grimmen Klagen über das Umsich- greifen des Drahtes. Das hat den wackeren Marquis von Cholmondeley(dessen langer Name, nebenbei bemerkt, so ausgesprochen wird, als ob er sich Chumley schriebe) auf den genialen Gedanken gebracht, beim Beginn der Fuchs- Hetzsaison den lästigen Draht auf seinen Jagdgründen ein- fach hinwegzudekrcliren. Die Zumuthung Seiner Herrlichkeit an die Pächter ist nun in der That ausnehmend stark. Sie sollen nicht nur ohne Entschädigung eine wirthschaftliche Anlage beseiligen, die ihnen ihr schweres Geld gekostet, sondern müssen auch ihre Getreide- und Kohlfelder dem ungehinder- ten Eindringen des Viehes preisgeben, das auf den Weiden Cheshire's, der Heimath des bekanntesten englischen Käses, sich besonders zahlreich vorfindet. Der Ingrimm der Pächter über diesen rücksichtslosen Eingriff in ihr Er- werbsleben, nur um den reichen Gutsbesitzern bessere Ge- legenheit zu geben, ungehindert ihrem Lieblingsvergnügen, der Fuchshatz, zu stöhnen, ist erklärlich. Wenn sie sich zusammenthun und mit Entschiedenheit allesammt dem guts- herrlichen Befehl den Gehorsam verweigern, wird es ihnen voraussichtlich gelingen, den edlen Marquis zur Nachgiebig- keit zu nöthigen. Sein Verdienst bleibt es aber, auch in Cheshire die Saat der Unzustiedenheit mit dem Latistndienwescn gesäet zu haben, die vor Kurzem auf der schottischen Insel Lewis in dem Hirschkriege in so merkwürdiger Weise aufgegangen ist. Zur Beurtheilung des letzteren Vorganges hat der Edinburger Professor Stuart Glennie, der eifrige Für- sprecher seiner gälischen Landsleute, einige Akten beigebracht, die zahlenmäßig die Landlosmachung des Bauern- standes durch den grundbesitzenden Adel nachweisen. Die Insel Lewis enthält 406 000 Acres Land, deren einzige Besitzerin die Wütwe des verstorbenen Sir James Mathe- son ist. Nicht weniger als 350 000 Acres davon werden regelmäßig als Jagdland verpachtet und davon sind wieder 200 000 Acres regelrecht mit Wildgattern eingezäunt. Die Jagdgehcge von Uig und Park wurden durch Vertreibun von Pächtern geschaffen. Den Boden, den stüher du Bauern bearbeiteten, pachten dann vielfach die amerika nischen Nabobs für ihre Sportzwecke! Ein Theil der so ihres Lebensunterhaltes beraubten hochländischen Bauern(Crofters) ist zwar ausgewandert, in der Brust der anderen entstand aber um so tiefere Erbitterung, wenn sie sich und die Ihrigen in's Elend getrieben sahen, nur damit einige reiche Leute ihren Jagd- Vergnügungen ungehinderter nachgehen könnten. Als daher im vorigen Jahre ein großes Gehege auf der Insel Lewis, Park Forest genannt, außer Pacht kam und thatsächlich ein volles Jahr lang un verpacht et blieb, wandten sich die landlosen Bauern an die Besitzerin mit der Bitte, das Gebiet gegen einen angemessenen Pachtzins wieder als Bauernland jan sie zu verpachten. Die Baulichkeiten er- boten sie sich selbst zu errichten. Ihre Bitte begegnete tauben Ohren, und Park Foreft wurde wiederum als
Wildgehege an einen Herrn Joseph Platt verpachtet. Da rotteten sich in ihrer Verzweiflung 2000 landlose Bauern aus dem Kirchspiele Lochs zusammen und zogen, ihre Dudelsackpfeifer voran, bei Tagesanbruch, mit Gewehren, Zelten und Proviant ausgerüstet, nach den Wildgehegen von Park und Aline hinaus, um das Wild auszurotten. So lange das Wild dort hause, sagten sie, könnten sie keine Heimstätten bekommen. Mit der Fischerei sei es schlecht gegangen und sie hätten für sich und ihre Kinder nur noch Kartoffeln zum Leben. Sie würden das Wild tödten, um es zu verzehren und sich gleichzeitig die lästigen Mitbewerber um den Grund und Boden vom Halse zu schaffen. Mehrere Tage lang lagerten sie auf den Bergen und schössen 200 Hirsche, von denen sie schmausten. Von Glasgow aus war ein Bataillon der schottischen Garde nach Lewis beordert worden. Jedoch schon vorher, ehe es zu einem Zusammenstoße zwischen den Soldaten und den zur Verzweiflung getriebenen Bauern kommen konnte, ge- lang es dem Sheriff der Graffchaft, die Bauem zur Heim- kehr zu bewegen. Nach Stuart Glennie's Bericht entstand der Feldzug zur Ausrottung des Wildes ganz unvorbereitet auf folgende Weise: In einer vor etwa drei Wochen abgehaltenen Versammlung der Bauem des Kirchspiels Lochs, in welcher der Schulmeister von Balallan den Vorsitz führte, bean- tragte der Wortführer der Häusler: da sie vor dem Hunger- tode wegen des MißergebnisseS der Fischerei ständen, solle der Abgeordnete der Graffchaft, Macdonald, ersucht werden, einen Gesetzentwurf zur Beseitigung der Wildgehege und Ueberweisung der so stet werdenden Ländereien an die besitzlosen Bauern dem Parlament vorzulegen. In der Besprechung wurde eingewandt, da eine Tory-Regierung im Amte und die Mehrheit der Abgeordneten Großgmnd- besitzer oder Sportsmänner seien, wäre an die Annahme eines derartigen Antrages nicht zu denken. Dann warf Jemand die Frage auf, wie viele Familien wohl in den Wildgehegen von Park und Aline Platz zur Ansiedelung hätten. Ein alter Crofter, Rory Mhor, meinte, 300 Fa Milien.„Wir wollen eine Deputation zur Besichtigung abschicken," schlug ein anderer vor.„Laßt uns lieber Alle gehen!" rief ein dritter.„Dann wollen wir aber für unsere Mühen uns gleich etwas Wild mitbringen," wurde nun eingeworfen, und so ging es weiter, bis schließlich ein Redner unter tosendem Beifall erklärte:„Das Wild hat zu lange schon unser Gras und Korn gegessen, jetzt wollen wir das Wild essen." Dann wurde einmüthig der Beschluß gefaßt, eine allgemeine Hirschjagd zu veranstalten und dazu aus jedem Dorfe des Kirchspiels Vertreter zu entsenden. Das ist zur Ausfühmng gekommen und wird seine Wirkung nicht verfehlen. Mangel und das brennende Gefühl erlittenen Unrechts haben den Ausbruch zu Wege gebracht, der so unerwartet und unvorbereitet kam, wie jede Entzündung lang angesammelten Zündstoffs überraschend zu kommen pflegt. Herr v. Frege äußerte vorige Woche im Reichstage, die kleinbesitzenden Bauern liefen Gefahr, von den„moder- nen Raubriltem" verschluckt zu werden. Von der köstlichen Naivetät abgesehen, daß hier ein Vertreter des Besitzes „wohlerworbenes" kapitalistisches Eigenthum als Dieb- stahl bezeichnet, möchten wir Herrn Frege doch darauf aufmerksam machen, daß die ganze moderne Kapitalistenklasse nur fortsetzt, was die„alten Raubritter" begonnen haben. Mit der— meist sogar gewaltsamen— Expropriation früherer Besitzer oder Mitbesitzer des Landes hat die kapitalistische Wirthschaft begonnen, lediglich hierdurch hat sie sich die ersten billigen Arbeitskräfte, ein besitzloses Proletariat geschaffen. Und die ganze Entwickelung unserer Wirthschaft ist nichts als ein einziger großer Expropriationsprozeß. Wir haben heute noch viel Kleinbesitz, aber tagtäglich werden große Theile desselben aufgesaugt; der Handwerker büßt sein Eigenthum ein und verliert es an das Großkapital, der kleine Bauer verliert sein Land an den Großgrundbesitz. Will Herr Frege also von Raubrittern sprechen, so muß er sie schon nicht allein auf dem Gebiete des Handels und der Industrie suchen; und die mitgetheilten Beispiele aus England könnten ihm zeigen, daß die grundbesitzenden, konservativen„Expropriateurs" den liberalen, geldkapitalbesitzenden„Raub- rittern" in Nichts nachstehen.
Wettere Bemerkungen zu den GrundzSgen für die Atters- und Anualidenuerficherung der Ardetter. □ Die„Grundzüge haben in der Presse eine sehr -eingehende Würdigung gesunden, aber eigentlich etwas Gutes hat ihnen Niemand nachgerühmt. Wir nehmen natürlich diejenigen Blätter aus, die dazu da sind, daß sie jede That und jede Aeußerung aus Regierungskeiseu mit überschwenglichen Lobliedern ansingen, die Alles, was von dort kommt, erhaben und höchst geistreich höchst weise, höchst zweckmäßig, höchst nützlich, durchaus' nothwendig, gar nicht anders möglich finden müssen, bis sie, wenn der Wind umschlägt, gerade das Gegentheil mit denselben Worten feiern. Diese Presse ist ja bekannt in ihren großen Blättem wie in den kleinen landräthlichen Erzeugnissen in den einzelnen Kreisen. Von ihr reden wir nicht. Die kartellbrüderliche Presse zeiqt einen höchst kennzeichnenden Widerstreit der Gefühle Sie lächelt den Grundzügen mit dem verbindlichsten und freundschaftlichsten Lächeln entgegen und läßt im Weiteren an ihnen eigentlich kein gutes Haar. Es ist keine einzige Bestimmung in den ganzen„Grundsätzen", die wir nicht in kartest-
brüderlichen Blättern angegriffen und deren Unzweckmäßig- keit wir nicht, oft recht scharf bewiesen gefunden haben. Es ist das echt nationalliberal, und ist aus diesen Kritiken garnichts über die fernere Haltung dieser Quallen gegen die Alters- und Jnvalidenversorgung zu entnehmen. Noch geheimnißvoller benehmen sich die Blätter der priesterherrschaftlichen Kreise. Sie haben aus die Arbeitermassen dieselbe Rücksicht zu nehmen wie auf die herrschenden Klassen, und da begreift man leicht ihre ganz zuwartende Stellung. Es könnte für sie leicht verhängniß- voll werden, wenn sie zu früh ihre Ansichten aufdeckten, die im Grunde sicher nicht arbeiterfreundlich sind, das lehrte der„Arbeitgeber mit der eisernen Faust" bei der Unfallversicherung, der stets der Vorsitzende in Arbeiterorganisationen sein muß, und der Ruf:„Sie wollen Arbeiterorganisationen?! Die werden wir nie bewilligen!" von Herrn Windthorst und seinen schwarzen Freunden. Solchen Aeußerungen gegenüber ist jede arbeiter- steundliche Maske leicht zu durchschauen. Von dieser Seite hat der Arbeiter auch nichts zu erwarten, das ist selbst- redend. Die Deutschfreisinnigen machen sich das kindliche Vergnügen, den etwas lahmen Hengst„Selbsthilfe" als Schulpferd vorzureiten. Sie haben ja damit so„glänzende" Erfolge erzielt. Von den 14 Millionen Arbeitern sind wohl einige wenige Tausend auf ihren Leim gegangen, und von den Milliarden Mark, die jede ganz ungenügende Alters- und Jnvalidenversorgung doch schon in Bewegung setzt, verschrumpfen die Pfennige, welche die Gewerkvereine zusammengebracht haben, verschwindet der ganze Humbug der Selbsthilfe in Nichts. Ja, es sind kolossale Kapitalien, die diese Alters- und Jnvalidenversorgung bewegt und auffpeichert. Um so mehr ist zu verwundern, daß über ihre Anlage, Verwendung und Verwaltung in den Grundzügen kein Wort gesagt ist. Nach den statistischen Materialien, die auch von der kartell- brüderlichen Presse als am besten begründet angenommen werden, beträgt die Zahl der Arbeiter, die unter die Alters- und Invalidenversicherung fallen würden, in runden Zahlen 10 Millionen Männer und 4 Millionen Weiber. Und zwar setzen sich diese Zahlen so zusammen: Männer. Weiber. Land- und Forftwirthschaft 5 899 456 2 515 873 Industrie...... 3 826 464 909 432 Handel und Verkehr.. 682 885 344 377 Häusliche Dienstleistungen. 213 746 183 836 10 622 551 3 953 518 Diese Zahlen sind freilich nur annäherild, aber es sind die genauesten, die zur Verfügung stehen. Die über 10 Millionen überschießenden Männer haben wir als „Ausfall" weggelegt. Jeder männliche Arbeiter bringt, vom Reichszuschuß abgesehen, jährlich 12 Mark, jede Arbeiterin 8 Mark für die Alters- und Invalidenversicherung auf, und zwar die Hälfte davon als Lohnabzug, die andere Hälfte als Zuschuß des Unternehmers. Das macht jährlich 12 X 10 4- 8 X 4— 152 Millionen Mark. Nun besteht eine Wartezeit für die Altersrente von 30 Jahren, für die Invalidenrente von 5 Jahren. Der Vollbezug der letzteren tritt aber auch erst nach 48 Jahren Wartezeit ein. Selbstredend ist also der Verbrauch an Rente in den ersten Jahren sehr gering und steigt erst nach vielleicht 30 Jahren frühestens zur vollen Höhe. Er wird für das erste Jahr nur auf etwa 2 Millionen Mark geschätzt. Zahlen lassen sich über das Anwachsen der Rente nicht genauer angeben, es fehlt darüber durchaus jedes Material. Wir nehmen wohl nahezu richtig an, wenn wir eine ziemlich gleichmäßige Steigerung der jährlich zu zahlenden Renten annehmen, etwa in arithmetischer Reche. Es sammelt sich also bis zu einer gewissen Zeit von Jahr zu Jahr ein größeres Kapital an. Der Zuwachs wird jährlich kleiner und in 30 Jahren ist der Abfluß gleich dem Zuwachs. Das angesammelte reine Kapital beträgt dann 152 X 15— 2280 Millionen Mark, also mehr als 21/* Milliarden. Rechnet man dazu den Zinseszins und fügt zu dieser Zahl noch die Reserven, die die Kranken- kassen und die Unfallversicherung ansammeln müssen, so erhalten wir eine Kapitalansammlung, die drei Mlliarden wohl erreichen möchte. Wir meinen, das giebt denn doch zu denken! wie man zu sagen pflegt, wenn man vor einem Räthsel steht. Die erste Frage ist: Wer verwaltet die kolossalen Geld- summen? Die Berufsgcnossenschaften! wenigstens in den Haupt- fachen. Wer sind die Berufsgenossenschasten? Mechanisch nach Provinzen oder Ländern mit der Feder zusammen- gefügte, zusammenhanglose Unternehmerverbände der gleichen Industriezweige, ohne inneres selbständiges Leben, ohne organische Entwickelung, ohne Geschichte, ohne Erfahrung, ohne gemeinsamen Gedanken, ohne jeden tieferen Zusammen- halt. Sie werden verwaltet in der Mehrzahl der Fälle von einem Vorstände, den der Zufall einer ganz unvor- bereiteten Wahl aus dem Dunkel an's Tageslicht gebracht hat, dem es in der Regel sehr an fähigen Personen fehlt und in welchem also die Arbeiten voni unteren bezahlten Bureaupersonal erledigt werden. t M. Aicjc Vorstände, die ungeheuer kostsplelig arbeiten, haben sich mit vieler Mühe die nothwendig, te Erfahrung, man kann nur saqen„angequält", damit jetzt die verun- glückten Arbeiter nicht mehr Monate lang ohne Antwort, ohne Bescheid, ohne jede Hilft �aben, obgleich