Aeiötatt zur„Mertiner Holks-Triküne".Jfä 21. Sonnabend, den 24. Dezember 1887. I. Jahrgang.Mer wird hegen?Ihr habt de» besten Willen von der Welt,Zu tobten ihn mit Hanl und Haaren—Ihr wollt, daß er euch werde unterstellt,Daß frei mit ihm ihr könnt verfahren—So schreckenlos und jeden Rechtes baar,Ihr wollt, daß er gefesselt in die SchrankenSoll treten, denn es kämpfet der BarbarGewalt mit seinem Todfeind, dem Gedanken!Der Kampf ist alt; euch hat er nichts genutzt,Ihr folgt noch immer nicht Beweisen;Die früh're Kriegskunst, etwas aufgeputzt,Fahrt ihr stets in den alten Gleisen.Ihr seht noch nicht, daß seinen Weg sich bahntDas Frühroth, kämpfend, leuchtend jeden Morgen;Und immer noch habt ihr es nichr geahnt,Daß jede Pflanze Keime treibt verborgen.Versucht es doch, verseh'n mit eurer Macht,Dem Mond dort oben zu gebieten:Er dürfe nicht mehr wandelnd jede NachtMit seinem Schein die Welt behüten.—Und macht die Probe, ob der starke FlußDurch eure Dämme sich wird hemmen lassen,Ob er verheerender nicht wirken muß,Hat er nur erst die alte Bahn verlassen.Und wenn ihr das zu schaffen nicht vermögt,Wie wollt ihr trotzig ihn erstickenDen Lichlgedanken, der stets neu sich regt,Wie diesen mit Gewalt erdrücken?Ja, häuft auf ihn nur Elend, Jammer, SchmachIhr Thoren, scheinbar kann er unterliegen,Doch einst wird auch die Faust von Eisen schwach,Und der Gedanke wird Euch dann besiegen!Albert Auerbach.INachdruck berSottn.)Weihnacht.Von F. M. Dostojewski.Saht ihr kleine Jungen zur Weihnachtszeit im schneidenden Frost aus der Straße betteln? Fast sommerlichist ihre Kleidung, um den Hals haben sie einen altenLappen gebunden, und sie drehen sich vor euren Füßenund plappern auswendig gelernte Worte. Auch ihr friertund beeilt euch in die warme Stube zu kommen, und des-halb seid ihr ärgerlich ans die Betteljungen, die vor eurenFüßen laufen...-Von solchem Knaben wollte ich euch erzählen; nichtgerade von so einem, den man schon betteln ausschickr,denn er ist noch sehr klein, sechs Jahre alt, vielleicht nochjünger; aber von so einem, den man sicherlich in einemJahre,' in zwei Jahren geschickt hätte.Es war früh am Morgen. In einem feuchten, kaltenKellerloch erwachte er. Sein Röckchen war dünn, er zittertevor Kälte; in der Ecke ans dem Kasten sitzend, vergnügteer sich, aus Langerweile zuzusehen, wie der Athem ausdem Munde flog-...Aber er war sehr hungrig... und die Stundenverrannen... und er trat immer wieder an die Pritscheheran, auf welcher sein krankes Mütterchen lag; dünnwar die Streu, statt des Kissens halte sie unter ihremKopf irgend ein Bündel. Welches Schicksal führte siehierher? Wahrscheinlich war sie mit ihrem Knaben auseiner anderen Stadt gekommen und plötzlich er-krankt, schwer, ans den Tod erkrankt....Feienag ist vor der Thür, deshalb haben sich dieanderen Kellerbewohner entfernt; nur fern im Winkelstöhnt, von rheumatischem Schmerz gefoltert, eine achtzig-jährige Frau; früher einmal halte sie irgendwo als Kinder-wänerin gedient, jetzt lag sie einsam sterbend; sie ächzteund bnimmle und schalt aus den Knaben, so daß derselbesich fürchtete, ihr nahe zu kommen.Zu trinken hatte er sich im Hausflur verschafft, abernirgends konnte er ein Stück Brod finden; und immerwieder trat er an die Pritsche heran, auf welcher seineMutter lag, um sie zu wecken.Es war ihm so ängstlich in der Dämmerung; schonlängst hatte der Abend angefangen; Licht zündete mannicht an. Er betastete das Geficht der Mutter und wun-derte sich, daß sie sich gar nicht regte und so kalt wiedie Wand war. Wie kalt ist es hier, dachte er, indemseine Hand aus der Schulter der Todten ruhte....Dann hauchte er auf seine Fingerchen, um sie zu erwärmen,und als er jetzt sein Mützchen aus der Pritsche fand, schlicher tappend und leise aus dem Keller. Er wäre schonfrüher gegangen, aber er fürchtete sich vor dem großenHunde auf der Treppe, welcher den ganzen Tag an derNachbarthür heulte. Jetzt war der Hund nicht mehr da.Und der Kleine huschte auf die Straße.Himmel, was für eine Stadt! So etwas hatte ersein Lebtag nicht gesehen. Wie dunkel war dagegen dieNacht in dem Ort, aus welchem er kam, dort hatte dieganze Straße nur eine Lateme. Die niedrigen Holzhäuschen wurden dort mit Läden verschlossen; wie es nurkaum zu dämmern beginnt, ist keiner mehr auf der Straße,alle verschließen sich in den Häusern und nur die Hundeschaaren sich zusammen, wohl zu Dutzenden, zu Hunderten,heulen und bellen die lange Nacht. Aber dafür war esdort in der Heimath so warm und man gab ihm zu essen.Aber hier...Ach! hätte er nur ein Krustchen Brot, um den Hungerzu stillen!Wie es hier durcheinander schwirrt und lärmt! Dievielen Lichter und die vielen Menschen, Pferde und Wagen.Und der Frost! Aus den Nüstern der gehetzten Pferde fliegtder Athem und gefriert im Ringeln, die Hufe schlagendurch den lockeren Schnee an die Steine und die Leutestoßen sich so und...Ach! wie gem möchte er essen, wenn auch nur irgendein kleines Stückchen! Und plötzlich thun ihm die Finger-chen so weh.Und wieder eine Straße; ach, was für eine breiteHier wird man gewiß zertreten. Wie sie alle schreien,laufen, fahren... und Licht, so viel Licht! Was ist das?Ach! was für ein großes Fenster! und hinter dem Fenstereine Stube! und in der Stube ein Baum bis zur Decke— das ist ein Weihnachtsbaum mit vielen goldenenPapierchcn und Acpfeln! Um den Weihnachtsbaum liegenPüppchen und kleine Pferdchen. In der Stube lausendie Kinder, geputzt, reinlich... und sie lachen und siespielen und essen und trinken. Da— ein Mädchen tanztmit einem Knaben, was für ein hübsches Mädchen! AuchMusik ist da, durch das Fenster ist's zu hören. Der armeKnabe sieht das alles, wundert sich und lacht.Jetzt aber fangen ihm die Zchchen an den Füßchenzu schmerzen an und die Händchen sind ganz roth gewor-den, die Fingerchen biegen sich schon nicht mehr undschmerzen beim Bewegen. Da fängt der Knabe bitterlichzu weinen an und läuft weiter.Durch ein anderes Fenster sieht er einen Laden mitWeihnachtsbäumen ausgeschmückt; auf den Tischen liegenKuchen allerlei Art, Mandelkuchen, rothe, gelbe Kuchen; esfitzen da vier geputzte Damen— jedem, der kommt, gebensie Kuchen und die Thür geht fortwährend auf und eskommen von der Straße viele Herrschaften herein! DerKleine schleicht sich an die Thür, öffnet, tritt in denLaden. Hu! wie man ihn anschreit, ihm zuwinkt, daß erfortgehen solle. Eine der Damen tritt schnell an ihnheran, steckt ihm eine Kupfermünze zu und macht ihm dieThür zur Straße aus. Wie der Kleine da erschrickt. DasGeldstück rollt auf die Stufen: er kann ja, um es zuhalten, seine Fingerchcn nicht biegen.Schnell, schnell läuft er fort— wohin, weiß er selbstnicht. Und er läuft, läuft und pustet in die Händchen.Aber was ist das! Die Leute stehen und drängensich: am Fenster hinter den Scheiben sind drei kleinePuppen ausgestellt, geputzt in rothe und grüne Kleiderund ganz wie lebendig. Ein altes Puppenmännchen sitztauf einem Stuhl und fuchtelt mit dem Arm, als spiele esauf einer großen Geige; zwei andere stehen dabei undstreichen auf kleinen Violinen, nicken im Takt mit ihrenKöpfchen, sehen einander an, ihre Lippen bewegen sich,sie sprechen, ordentlich sprechen sie, nur hört man's nichtwegen der Scheiben. Der Kleine denkt erst, sie seienlebendig. Wie es ihm aber plötzlich klar wird, daß esPuppen seien, lacht er. Noch nie in seinem Leben hat ersolche Püppchen gesehen. Wohl ist ihm das Weinen nahe,wie er aber auf die Puppen sieht, wird ihm wieder ganzlächerlich zu Muth.Plötzlich scheint es ihm, als ob jemand von hintenan sein Röckchen greife, und da steht auf einmal ein großerböser Bengcl neben ihm, schlägt ihn auf den Kops, reißtihm die Mütze ab und stellt ihm ein Bein. Er fälltaus die Erde. Die Leute schreien aus. Und da erschrickter, springt in die Höhe und läuft, läuft— wohin, weißer selbst nicht— auf einen ftemden Hof und verbirgt sichhinter das aufgestapelte Holz.Hier ist's dunkel, denkt er, hier findet man mich nicht.Er kauert sich zusammen, vor Angst kann er kaum athmen.. auf einmal wird ihm so leicht, so wundersam leicht.Händchen und Füßchen schmerzen nicht mehr, Wärme durchdringt seinen Körper, so warm fühlt er sich, wie auf demOfen. Und jetzt wieder schauert er zusammen... er istja eingeschlafen..Wie gut es hier ist, zu schlafen... ich werde einwenig sitzen und dann wieder zu den Püppchen gehen.Und wie ihm der Traum die Püppchen zeigt, lächelt derKleine... Ganz wie lebendig... während die Puppengeigen, wird es ihm, als singe über ihm seine Mutter einWiegenlied. Mütterchen, ich schlafe. Ach, es ist hier sogut zu schlafen.— Komm zu mir zum Weihnachtsbaum,Knabe, sagt über ihm eine sanfte Stimme.— Ter Kleinedenkt, seine Mutter rufe ihm zu, aber nein— sie ist esnicht. Jemand beugt sich zu ihm und umschlingt ihn inder Dunkelheit. Und was für ein Licht glänzt ihm ent-gegen! O, was für ein Weihnachtsbaum! Aber nein,es ist kein Weihnachtsbaum. Noch nie hat er solch einenBaum gesehen. Alles glänzt, alles blitzt und rings herumlauter Püppchen. Aber nein, das sind Knaben und Mäd-chen in lichten Gewändern, sie fliegen zu ihm, küssen ihn,nehmen ihn mit sich... Seine Mutter sieht ihn an undlächelt freudig. Mutter! Mutter! Ach, wie gut ist eshier, Mutter! Und wieder küssen ihn die Kinder und ererzählt ihnen von den Püppchen hinter dem Fenster. Werseid ihr, Knaben? und wer seid ihr, Mädchen? fragt er,lächelnd und sie liebkosend.Es ist Weihnachtsfest, antworten sie ihm. Und derKleine träumt, daß die Knaben und Mädchen solcheKinder gewesen sind wie er selbst. Die einen waren ge-storben vor Kälte, vor Hunger die anderen, die drittenvor Schlägen, die vierten, weil sie keine Pflege fanden,sogar in solchen Krankheiten, die bei der geringsten Hilfeglücklich verlaufen wären. Und alle waren sie jetzt beiihm und fröhlich zusammen, alle... Und die Mütterstehen beiseite, erkennen ihre Knaben und Mädchen, fliegenzu ihnen heran, küssen sie, wischen ihnen die Thränen abund flehen sie an, nicht zu weinen, denn nun sei allesgut...Am Morgen fanden die Hausknechte die kleine Leichedes erfrorenen Knaben hinter dem Holze.Friedrich Cngels.Von Karl Kautsky.n.Die„Lage der arbeitenden Klassen in England"war nach der Rückkehr von Manchester in Barmenausgearbeitet worden. Aber gleichzeitig überzeugte sichEngels, daß mit seinen jetzigen Ansichten ein Aufenthaltin dem pietistischen Barmen, in dem Schooße einerstrenggläubigen und hochkonservativen Familie unver-träglich war. Er hing also die Kaufmannschaft einst-weilen an den Nagel und ging nach Brüssel, wohin auchMarx sich begeben, nachdem er auf Veranlassung derpreußischen Regierung aus Frankreich ausgewiesen worden.Und nun begann eine rege, gemeinsame Arbeit Beider.Die theoretischen Grundlagen ihres Wirkens waren ge-mannen; es galt jetzt einerseits auf ihnen ein neues wissen-schastliches System aufzubauen, andererseits aber die that-sächlich vor ihren Augen vor sich gehende proletarischeBewegung aus diese Grundlage zu stellen und zum Selbst-bewußtsein zu bringen. Die für Marx und Engels sobezeichnende innige Vereinigung praktischen und theoretischenWirkens, eines das andere fördernd, bekam nun ein be-stimmtes Ziel, welches das Ziel ihrer Lebensarbeit gebliebenist, auf das hin sie von nun an alle ihre Kräfte planmäßigkonzentrirten.Ihre erste wissenschaftliche Aufgabe war die Schluß-abrechnung mit der gleichzeitigen deutschen Philosophie,also mit den Ausläufern der Junghegelschen Schule. Siearbeiteten gemeinsam eine Kritik der nachhcgelschen Philo-sophie aus(Stirner, Feuerbach, Bauer), die indeß nichtveröffentlicht wurde. Aber, wie Engels schreibt,„wirwaren keineswegs der Absicht, die neuen wissenschaftlichenResultate in dicken Büchern ausschließlich der„gelehrten"Welt zuzuflüstern. Im Gegentheil. Wir saßen beideschon tief in der politischen Bewegung; hatten unter dergebildeten Welt, namentlich Westdeutschlands, einen gewissenAnhang, und reichliche Fühlung mit dem organisirtenProletariat. Wir waren verpflichtet, unsere Ansicht wissen-schaftlich zu begründen; ebenso wichtig aber war es auchfür uns, das europäische und zunächst das deutsche Prole-tariat für unsere Ueberzeugung zu gewinnen. Sobald wirerst mit uns selbst im Reinen, gings an die Arbeit. InBrüssel stifteten wir einen deutschen Arbeiterverein undbemächtigten uns der„Deutschen Brüsseler Zeitung".Ebenso standen wir in einer Art Kartell mit den BrüsselerDemokraten(Marx war Vizepräsident der demokratischenGesellschaft) und den französischen Sozialdemokraten vonder„Reforme", der ich Nachrichten über die englische unddeutscheArbüterbewcgung lieferte. Kurz, unsere Verbindungenmit den radikalen und politischen Organisationen und Preß-organen waren ganz nach Wunsch."Am wichtigsten wurde aber die Verbindung von Marxund Engels mit dem internationalen„Bund der Gerechten",dem späteren Kommunistenbund, den sie zum Vorläuferder Internationale machten. Dieser Bund, unter den da-maligen politischen Verhältnissen nothwendig ein Geheim-bund innerhalb öffentlicher Arbeitervereine, wie z. B. deskommunistischen Arbeiter-Bildungsvereins in London, wareine Gründung deutscher Revolutionäre— meist Arbeiter— in Paris, halb Propaganda-, halb Verschwörungs-gesellschast, unter dem Einflüsse des französischen Arbeiter-Kommunismus. Er wuchs rasch an, bald bildeten sichSektionen in England und der Schweiz. London wurdenach 1839 der Mittelpunkt des Bundes, der bald auch inBelgien und Deutschland Sektionen bildete. Ans einemVerein deutscher Emigranten in Paris wurde er ein inter-nationaler kommunistischer Verein.Aber nicht nur an Ausdehnung nahm er zu, sondernauch an Klarheit. Der urwüchsige französische Arbeiter-Kommunismus genügte den leitenden Köpfen immer weniger;auch der Weitling'sche sektirerische Kommunismus nütztesich rasch ab. Gleichzeitig wuchs der Einfluß von Marxund Engels auf die sozialistischen und demokratischen Be-wegungen, ihr neuer Standpunkt wurde in deren Kreisenbekannt.