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Die Heimat auf dem Lande B

Etwas vom Spinnen

Wenn im Dorfe früher die letzte Barbe ein­gebracht und Obst und Kartoffeln im Keller geborgen waren, wurden trotz der dunkler wer denden Tage die Gesichter der jungen Mädchen und der sorgenden Hausfrauen heller. Sie dachten an die beginnende Spinnstube, diese gemütliche Einrichtung des Dorflebens, die in den letzten 30 Jahren fast ganz daraus ent= schwunden ist. Die Hausfrauen dachten mit Erleichterung daran, daß die Lücken des Jahres­berbrauchs in den Garnen und Stoffen aus gefüllt wurden, die jungen Mädchen freuten sich auf die Kurzweil, die das Zusammensein mit den Freundinnen und den Vertretern des an­deren Geschlechtes ihnen bringen würde.

Ehe der Flachs an diese Bestimmung gelangen tann, bedarf es vieler Arbeit während des ganzen Jahres. Hatte der Bauer eine ansehnliche Feld­breite auf die Bitte der Hausmutter mit Flachs bestellt, so dachte sie beim Anblick der schön im Winde wogenden hellblauen Blüten gewiß manchmal mit leichtem Schauer an die Mühsal, die ihrem Hauswesen durch die Pflänzchen bevorstand. Die Flachsfafer sitt im Stengel und muß erweicht und ven den umgebenden Holzteilen befreit werden, ehe man sie benüßen kann. Wenn der Flachs im Juli reif ist, wird er gerauft und getrocknet. Dann befreit man ihn von den Samenknoten, wozu die Pflanzen durch die Reepe, Abb. 1 gezogen werden. Die Kapseln werden zur fünftigen Saat ge braucht, oder man gewinnt Leinöl daraus.

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Die vor allem wichtigen Stengel werden nun einer Gärung unterzogen. Sie müssen ,, rotten"( rösten). Die Bäuerin legt sie dazu tagelang auf den Rasen, wo Luft und Tau die Gärung bewirken( Tau- oder Rasenröste) oder sie stellt sie in ein stehen. des oder fließendes Gewässer( Teich- oder Wasserröste). Nach diefer Gärung werden die Stengel wieder getrocknet, am besten im sonnigen Frühjahr, denn wer es kann, verarbeitet den Flachs erst im folgenden Jahre. Er wird zunächst mit dem Dresch flegel oder der Tratsche, Abb. 2. einmal burchgedroschen. Nun muß die Brate heran, um die hartnäckige Flachspflanze weiter zu erweichen. Abb. 3. Immer ein Teil Flachs wird ,, übergelegt" und der obere Teil des Geräts wuchtig einigemal darauf niederfallen gelassen. Die Schleppbrake, ein ähnliches Gerät, in welches drei Messer eingesetzt sind, seht diese Behandlung noch nachdrücklicher fort, es sind jetzt die Fasern von den gröbsten Holzteilen befreit. Um die feineren loszumachen, wird die Schwinge genommen. Abb. 4. Man legt ein Teil Flachs durch die oben ersichtliche Öffnung, hält es mit der linken Hand fest und führt mit der rechten, die das Schwingholz hält( unten rechts) am Gestell vorbei scharf auf den Flachs nieder. Das Gestell verhütet das Verletzen der Finger durch das Schwingholz.

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Der schon ganz handlich gewordene Flachs wird völlig spinn­fähig gemacht durch das Kämmen mit der Hechel . Abb. 5. Durch dies Kämmen scheidet man die gröberen Fasern, die immer noch ganz fleine Holzteilchen enthalten, die Hede, Werg oder Schewe von dem eigentlichen weichen Flachs. Die Hede ist zu gröberem Gespinnst ganz gut zu gebrauchen. Mit Stolz zeigte mir eine alte Frau ihre dauerhaften Handtücher, die halb aus Flachs, halb aus Hede gewebt waren. In größeren Haushaltungen gab es für die Hede ein besonderes Spinnrad.

Wir wollen dem Flachs auf seinem weiteren Wege zum Webstuhle nicht nachgehen, sondern ihm nur folgen, bis er seidenweich und hell­gelb um den Spinnroden gewunden wird, den man am Spinnrad befestigt. Ein Wocken. band aus startem Papier, mit einem bunten Band umschlungen, hält ihn. Das bunte Seidenband ist ein beliebtes Geschenk der jungen Männer an ihre Erkorene.

In der Lüneburger Heide wurden früher regelmäßig Spinnstuben abgehalten, die in

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einem Dorfe zusammenkommenden Haustöchter oder Mägde hießen ein Spinnklumpen" oder Spinntrupp". Wo in einem Hause Anfangs Winter die Spinnstube zuerst stattfinden soll, sagt eine Magd es vorher an, und die Haus­frau rüstet sich mit Kaffee, um die Fleißigen zu erquiden. Um 3 Uhr nachmittags stellt sich mit ihren Spinnrädern die fröhliche Schar ein, die kein Regen noch Schnee, noch schlechter Weg von den weit auseinander liegenden Ge­höften zurückhält. In der warmen Stube be­ginnt nun das Schnurren der Räder, in das hin und wieder das Klappern des Haspels hineintönt, der zum Abwickeln der gefüllten Spule in jeder Spinnstube bereit steht, siehe unsere Abbildung 6. Um 8 Uhr stellen sich die jungen Männer ein, die Knechte oder Kerls. Nicht zu junge! Wenn ein Jüngling an der Spinnstube teilnehmen will, der nach Anficht der Mädchen noch nicht das richtige Alter hat, so kann er riskieren, von ihnen in einen Sad gestedt, und tüchtig gehänselt zu werden. Nun beginnt, ohne daß gerade mit dem Spinnen aufgehört wird, mehr das Ver­gnügen. Die jungen Männer postieren sich hinter ihre Ange­betete. Reißt einem Mädchen der Faden, so nimmt ihr der junge Mann den Wocken weg, und sie kann ihn nur durch einen Auß wieder einlösen. Auch Pfänderspiele werden gemacht und ist kein Schandarm" in der Nähe. die Polizei hatte es in den letzten Zeiten der Spinnstube sehr auf sie abgesehen- so wird nach den Klängen der Ziehharmonika ein 3 Tänzchen gemacht. Um 10 Uhr winkt die Haus­mutter zum Aufbruch, die Burschen beladen fich ritterlich mit dem Rade ihrer Mädchen und geleiten sie heim. Sonnabends ist feine Spinnstube, da sie das in allen Häusern üb­liche Reinmachen stören würde. Naht der Früh­ling, so findet in einem Bauernhause das Ab­trinken" statt. Ein wohlhabender Hof, aus dem die Haustochter dem Spinntrupp ange­

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hört, nimmt freundlich diese Pflicht auf sich, die in einer guten reichlichen Mahlzeit besteht. Damit ist für das Jahr die Spinn stube aus, die einen so festen Platz im Gemütsleben der Dorf­bewohner einnahm, daß auswärtigen Mägden alljährlich ein 14 tägiger Spinnurlaub gewährt wurde, damit sie an der Spinnstube ihres Heimatdorfes teilnehmen konnten. Mit Un­recht ist viel über die Spinnstube moralisiert worden. Damit, daß fie gelegentlich ausartete, teilt sie nur das Schicksal aller Vergnügungen. Sie war für die ländliche Jugend eine natür­liche Form der Geselligkeit, die Fleiß und Kurzweil auf eine glückliche Weise verband. Manche glückliche Ehe hat ihren Ursprung in der Spinnstube gefunden, es wurden dort schöne Lieder und alte Sagen, die sonst längst verklungen sein würden, von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben. Wir würden uns freuen, wenn aus dem Leserinnenkreise, in dem gewiß noch hie und da eine Spinnstuben- Überlieferung lebt, der­gleichen mitgeteilt würde. über den Nußen des Spinnens für unsere heutige Zeit wird in einem nächsten Aufsatz über ländliche A. BL. Stoffe die Rede sein.

Spinn, Mägblein, spinn So wachsen dir die Sinn', Wachsen dir die langen Haar, Kommen dir die klugen Jahr. Spinn, Mägdlein, spinn.

Alter Spruch.